Rückblick 9.7. 2022 (Aarhus 7/2022)

Gegen eins wieder aufgewacht und ziemlich wach gewesen. Dafür weiß ich jetzt, dass es ab drei hier dämmert und dass The Terminal List eine ziemlich spannende Serie* ist. Von fünf bis halb neun dann nochmal geschlafen und endgültig beschlossen aufzuwachen, als ich mit Frau Herzbruch eine Wohnung entrümpeln musste.
Je später es wurde, desto mehr begann die letzten Male. Gemütlich aufstehen, das klappt morgen auch nochmal, Sonnenaufgang gucken eh – aber dann kam das vermutlich letzte Mal „rüber in die Stadt“.
Ich wollte nämlich nochmal ein bisschen die Stadt selbst fotografieren, außerdem wollten wir wenigstens versucht haben, ob es eine Möglichkeit geben könnte, in die aktuellen Ausstellungen im Aros Museum zu kommen. Aber: Nein, zu voll. Und da in Dänemark niemand mehr an so lustige Dinge wie Abstand oder Masken denkt: Lieber nein. Aber wir konnten wenigstens einen kurzen sehnsuchtsvollen Blick zum Musikhuset rüber werfen, da wo wir damals in einem anderen Leben mal auf einem Konzert und einer Party gewesen waren.

*) Später werde ich das revidieren.

Abends waren wir dann noch einmal kurz am Yachthafen und dann an der unendlichen Brücke. Ich hab übrigens in einem Bild eine echte Influenzerin versteckt, die hat uns nämlich ganz gut unterhalten: Am Parkplatz überraschten wir sie, wie sich sich am Steuer ihres Kleinwagens ins blaue Abendkleid klemmte, dann eilte sie an uns vorbei über den Strand, setzte sich auf die Buhne, warf sich in Pose, wurde von der ersten Welle erwischt und ihre untere Hälfte war nass. Trotzdem: Lächeln, in Pose, Brust raus, Haare werfen, knipsen, Bilder checken, Winkel ändern, Brust raus, knipsen, ups, die nächste Welle, Bilder checken und dann im Laufschritt wieder zurück zum Auto. Kann mir nicht vorstellen, dass das Spaß macht.

Rückblick 8.7.2022 (Aarhus 7/2022)

Ich wache von einem Geräusch vor dem Fenster auf: Ein Kreuzfahrtschiff fährt in den Hafen. Ordinär streckt es seinen dicken Hintern voraus und schiebt sich langsam rückwärts ins zu klein wirkende Hafenbecken. Wir sind hier im achten Stock und ich kann nicht mal auf das obere Deck dieser stinkenden Hässlichkeit sehen.

Ich setzte mich und tue nichts, außer diese Absurdität zu beobachten. Nachdem es angelegt hat, ergießt sich ein Schwarm Touristen an Land wie der Praecox eines achtzehnjährigen, der noch nicht weiß, wie Liebe geht und nur schneller, öfter, schneller zum Abschuss kommen kann und will.
Fitnesscenter! Mall! Drei Pools! Elf Clubs! Eine Bordbrauerei! Die Menschen, die da herausfließen, die wissen gar nicht, dass sie in Aarhus sind, die könnten ebenso gut in Kiel geblieben sein, am besten vielleicht abends in Kiel eingestiegen, nachts aufs Meeer raus, gedreht, zurück, morgens in Kiel wieder angelegt, „meine Damen und Herren, wir wünschen Ihnen viel Vergnügen in Aarhus“ – „schau Sabine, Aarhus, da sieht es aus wie bei uns, sogar Deichmann gibts“ – „ja, aber es ist schon teurer hier“ – „stimmt, Sabine, da lassen wir unser gur verdientes Geld besser im eigenen Land!“, es wäre egal, man könnte ihnen bestimmt sogar eine komplette Nordkap-Fahrt verkaufen und sie viermal in Kiel aussteigen lassen. Sie wollen es gar nicht wissen, sie wollen nur abgelenkt werden von der riesigen Leinwand und Bailando in Hafenlautstärke und sie wollen denken können, sie wären auf dem Meer gewesen und sogar in einem anderen Land.

