24.1.2024 – KI. Und Kunst. Und freies Denken

(Vorspiel, das ist hier immerhin ein Tagebuchblog)

Am Schreibtisch versucht, die Inbox von all den Dingen zu befreien, die ich seit Mitte letzter Woche auf „nach Montag“ schieben musste. Dabei in einem seltsamen Anfall von Anachronismus ZZ Top gehört.

Nein ehrlich: 12345 konnte ich bei der Postleitzahl nicht eingeben, 12346 ging aber“. Das sind dann auch User-Rückmeldungen, mit denen man umgehen muss. Aus Programmierer-Sicht nicht nachvollziehbar, denn dem Schema „5 Zeichen, alles Ziffern“ entsprechen beide Eingaben und die Sonderregel „und keine 5, denn ich mag die 5 nicht“, die habe ich in der Programmierung nicht verankert.
We live, we learn.


(jetzt aber zur Überschrift)

Die aktuelle Folge von Haken Dran mit Franziska als Gästin gehört. Irgendwann gen Ende erfahren, dass Google seinem Browser Chrome jetzt „KI“ einpflanzt – als Funktion, die beliebige Formularfelder füllen kann. Gastgeber Gavin lachte und sagte sinngemäß: „Wie schön, dann unterhalten sich im Web endlich nur noch Bots mit Bots“ und natürlich war das witzig gemeint, aber es brachte mich zum Nachdenken. Und erstaunlicherweise war ich in einem Gedankensprung bei Musikern und in zweien bei Wissenschaft und Forschung und dann bei Nazis und ich kann nicht anders, ich muss Sie teilhaben lassen. Dafür sind Sie schließlich hier.

Grundthese: Das, was wir heute so enthusiastisch als KI bezeichnen ist keine, sondern nur eine Durchschnittlichkeitsmaschine. Alle Angebote die ich kenne, basieren darauf, dass sie möglichst viel Daten gefüttert bekommen haben und auf eine Frage/einen Prompt hin diese Datenbasis durchsuchen nach der statistisch wahrscheinlichsten Antwort in der wahrscheinlichsten Formulierung; wahlweise den wahrscheinlichsten Pixel-Kombinationen, Ton-Folgen usw.
Es entsteht also: Der Durchschnitt aus der Datenbasis.
Das ist nicht intelligent, das ist hauptsächlich erst Sammel- und dann Rechenleistung; wäre Intelligenz im Spiel, dann würden keine Hände mit sechs Fingern entstehen.

Adobe Firefly, Prompt: „schöne junge frau“

Dieses Ergebnis wirkt deswegen so spektakulär, weil es eben genau unseren Erwartungen entspricht – und unsere Erwartungen sind wiederum auch ein Ergebnis aus allem was wir in unserem Leben bis jetzt gesehen, gehört, erfahren haben.
Schon vor 13 Jahren errechnete man Durchschnittsgesichter, legte sie Probanden zusammen mit Fotos von echten Gesichtern vor und fragte nach Schönheit. Ergebnis: Die KI-Bilder, der Durchschnitt also, wurde als schöner empfunden.

Wie toll!“ mag man rufen – dann ist KI ja genau das, was gut und richtig für uns alle ist. Ja, irgendwie schon.

Aber.
Es geschieht keine Weiterentwicklung, wenn man dem Durchschnitt folgt. Weiterentwicklung passiert, wenn jemand die „normalen“ Pfade verlässt und sich Dinge traut, die sich sonst niemand traut:
Was wäre, wenn ich einfach mal davon ausgehe, dass die Zeit unter bestimmten Bedingungen langsamer verläuft?“ ist so ein Gedanke, der weit, weit außerhalb des „normalen“ liegt und noch heute feiern wir Einstein für seine 100 Jahre alten Ideen.
Was wäre, wenn ich nicht male, was ich sehe, sondern das was ich fühle?“ fragten sich die Expressionisten und heute feiern wir den blauen Reiter.
Was wäre, wenn ich nicht in den Akkordfolgen denke, sondern in Skalen?“, fragte sich Miles Davis und produzierte das bis heute meistverkaufte Jazz-Album der Geschichte.
Was ist, wenn es mehr Zahlen gibt, als ich Dinge vor mir sehen und zählen kann?“ ist einer der wichtigsten Schritte in der Entwicklung des mathematischen Verständnisses bei Kindern.
Was wäre, wenn … – naja, Sie haben verstanden, worauf ich hinaus will.

