25.12.2018 – Friede, flüsterte der Engel. Ach halt doch die Klappe, (trauen sich viele nicht zu sagen)

Ich weiß ja nicht, wie Sie’s so mit Ihrer Familie halten, aber wenn ich mich in Zeitung, Fernsehen, Radio oder Internet umsehe, dann gibt’s da eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass sie sie gerade treffen oder getroffen haben. Und gemeinsam feiern.

Angenommen, man hat da jetzt nicht so einen guten Draht – das ist ja eh nicht mehr so einfach. Also heute. Früher, so mit sechzehn, da gings. Mit sechzehn haben alle Zoff mit ihren Eltern. Hat man Glück, gibt’s da noch ne Tante oder Oma, mit der man sich versteht, aber allgemein wissen alle: Pubertät ist, wenn die Eltern anfangen schwierig zu werden. Haha. Ha. Ha.
Das Schöne an dieser Zeit ist, dass man sich – nicht nur, aber gerade zu diesem Thema – unfassbar verstanden beiden Gleichaltrigen fühlt.

Hat man aber jetzt das Pech, dass sich das Verhältnis nach der Pubertät nicht wieder „normalisiert“, hat man das Pech dass – aus Gründen die ebenso vielfältig wie hier gerade unwichtig sein können – das Wort „Familie“ einen schmerzhaften Beigeschmack behält, dann stößt man bald auf Unverständnis. Dann fühlt man sich nicht mehr verstanden, dann kann man recht bald da mit niemand mehr drüber sprechen.

Vermutlich gewöhnt man sich dran, nicht mehr darüber zu sprechen. Aber dann kommt Weihnachten, ziemlich regelmäßig einmal im Jahr übrigens. Mitte November beginnt es, der Höhepunkt ist – wem erzähl ichs? – Ende Dezember: Alles schreit: Familie! Familie! Ohne Familie ist alles nichts! Fahret heim zu Eurem Eltern! Ladet die Familien ein! Trefft Euch und schlemmt und trinkt und lasst Eure Router sichern … – oh Verzeihung , ich wollte gar nicht in Ironie verfallen.
Man beantwortet jedes Jahr zigfach von neuem die Frage, in welcher Reihenfolge man denn welche Eltern besucht, oder wann wer kommt. Man wird jedes Jahr wieder zigfach kurz seltsam angesehen und dann sagen alle „ach ja, das ist bestimmt auch schön“. Und dann vergessen sie es wieder, nur um direkt „zwischen den Tagen“ erneut zu fragen, wie man denn „die Tage“ verbracht hat.
Oder sie sagen: „Ach, Du musst Dich vielleicht nur mal aufraffen, da ist Weihnachten doch auch eine schöne Gelegenheit.“

Und niemand bringt auch nur ein winzigstes Zeichen des Verständnisses dafür auf, dass Weihnachten vielleicht für manche Menschen ein wochenlanger Kampf darum ist, alte Wunden nicht zu weit aufreißen zu lassen. Dass es Menschen gibt, die sehr sorgam ab November, wenn es eh dunkler und anstrengender wird, die Schilde hochfahren müssen.
Zum dem Gefühl der Trauer gesellt sich so auch noch Allensein und das Unverständnis der anderen. Nicht wie mit sechzehn wird man immerhin noch vom Verstehen der anderen aufgefangen – statt dessen sieht man an jeder Ecke 24/7 den Beweis: Du bist anderes! Denn überall blinkt und glitzert es ja auf einen ein, wie es sein sollte. Und man verstummt vor dieser Übermacht.

Ja, ich weiß, auch mit Familie und rauschendem Fest ist es auch nicht immer leicht und hinterher ist man auch froh, wenn’s vorbei ist. Aber soll ich Euch ein Geheimnis verraten? Feste sind nie leicht, die sind immer organisatorischer und logistischer Aufwand und auch immer etwas anstrengend und oft bricht sich auch irgendwann der zu hohe Erwartungsdruck in Streit und/oder Tränen Bahn.
Ich spreche von etwas anderem.

Wenn’s bei Euch also töfte läuft, dann denkt vielleicht einen kurzen Moment daran: Nicht alle haben gerade Spaß. Niemand will Euch Weihnachten verbieten, verändern, versauen. Aber zum Beispiel der kleine Moment Aufmerksamkeit, sich bis nächstes Jahr zu merken, dass man nicht, nein, echt nicht „Heim fährt“ – das wäre nett.

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14 Kommentare

  1. Bonsoir,

    dieses Jahr scheint der angesprochene Punkt ziemlich gefragt zu sein, zumindest bei der ZEIT.
    Ich habe mich des Themas nach einem veritablen Streit mit meinem Vater 2008 entgültig entledigt und vermisse auch nichts.
    Keiner meint, cholerisch werden zu müssen.
    Keiner patscht sich selbst dauernd auf die Schulter, wie toll er doch alles geregelt hätte.
    Und keiner lästert mir stundenlang die Ohren voll mit Gehässigkeiten über Freunde und Familie.
    Mutsch starb 2007 und Omi ist auch schon ein paar Jahre tot. Seit dem ich da diese Grenze gezogen habe Dezember 2008 und endgültig „weg bin“ seit Dezember 2014, muß ich meine Zeit auch nicht mehr damit verbringen, Mutsch und Omi zu verteidigen. Immer mit der Gefahr vor der Nase, mein Vater würde mal wieder austicken. (Das kann er besonders gut.)

    Ganz ehrlich? Familie schön und gut, aber bitte ganz weit weg!

    In diesem Sinne, wünsche ich einen angenehmen Abend. Mit weniger schweren Gedanken!

    Franziska

    1. Die Geschichten derjenigen, die nicht glücklich „zu Hause“ sind, gleichen sich leider sehr oft, habe ich das Gefühl.
      Danke Dir, ich wünsche Dir auch einen guten Abend!

  2. Etwas, was wir Familienglücklichen viel zu selten bedenken. Ich hoffe, es geht ihnen trotzdem gut in diesen Tagen. Und was für ein wunderschöner Song zu diesem schwierigen Thema. Für 2019 – I wish you find a river to skate away on!

  3. Hallo, der Artikel spricht mir aus der Seele. Ich habe ihn ins englische übersetzt. Wenn Interesse besteht, diesen in den sozialen Netwerken so einem weiterem Publikum zugänglich zu machen, schicke ich Ihnen gerne den englischen Text zu.

    1. @Tulikki: Danke, da hab ich eigentlich kein Interesse. Du hast ihn nur für Dich übersetzt oder auch irgendwo veröffentlicht?

Kommentare sind geschlossen.

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