Krankenhaus-Tagebuch, zweiter und letzter Teil
Erstaunlich gut geschlafen und jedesmal, wenn ich aufwache um mich umzudrehen, denke ich kurz an das große Privileg von den 1.60 x 2.20, die ich sonst für mich alleine habe. Ab halb sechs geht Rabatz los, alle sind immer super freundlich und lieb.
Der Zimmernachbar, btw. ein wirklich feiner älterer Herr, der genau wie ich sehr spontan eine Magenspiegelung gewonnen hat, bekommt Frühstück, weil er gestern schon dran war.
Gegen halb neun kommt ein mir unbekannter Mann rein, stellt sich ans Fußende des Bettes und fragt ohne so Umständlichkeiten wie Begrüßung oder Vorstellung „Sie sind wegen [irgendwas unverständliches mit »Gastro«] hier?“ Diese Eingangsfrage entpuppt sich als die Info und Aufklärung, dass ich noch ein CT dazubekommen habe. Vielleicht klappt das heute, das ist dann sehr prima, vielleicht muss ich das ambulant machen, dann warte ich acht Wochen auf den Termin – aber das macht nix und dann kann ich trotzdem heute nach Haus. Vermutlich. Vielleicht.
Er hält mir einen Bogen hin „in dem alles steht“ und den ich unterschreiben soll. Als ich die drei Seiten erst lesen will, ist er genervt; ich darf aber doch lesen und dann soll ich den Bogen halt der Schwester geben – er geht jetzt nämlich eh nach Hause.
Ich habe das Gefühl, das System zu stören und es tut mir menschlich unendlich leid; andererseits ist das System so kaputt, dass man es automatisch stört, wenn man auch nur eine Nachfrage stellt. Ich weiß, dass die Menschen hier nicht Schuld an der Misere sind – aber wem anders als ihnen selbst soll ich in dem Moment spiegeln, dass das so gerade nicht ok ist?
Ich lese den Zettel und habe Fragen. Zum Glück kommt kurz danach eine Schwester, die einen Moment mehr Zeit hat und sie mir beantworten kann.
Kurz danach kann ich schon rüber zur radiologischen Praxis – die ist ausgegliedert, aber im gleichen Gebäude. An allen Wartenden vorbei darf ich direkt durch, rauf auf die Liege, zwei vor, drei zurück einatmen, Luft anhalten, atmen, anhalten, atmen, danke, das wars.
Zurück ins Zimmer, beziehungsweise auf den Flur davor, denn die Liebste ist inzwischen da, wir sitzen in einer Ecke des Flurs im Sonnenschein und organisieren, dann ruft fröhlich die Schwesternschülerin durch den Flur. Wir haben uns in den letzten 20 Stunden schon so angefreundet, dass wir winkend in Zeitlupe aufeinander zulaufen. Ich bewundere sie sehr – sie ist sichtlich überlastet, hat Beef mit einer Schwester und ist zu Patientinnen der fröhlichste Menschen, den ich mindestens seit Corona getroffen habe.
Sie holt mich zur Spiegelung ab.
Auch da: Alle super, alle nett, die Frau, die mich an die Monitore anschließt ist die dritte, die meine Daten sieht und einen Bezug zum Tagesdatum herstellt und mir gratuliert und allen erzählt, sie wollten extra nett zu mir sein, ich hätte Geburtstag gehabt.
Ich freue mich schon seit dem Aufwachen auf den Moment, wo das Propofol mir langsam von hinten über die Schädeldecke kribbeln und mir die Augen verschließen wird und das ist dann auch exakt so super wie erhofft.
Zurück im Zimmer: Warten.
Irgendwann geht die Liebste mal nachfragen und kommt mit froher Kunde zurück: Man schreibt gerade den Bericht und dann kann ich gehen.
Ca. anderthalb Stunden später kommt eine sehr, sehr verlegene Schwester rein und berichtet: Irgendwo hat irgendjemand im Haus meinen Bericht auf irgendeinem Computer geöffnet und deswegen kann er hier auf dem Rechner nicht geöffnet werden, nicht mal zur Ansicht. Sie haben schon alle Stationen abtelefoniert, aber sie finden nicht raus, wo. Sie sind sich aber alle sicher, dass ich schon gehen kann und nichts Schlimmes entdeckt worden ist und ich soll dann Dienstag mal anrufen und nachfragen. Bis dahin haben ja bestimmt alle ihre Rechner mal ausgemacht.
Für mich gibts Pantozol bis Dienstag.
Ich gehe mit einem großen emotionalen Chaos in mir. Und wenns doch was Schlimmes ist? Was für ein kaputtes Scheiß System! Ach bestimmt hätten sie mich da behalten, wenn es auch nur Verdacht auf was Schlimmes gäbe. Was für scheiß Ärzte! Was für wunderbares Pflegepersonal! Warum hab ich immer noch Bauchweh? Wann kann ich essen (die Schwester wusste es nicht)? Werde ich mit meiner psychischen Vorgeschichte – die, wenn wir ehrlich sind pro Gespräch nur 30 Sekunden mehr Zeit benötigt hätte – jemals nicht der Störfaktor sein? Wieso hab ich Depp keine Zusatzversicherung, die mir die gleichen Leistungen bringen würde wie der Liebsten – dummerweise weiß ich ja, wie Ausstattung und Personaldecke drei Stockwerke weiter oben aussehen. Naja und so weiter.
Sofort die erste Pantozol bewirkt schon erstaunliches, aber ich bin auch heute, einen Tag später noch ganz schön matschig.
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