Adobe Firefly, Prompt: „musikproduzent bei der arbeit im studio. er sitzt am mischpult, hinter einer glasscheibe sieht man eine band. es ist dunkel“

(Gedankensprung) Vor ein oder zwei Staffeln „The Voice of Germany“ passierte ein kleiner interessanter Moment. Die Coaches hatten sich in einen Running-Gag rund um „Wir können ja auch Schlager machen“ hineingesteigert und plötzlich hatten sie eine Textzeile, die sehr schlagerig klang. Nico Santos, damals Coach, sprang auf und rief der Band zu (ich paraphrasiere): „Spielt mal einen 1-4-5-4 in C und 4 on the floor“ – die Band tat das, der Text ließ sich darüber singen und das Publikum staunte, dass der tolle Nico quasi in 20 Sekunden ein ganzes Lied komponiert hatte.
Das Problem: Er hatte kein Lied komponiert. Er hatte den absoluten Durchschnitt mit einer der drei damals typischsten Akkordfolgen inkl. Beat gewählt und die Band – in Musikern vollkommen verständlichen knappen Worten – angewiesen das zu spielen. Bei Interesse lesen Sie hier so ausführlich wie amüsant, wie das mit der Schlagerkomposition geht.
Kunst ist da nicht entstanden.

Eine mir bekannte dänische Sängerin erzählte mal, dass sie vor Jahren mal bei einem Songwriting-Workshop gewesen wäre und sie dort so Sätze hörte wie (ich paraphrasiere wieder) „37,4% der erfolgreichsten Songs dieses Genres sind in G-Dur, auf 1-6-5-4 oder 1-4-5-4, beginnen mit der Hook und kommen in unter einer Minute zum Refrain“. Sie hat den Workshop dann verlassen.
Kunst ist da nicht entstanden.

Nun, offensichtlich finde ich das ja problematisch. Warum?
Weil ich finde weiß, dass wir Kreativität brauchen. Ohne Kreativität bewegen wir uns als Gesellschaft nicht weiter. Und damit bin ich ja nun wirklich nicht alleine – mache ich mein Instagram oder den Spam-Ordner auf, dann gibt es da einen guten Teil, der sich nur um Kreativitätssteigerung dreht.
Und „Think outside your comfort-zone“ – das kennt nun wirklich jede. Phrasen wie „andere Wege gehen“ „Out of the box“ oder bis vor wenigen Jahren auch das Wort „Querdenker“ haben/hatten einen durchaus positiven Geschmack.

Und dabei ist es egal, ob wir Musikerinnen, Malerinnen oder Denkerinnen sind – der Mechanismus im Gehirn ist immer der gleiche und die Klammer um alles ist: Kreativität – die wir erlauben oder eben nicht. Prozess-Optimierung hin oder her: Wir können nicht an einer Ecke unserer Haltung zB die Kreativität in Kunst und Musik langweilig finden oder sogar ablehnen, aber an der anderen Ecke – in der Forschung – feiern und fordern. Die kommen immer zusammen, die sind nur verschiedene Geschmacksrichtungen von Kreativität.

Also: Die Beschränkung auf den Durchschnitt tötet Kunst, Durchschnitt tötet Kreativität, Durchschnitt tötet Wissensdurst und dann auch freies Denken überhaupt – auch wenn sich die Ergebnisse aus den Durchschnittlichkeitsmaschinen zuerst so begeisternd und gut anfühlen.

Exkurs in unseren Kopf: Durchschnitt fühlt sich nur so gut an, weil er so gewohnt ist, weil er unser Gehirn nicht zur Arbeit zwingt. Wir müssen über Durchschnitt nicht nachdenken – und da fickt uns leider eine Grundfunktion unseres Stammhirns: Es ist darauf ausgelegt, Energie zu sparen und so wenig wie möglich zu denken. Wir sind schlicht darauf programmiert, in der Comfort-Zone zu sein – denn unser Stammhirn hängt noch im Pliozän, als die Comfort-Zone eine vor Bären sichere Höhle mit Lagerfeuer war und nicht durch Konsum und TV betäubtes Abhängen auf der Couch im beige-farbenen Hygge-Paradies.

