9.2.2022 – Geschichten von vorm Kriech

Wissen Sie, ich schreibe ja schon wirklich lange in dieses Internet. In ein Blog seit zwanzig Jahren, in dies Internet seit dreiundzwanzig und ich muss gestehen, diese Zeiten damals haben mich in einem sehr geprägt: Ich mag das hier eigentlich recht gern.

Damals, als wir 25, vielleicht auch 50 Bloggerinnen und vielleicht 5000 Leserinnen waren, da war das alles so nett überschaubar. Mit meiner guten Kinderstube habe ich mich damals trotzdem immer brav vorgestellt, wenn ich wem was schrieb oder kommentierte. „Christian aussem jawl“ hab ich immer drunter geschrieben und dann sagte mal jemand zu mir „aber Du musst Dich doch nicht vorstellen“ und dann hab ich mir einen sogenannten „Counter“, eine frühe Version von GoogleAnalytics ins Blog gebaut und danach war ich – immer davon überzeugt, ich hätte ca 10 Leserinnen – etwas erstaunt. Ich musste mich damals offensichtlich echt nicht vorstellen. Habs natürlich weiter trotzdem gemacht.

Das ist lange her und es ist vollkommen ok, dass die times ge-a-changed haben; der einzige Grund, warum ich diese alten Geschichten von vorm Krieg hervorhole ist dieser: Wenn ich also damals jemandem was schreiben wollte, dann tat ich das – denn ich konnte sicher sein, sie oder er wussten, mit wem sie es zu tun hatten. Wie wir alle. (War natürlich eine eher eigenartige und in dieser Hinsicht recht privilegisrte Situation)
Und nun ist es 2022 und wir sind nicht mehr 50 Leute, die ins Netz schreiben und auch die Leserinnen sind mehr geworden. Und natürlich ist es anstrengend, dass irgendjemand Sophie Scholl, dem Wendler oder den Dickpick-sendenden Idioten ein Handy anvertraut hat, aber da sind immer noch so viele, viele tolle Menschen.

Und manchmal passiert es mir deswegen noch, dass ich jemandem einfach etwas sagen möchte, so aus dem Nichts, weil sie so klug sind oder so kreativ oder so lustig, oder mir gerade so viel Freude gemacht haben und dann vergesse ich manchmal fast, dass ich schon lange nicht mehr der „Christian aussem jawl“ bin, sondern ein random dude aus dem Netz. Und manchmal vergesse ich dann auch kurz, was mich #metoo und #aufschrei und das Zuhören gelehrt haben und dass eine Nachricht von einem random dude in der DM- oder Mailbox nichts ist, worüber vor allem Frau sich immer uneingeschränkt freut.
Und ganz selten vergesse ich es nicht nur fast, sondern ganz – und dann merke ich es einen Moment später und dann weiß ich aber: Ich bekomme das jetzt nicht zurück. Ich habe eine solide Chance, gerade jemanden erschrocken zu haben und ich hasse das. Aber alles, was ich jetzt nachschieben würde wäre falsch.
Denn, in Kurzform:
Weil ich nicht creepy bin könnte ich schreiben, dass ich nicht creepy bin.
Aber: wäre ich creepy, dann schriebe ich jetzt, dass ich nicht creepy bin.
Ergo: Egal, was ich tue – ich würde dadurch creepy.
Und ich habe einmal in meinem Leben sieben Jahre „Konversation“ eines Stalkers gelesen, glauben Sie mir, ich kenne all diese Sätze. Sie klingen einzeln alle total normal und werden durch den Kontext schlimm.

Verstehen Sie mich nicht falsch: ich will nicht jammern, dass „ich ja jetzt noch nicht mal jemand ein Kompliment machen darf“, darum soll es gar nicht gehen; ich bin zwar ein alter weißer Mann, aber ich habe zugehört und ich bin noch lernfähig.
Aber ich möchte einmal kurz so richtig wütend sein auf diejenigen meiner Geschlechtsgenossen, die das einfach so richtig und vollkommen versaut haben.

Sonst heute nix besonderes los. Ach doch, beim Auto-Lade-Spaziergang hörten wir was in der Luft und sahen: Die Kranicher kommen zurück. bestes Frühlingsgefühl ever, ever.

(richtig, da versagt die iPhone-Kamera dann doch)

Sie mögen das, wenn ich auch mal aus dem täglichen Alltags-Einerlei ausbreche und über Gott und die Welt nachdenke? Hier steht eine virtuelle Kaffeekasse!
Oder – wenn Ihnen Geld zu unpersönlich ist – hier ist meine Wishlist.

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