Aber zu unserem Tag: Wir waren erst ein bisschen im Städtchen, die Liebste wollte mir noch in zwei Läden Dinge zeigen und zusammen überlegen, ob sie mitnahmewürdig waren. Als Beweisstück dient ein Umkleidekabinen-Selfie.
Danach waren wir im botanischen Garten – der gehört zur Uni und ist leider genug Sehenswürdigkeit, dass dort auch Kreuzfahrer gruppenweise ihr Unwesen trieben. Ist man hier in Dänemark mit einer Gruppe deutscher Boomer-Touris konfrontiert, merkt man erst, wie unauffällig rücksichtsvoll und freundlich die Dänen so im Alltag miteinander sind. Wir sprachen aus Scham und um keinesfalls mit den Gruppen in einen Topf geworfen zu werden, die ganze Zeit kosequent englisch miteinander.
In der Stadt konnten wir diesen Trupps immerhin noch einigermaßen gut aus dem Weg gehen, aber hier waren die Wege zu eng.
Außerdem muss ich gestehen: Ich kann – Sehenswürdigkeit hin oder her – nur so mittelviel mit botanischen Gärten anfangen. Ich hab mal fotografiert, was interessant aussah – und das kuppelförmige Gebäude von außen, denn das ist schon ein bisschen spacig.
Im Park kann man außerdem von oben in Den Gamle By schauen, also in die Attraktion, die den meisten zuerst beim Namen Aarhus einfällt. Wenn Sie mich fragen: Schon ok, aber mir fallen andere Dinge zuerst ein. Also, falls Sie mal hier hoch wollen. Ich glaub, ich versuche am Ende eh mal eine Sammlung mit allgemeinen Tipps, was meinen Sie?

Spätnachmittags erst ein wirklich guter Burger in der Streedfood-Zeile am Hafenbecken …

… und danach nochmal an den Strand. Die erste Aida war auch schon wieder weggefahren – was bedeutet: Das Schiff war keine acht Stunden hier vor Anker. Bleiben – abzüglich Aus- und Einsteigen, Shuttle Bus hin und zurück – netto also vermutlich sechs Stunden Zeit für die Menschen, die Stadt zu sehen.
*SlowClap*
Aber Hauptsache, ich bekomme von meinem Vizekanzler gesagt, ich müsse kürzer duschen, damit hier der Schweröl-Diesel* die ganze Zeit durch laufen kann.

Am Strand war der Frieden. Und als wir zurück kamen, war die andere Aida auch weg. Puh.

*) Ich lernte inzwischen, dass die AIDAs konkret nicht mehr mit Schweröl fahren, sonden mit LNG. Akzeptiert man, dass es Kreuzfahrtschiffe geben sollte, dann ist das natürlich eine Verbesserung. Guckt man mal ein bisschen übern Tellerrand, dann ists halt nicht so dolle. U choose.

Nachtrag am 12.7. beim Veröffentlichen: Gestern Abend haben wir mal geschaut, was so ein Kreuzfahrt-Trip kostet und was da eigentlich so passiert. (Viel, nichts)
Unpopular opinion: Verbieten. Einfach verbieten. Niemand hat „sich das aber schon verdient“, auf Kosten der Umwelt so zu handeln und zusätzlich ist es pures Opium fürs Volk.

Rückblick 7.7.2022 (Aarhus 7/2022)

Ein fauler Tag. Zwischendurch war die Liebste in der Stadt und ich fuhr raus zum Lieblingsstrand und machte in Ruhe ein paar Fotos.

… und eins von unserem Haus. Die Vermieterin hat unseren Balkon netterweise markiert, was für mich, der ich ja auf Muster & Wiederholungen bzw deren Bruch und auf Minimalismus stehe, natürlich sehr erfreut.

Abends versucht, in der Stadt etwas zu essen zu bekommen aber an der Menge der Menschen gescheitert, die das gleiche taten. Uns an die Vorteile einer Ferienwohnung (voller Kühlschrank) erinnert und viel geredet. Über Dänemark, über Deutschland, über die Vor- und Nachteile einer Verbeamtung. Große Themen.