Adobe Flirefly, Prompt „wilde party viel alkohol am strand mit vielen menschen playa del palma“

Verlassen wir dieses Sofa in die zweite deutsche Comfort-Zone: Wenn Sie heute an den Ballermann gehen, dann laufen dort exakt zwei Arten von Musik.
Einmal diese Schema-F-Musik. Und weil sich alles so ähnlich ist und man ja irgendwie heraus stechen muss, werden dann halt provokative Texte von Puffmüttern, Titten und Kartoffelsalat drüber gelegt und manchmal klappts und jemand hat einen „Hit“ damit.
Und dann gibts noch Coverversionen alter Hits, die unsere und die nächste Generation geweckt nachts um drei singen kann und bei der der „aawwww, DAS war schön“-Effekt eintritt, wenn Tim Toupet oder Kollegen damit auf die Bühne kommen. (Sie wissen, dass schon das Bett im Kornfeld ein eingedeutschtes 1:1-Cover ist?)
Die Menschen, die das hören, halten das für Musik, den wir Menschen neigen leicht dazu, uns an etwas zu gewöhnen und das, was wir bekommen für normal zu halten. Also hören die das dann auch zu Hause, die abonnieren die „Best of Ballermann“-Playlist. Niemand muss denken, nicht recherchieren, keine Irritationen aushalten und: Das ist einfach zu bekommen, die müssen also auch kein Geld für Musik ausgeben, denn die generische Schlagerscheiße reicht ihnen irgendwann.
Was nach den Gesetzen des Markts bedeutet, das für echte Musik kein Geld mehr da ist und dann bleibt irgendwann überraschenderweise nur noch billig produzierter generischer Dreck übrig.

(Ich freue mich sehr darauf, wenn die erfolgreichen Schlager-„Produzenten“ erleben, dass die KI ihren Job wirklich gut kann und ihnen den Job nimmt – aber das nur nebenbei.)

Zurück zu den nicht-Musik-hörenden Menschen: Irgendwann hören die dann mal einenWalzer in 3/4 oder ein Stück Jazz in 7/8 und finden das komisch und anstrengend; und wenn man die zu Gast hat und die wohl-kuratierte Playlist „Wir haben Gäste“ anmacht, dann finden sie die Musik anstrengend und den Gastgeber gleich dazu (für Sie getestet).

(Adobe Firefly, Prompt: „szene aus einem jazzclub in den 1960er jahren. vorne ein saxophonist, dahinter drummer und kontrabassist. es ist dunkel, im scheinwerferlicht sieht man rauchschwaden.“

Wenn sich ein Durchschnitt aber erst einmal so richtig etabliert hat, so richtig common ground für die Menschen geworden ist – dann werden die, die noch anders denken immer argwöhnischer beäugt. Egal, ob sie nun andere Musik auflegen (ich kann damit umgehen, kein Ding) oder weil sie was anderes denken.

(Jetzt der nicht mehr so überraschende Gedankensprung) Von Skepsis über Kunst zu entarteter Kunst ist es gar nicht mehr so weit. Es ist ja auch kein Wunder, dass Faschisten Künstler und Wissenschaftler verbannen – denn sie wollen nicht, dass jemand denkt. Faschismus ist ein Konzept das so löchrig ist, dass es für die Machthaber nur funktioniert, wenn niemand darüber nachdenkt – ergo muss alles, was zum Denken anregen könnte, abgeschafft werden. Wie gesagt: Unser Stammhirn – durchaus bequem und darüber hinaus leicht zu ängstigen spielt ihnen da in die Hände.
Auch deswegen sorgt es mich, wenn Menschen in Kunst und Kultur so bequem im Mittelmaß kleben bleiben – dafür habe ich den Satz „na, DU musst ja immer was besonderes sein“ zu oft und zu vorwurfsvoll gehört. Ja, wenn ich von meiner Liebe zu Jazz oder Expressionismus sprach.

