Gestern erwischte mich so ein kleines IG-Meme, Sie wissen schon, diese Sticker „show me a picture with water“, aber diesmal wars „tell me what jobs you’ve had“ Schon spannend, wie alle versuchen, aus einem Bilderdienst einen Text-Dienst zu machen und sich dann wundern, wenn die Bilder immer unwichtiger werden – aber das ist ein anderes Thema.
Jedenfalls dachte ich „och, da mach ich mit, die Liste bei mir ist lustig“ und am Ende schaute ich drauf und wurde nachdenklich. Denn diese Liste sah so aus:
- Lagerfuzzi in der Fabrik
Mit 16, drei Wochen in den Sommerferien. So wie alle damals. - Schräubchen in Döschen-Packer in der Fabrik
Mit 17, drei Wochen in den Sommerferien.
Das zweite mal das theoretische Wissen über Marx und die Entfremdung von der Arbeit mit Inhalt füllen können und beschlossen, nie mehr in die Fabrik zu wollen. - Prakti in der Werbeagentur
Mit 17, die anderen drei Wochen in den Sommerferien. First Contact mit Grafikdesign, Typografie, Werbung. Große Liebe. - Regalauffüller im Supermarkt
Nach dem Abi zwei Monate. Faire Arbeit, gutes Geld. - Zivi in Jugendtreff und Kirchengemeinde
War super gewesen. Erster Kontakt mit Jugendarbeit – große Liebe.
Letzter Kontakt mit Kirche – obwohl die da super waren: keine Liebe.
– ab da offizieller Status: Student der Sonderpädagogik – - Samstagsabendskellner in der örtlichen In-Kneipe
Ca. ein halbes Jahr. Gastro und ich: keine Freunde. - Mikroaufsteller im Tonstudio
Kein Job für Geld, aber wenn der Laden gebucht war, dann war er halt gebucht, nicht wahr? Das waren dann immer Power-Wochenenden von Freitag- bis Sonntagabend. Außerdem hingen wir da eh gerne rum, denn dort war eine extrem kreative Atmosphäre, ich erzählte schon mal davon. - Renovierungs-Helfer im Jugendtreff
Ca. ein halbes Jahr in dem wir aus einer alten Grundschule einen Jugendtreff machten. Dann wurde eröffnet und ich wurde zur … - Hornorarkraft im Jugendtreff
Ca. vier Jahre, davon dreieinhalb als Leitungsvertretung – also zum Chef, wenn die Chefin nicht da war. Meist dreimal die Woche von fünf bis neun im offenen Treff oder in der Billard-Gruppe oder freitags lang in der Discoveranstaltung. Oder auch mal ein Wochenende weggefahren. - Sommerferienspaß-Macher mit Kindern
Parallel sieben Jahre lang jeweils die kompletten Sommerferien. Die letzten beiden Jahre als Leitung. Best Job ever, wir hatten einen Bauwagen voll mit Spiel- und Bastelzeugs und standen auf irgendeiner Wiese. Sieben Teamerinnen und zwischen 30 und 130 Kinder. Danach braun wie nach zwei Wochen Malle und gefühlt so reich wie Dagobert.
Außerdem hab ich die Chefin der ersten vier Jahre geheiratet. - Referent für allerlei in der Jugendbildungsstätte
Parallel zu dem anderen Pädagogenzeugs. Das waren jeweils Wochenendseminare, zwei oder drei Teamer und zehn bis zwanzig Jugendliche. Ich erinnere mich an so unterschiedliche Themen wie „Liebe Sex und Zärtlichkeit“ und „Orga einer Disco-Veranstaltung für Gruppenleiter“
Dort schrieb ich das erste Mal ein protokoll im generischen Feminium und bekam dafür kräftig auf die Moppe. - Übermittagsbetreuungs-Fuzzi
Parallel zwei Jahre jeden Mittag in einem Jugendtreff, in dem – damals noch eher ungewöhnlich – die fünfte und sechste Klasse der benachbarten Hauptschule Mittagessen und dann Raum, Zeit und Unterstützung für und bei den Hausaufgaben bekam. Heute zB unter dem Namen OGS voll normal. - Telefonmeinungsumfrager
Nur drei Monate, nachdem Jugendtreff nicht mehr ging. Der Treff war ziemlich eskaliert, wir wurden teilweise von Besuchern bedroht und bekamen keine Unterstützung von außen und es war Zeit für mich zu gehen.
Ich war als Umfrager richtig gut, aber der Durchlauf da war hoch und es lag, denke ich, nicht an den Mitarbeitenden. - Der Mann vom Jugendamt
Vermutlich der verantwortungsvollste Nebenjob und der, der mich am meisten geprägt hat. Ich habe – in verschiedenen Konstellationen – für verschiedene Jugendämter Jugendliche betreut. Konkret: Ich traf sie im Schnitt zwei bis viermal die Woche und machte z.B. Konfliktmediation mit den Eltern, half bei Hausaufgaben und Problemen mit der Schule, begleitete bei Behördengängen und war im Endeffekt einfach für sie da.