Rückblick 6.7.2022 (Aarhus 7/2022)

Der erste Blick, als die Augen aufgehen:

Es gibt Momente da habe ich Sorge, dass ich niemals wieder weniger will und ich habe die Lotto-App jetzt ein paar Monate beobachtet: Im Schnitt mache ich da bisher Minus.

Als wir wach genug waren, fuhren wir ein Stündchen ins Land zum Heart Museum, einem Museum für zeitgenössische Kunst. Das Museum hatte ich irgendwann auf Instagram entdeckt und wir stehen ja auf sowas.
Ich machs kurz: Das war ein groß-, großartiger Energie-Tank-Tag. Im ersten Saal die Ausstellung „West Coast” von Henrik Saxgren – eine Reis an der dänischen Westküste entlang mit sehr großartigen Landschaftsaufnahmen. Dann eine Retrospektive von Tony Cragg und die ständige Ausstellung und das alles in einer Architektur, die mich diverse Male einfach sprachlos stehen und staunen ließ. Draußen noch diverse Skulpturensammlungen und – wow, das war wirklich gut.

Außerdem gabs im Museumscafé endlich mal originales dänisches Smørrebrød – vor allem die Liebste war schon diverse Urlaube auf der Suche nach einem dieser liebevoll belegten Kunstwerke, aber klassischerweise liegt eben auch Fleisch auf dem Brot. Hier gabs auch mal was anderes.
Außerdem den etwas seltsam-farbigen aber heiß geliebten Holundersaft und später Himbeerschnitten. Wenn Sie mal Lust auf einen richtig guten Zuckerschock haben – dänische Himbeerschnitten kicken da ganz gut.

Und sonst? War wohl auch anstrengend, aus dem obligatorischen Nachmittagsnickerchen direkt in der Panikattacke aufgewacht. Veratmet und Ursachenforschung betrieben und Ideen gehabt, aber die gehören jetzt hier nicht hin.

Abends nochmal zum Streefood rüber – da gibt es einen, der liegt nur 500m entfernt – und bei den Pizza Boys Abendessen abgeholt. Die Heizung auf dem Balkon angemacht und mit Blick auf rein- und rausfahrende Schiffe zu Abend gegessen.
Das war wieder gut.

Später noch Frau Jordan zugeguckt und wieder großen Spass gehabt. Kleiner, unbeauftragter und -bezahlter Erfahrungsbericht: Hide.me, das ich sonst höchstens gelegentlich mal nutze, um dänische Fernsehsendungen ohne Geoblocking zu sehen, ist hier jetzt – logischerweise in exakt anderer Richtung – im Dauereinsatz und erweist sich als sehr stabil und gut funktionierend.

Rückblick: 5.7.2022 (Aarhus 7/2022)

Deutlich zu früh wachten wir beide auf – was aber den Vorteil hatte, dass wir sehr entspannt mit Blick aufs Wasser langsam richtig wach werden und lange rumgammeln konnten – und dann war es immer noch gerade mal neun.

Wir starteten mit einem Gang durch das Viertel, in dem wir jetzt wohnen und am Hafenbecken entlang; und das bedeutete: Heute war erst mal Architekturtag. Die Insel auf der wir sind, war früher Teil des Hafens und ist dann ab 2008 umgebaut und zum Wohnviertel gemacht worden. Für die Häuser wurden internationale Architekten in Wettbewerben ausgesucht und so steht hier eine Augenweide neben der anderen. Oder auch nicht, das ist natürlich Geschmacksache; ich selbst bin mir teilweise nicht mal sicher* aber für die Idee und den Mut gibts auf jeden Fall volle Punktzahl.

Das hier ist der Ausblick von unserem Haus, 8. Stock in den Innenhof und Richtung Stadt rüber.

Zwischen den Häusern tun sich ständig neue Blicke und Perspektiven auf (und das ist doch etwas, was Architektur tun sollte. Oder?)