Meist waren das Kids, die gerade aus allen Systemen rausglitten und da war der Hauptjob: Kontakt halten. Egal, ob wir dazu binomische Formeln paukten oder uns über die Pornos unterhielten, die er auf einem Stick von einem Kumpel bekommen hatte.
Nahezu immer war der Familienfriede so am Ende, dass eine Heimunterbringung (wie es so schön hiess) im Raum stand – und die will man bei 16-jährigen gern vermeiden. Also versuchte wir, das System so lange wie es ging zu stützen, bis die Kids mit 18 ausziehen konnten und dann in ein anderes Betreuungssystem rutschen konnten.
Andersherum hab ich auch Kids betreut, die mit 18 aus dem Heim kamen und machte quasi Wiedereingliederungsunterstützung: Unterstützung bei Behördengängen, Wohnungssuche, auch mal Möbel aufbauen und wieder: Vor allem Ansprechpartner sein.
Ich war in den Familien, die wir heute bei Frauentausch, Hartz und herzlich oder ähnlichen Formaten mit wohligem Grusel begucken, ich habe die Menschen kennen gelernt, auf sie herab zu schauen verlernt und vor allem wurde ich sehr, sehr demütig über meine eigene privilegierte Situation. Außerdem ein bisschen wütend auf ein System, das sich soziale Marktwirtschaft nannte, aber unausgebildete Honorarkräfte ohne Supervision wie mich und meine Kolleginnen dorthin schickte.
Im Rückblick weiß ich: Ich hab das gut gemacht, ich war für die meisten „meiner“ Kids ein guter Ansprechpartner zu dem sie Vertrauen hatten. Aber ich finde ebenso: Ich hätte das einfach nicht machen dürfen.
Trotzdem bin ich dem Leben unendlich dankbar, dass ich es gemacht habe. - Stagehand im örtlichen Theater
Parallel zu allem andern, jeweils auf Zuruf, wenn ein Tourneetheater vorbeikam: Kulissen aus dem LKW auf die Bühne und nachts wieder zurück. So hab ich von Herbert Hermann bis Jutta Speidel viele der alten Garde der deutschen Schauspielerinnen getroffen. - Kurierfahrer für eine Werbeagentur
Parallel zu allem anderen: Auf Zuruf immer mal wieder von Druckvorlagen zur Druckerei bis zu den zu spät gedruckten Katalogen zur Messe alles mögliche für die Werbeagentur aus Punkt drei durch die Gegend gefahren. Ich zahlte damals nur meinen Sprit, sie rechneten den vollen Kilometersatz ab und es war ein Win-Win.
Nicht ausführlicher erwähnt: Die fürs Studium nötigen Praktika, diverse Nachhilfe-Jobs, Inventur-Tage wo immer es ging, Einspringen in anderen Jugendtreffs wenn dort Not an Mann und Frau war, Aushilfe an Hüpfburg oder Rollenrutsche bei irgendwelchen Events, ein kurzes Gastspiel bei Tengelmanns Kinderumweltclub.
Falls Sie sich wundern, wann ich denn studiert habe – tja.
– Ab 27 dann – - Webdesigner.
Erst selbstständig und die Betreuungsjobs sowie die Hausaufgabenbetreuung liefen parallel noch ein bisschen weiter. Dann mit einer kleinen Agentur und dann wieder alleine unterwegs, so wie Sie das hier kennen.
Ich schaute also auf diese Liste, dachte vor allem nochmal lange über Punkt 14 nach und dann fiel mir ein, dass mein Unterbewusstsein lange davon überzeugt war, dass ich ein fauler, verantwortungsloser Typ sei. Das hatten mir meine Eltern schließlich so beigebracht.
Wie sieht denn Ihre Liste so aus?
Es ist übrigens wieder diese Zeit des Jahres: Sauron schmiedet morgens im Sauerland wieder an irgendwas rum.
Musik des Tages:
Sie lesen abseits des üblichen Tagebuchblog-Betriebs auch gern mal so eine Geschichte? Sie möchten sich bedanken? Hier steht die Kaffeekasse und wenn Sie finden, Geld riecht unangenehm, dann freue ich mich auch über Überraschungspost von der Wishlist.
Ich habe grad Ihre Liste gelesen und dachte, ich wuerde Sie wirklich gern im „echten“ Leben kennen, weil Sie so ein angenehmer, zugewandter und aufmerksamer Menschenfreund sind. Vielen Dank fuers Mitlesenlassen hier. (Waehrend des Studiums habe ich als Messgehilfe Stangen herumgetragen und sass bei Quelle am Telefon in der Bestellannahme, beides Jobs, die ich auf keinen Fall mein ganzes Leben machen wollte und mich dazu brachten, mich um mein Studium zu kuemmern)
Das ist aber ein sehr nettes Kompliment, das nehm ich jetzt mit in den Tag und wärm mich gelegentlich dran <3