*) Nachtrag (oder Vorausschau, wie Sie wollen; ich komme mit den Zeitformen in diesen vorgeschriebenen Rückblicken etwas durcheinander): Später sind wir nochmal mehr zwischen den Häusern unterwegs gewesen. Hat man einen Balkon zum Meer ist das natürlich alles sehr super da. Hat man den nicht, guckt man vielleicht auch einfach nur vor das nächste Haus und hat morgens ein halbe Stunde Sonne und … hmmm, ich habe Zweifel.

Und nein, das ist nicht alles nur gentrifiziert hochpreisiges Wohnen; es gibt auch kleine Wohneinheiten, soweit ich weiß auch sozialen Wohnungsbau, Shops, Cafés, man trifft Menschen jeden Alters und irgendwo steht ein ganzes Mehrgenerationengebäude, das von Kleinkindbetreuung bis zur betreuten Alterspflege die gesamte Lebensspanne abdeckt.

Zum Hafen rüber kommt zuerst das Bassin 7 – hier gibt es zwei Wakeboardbahnen, ein Freibad und eine lange Reihe von Streetfood-Buden …

… dann kommen ein paar neue Bürogebäude (davor lag gerade zufällig die Dannebrog, das Schiff der dänischen Königsfamilie) und alte Hafengebäude…

… und dann das DOKK1, die neue Bibliothek der Stadt. Ich habe ja schon einmal drüber geschwärmt, wie weit weg von deutschen Büchereien dieser Bau ist, aber diesmal erlebten wir, wie die große Tubular Bell erklang. Also: Wie im Krankenhaus Aarhus ein Mensch geboren wurde. Das war ein ziemlich schöner Moment, sich vorzustellen, dass ein paar Kilometer weiter zwei sehr, sehr frischgebackene Eltern gerade vor Freude auf diesen Knopf gedrückt hatten.

(Blick aus dem DOKK1)

Das hätte also alles sehr schön sein können, aber weil das ja hier nicht nur das Fachblog für differenzierte Blicke auf die Welt und Webworker-Alltag, sondern auch das mit dem ungeschönten Blick auf Angsterkrankungen und PTBS ist, muss ich ergänzen: Zu sagen, es strenge mich an, wäre untertrieben. Die Umstellung auf eine andere Umgebung – so sehr ich sie auch liebe – kostet zumindest heute noch deutlich mehr Energie als alles Schöne reinbrachte und wenn ich nicht so viel in meinen montäglichen Seelenmassage-Sitzungen gelernt hätte, wäre ich längst wieder gefahren.

Nachmittags – VPN und Internet und aller Technik, die wir so lieben sei Dank – TourDeFrance geguckt, jaja, late to the party und erst am Spätnachmittag nochmal aus dem Haus. Erst in der Stadt geparkt, etwas Wiedersehen mit der Innenstadt gefeiert, gemerkt, dass wir uns langsam etwas auskennen. (Kennen Sie das, wenn man erst ein paar Ecken in eine Sadt kennt und sich dann langsam die Verbindungslinien erschließen kann? Da sind wir gerade. Heute zum Beispiel haben wir begriffen, dass der Kanal, an dem wir gern essen der gleiche Kanal ist, über den wir drüber müssen um ins Parkhaus zu kommen und schon war die Innenstadt 500m kleiner und ach, lassen Sie uns einfach hier zurück.
Jedenfalls: Sandwiches geholt und mit denen nochmal raus zum Strand. Diesmal kein Regen, diesmal Abendessen auf einem Steg in der Ostsee. Und viel von diesem Dings – Frieden, ja genau, der wars.

In der ganzen Stadt laufen Menschen mit lustigen Matrosenmützen rum und zufällig ergab sich beim Chips-Kauf für die Abendgestaltung die Möglichkeit, jemanden zu fragen. Ich paraphrasiere: „Das sind die Abifeiern und deswegen habe ich hier auch gerade den ganzen Einkaufswagen voller Alkohol. Bei uns ist nämlich gleich auch eine der Parties.“ Ja, das mit dem extrem vielen Alkohol war uns auch kurz davor aufgefallen.

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