Und jetzt hab ich einen Bogen von KI zu etwas geschlagen, was mir nicht so richtig gut gefällt und falls Sie das hier lesen, weil sie mich nach meiner Meinung zu KI gefragt haben und ich Sie hierhin geschickt habe: Das sind meine Gefühle zu KI.
Falls Sie übrigens gelesen haben, dass ich KIs faschistisch finde, dann: TL;DR KIs fördern die Durchschnittlichkeit und Durchschnittlichkeit macht es zB Faschisten leichter.

In zwei Tagen kommt – aber das wissen Sie schon, oder? – meine erste Single und ein Remaster eines mal auf ein paar CDs erhältlichen Albums heraus. Garantiert keine große Kunst, aber auch garantiert nicht nach Schema F, was meinem Kopf da entsprungen ist. (Man soll doch die schamlose Eigenwerbung immer ans Thema anknüpfen, oder?)

Sie mögen das, wenn ich auch mal aus dem täglichen Alltags-Einerlei ausbreche und über Gott und die Welt nachdenke? Hier steht eine virtuelle Kaffeekasse!
Oder – wenn Ihnen Geld zu unpersönlich ist – hier ist meine Wishlist.

3 Kommentare

  1. Ich glaube, das Wort „Durchschnittlichkeitsmaschine“ und den Gedankengang von der KI über die Durchschnittlichkeit zum Faschismus werde ich mir in Zukunft häufiger mal ausleihen. Danke dafür

  2. Du schreibst mir aus der Seele!
    Allerdings bin ich der Meinung, dass es diese Abneigung von allem außerhalb des Durchschnitts schon immer gab.

    ,,KI“ wird vor allen Dingen genau dort zuschlagen, wo *generische Scheiße* produziert wird: Schlager, Stockfotos (die Beispiele in Deinem Blogeintrag passen da genau rein), Sportberichterstattung.

    Ich versuche jetzt mal, ein positiveres Bild zu malen: Vielleicht wird Menschen jetzt erst bewusst, wie standardisiert alles um sie herum eigentlich ist.

    Ein Beispiel: In BaWü testet mal eine generative ,,KI“. Ein Teil davon ist der ,,Vermerkomat“, der aus ein paar Spiegelstrichen Fließtext produziert. Wenn dann später die Vorgesetzten den ,,Zusammenfassomat“ benutzen, um sich diese Fließtexte wieder zu ein paar Spiegelstrichen zusammenfassen zu lassen, merkt man vielleicht, dass diese gesamte Formuliererei (die viel Zeit in Anspruch nehmen kann und viel Energie kostet*) komplett überflüssiges Geschwafel ist!

    Ein anderes Beispiel: Als ich letztens den Film ,,Rebel Moon“ gesehen habe, hatte ich die ganze Zeit den Verdacht, dass eine KI ihn erstellt hätte.

    * gebranntes Kind

  3. Volle Zustimmung. Das, was derzeit als KI bezeichnet wird, ist „nur“ eine immens große Datenbasis und ein ziemlich komplexer Algorithmus zur Auswertung dieser Daten. Das ist alles mehr und komplexer, als es ein durchscnittliches Hirn erfassen kann, deshalb kommt es einem so vor, als ob die Maschine selbst denken würde.
    Das was diese Tools könen, ist toll, aber keine Intelligenz.

    Bei Schlager und evtl. auch bei vielen Pop-Formaten besteht auch gar nicht der Anspruch, dass es Kunst wird. Es soll nur nett und gut verkaufbar sein, das können manche Tools schon jetzt.

    Zum Thema Durchschnitt und so: Kürzlich beim Abiball des großen Sohns beobachtet. Dörflich sozialisiert und dort ist irgendwie fest verdrahtet, dass „feiern“ und „Party“ zu Schlager passiert und zwar unabhängig davon, was die Leute sonst privat für Musik hören. Und wenn der geneigte Metalhead, egal ob er oder seine Eltern, das blöd finden (Schlager war schon Musik für alte Leute, als meine Mutter – seine Oma – jugendlich war!), heißt es dann wieder „Du mit deinem Metal, das kann man hier nun wirklich nicht spielen.“
    Ich hätt’s toll gefunden, wenn dort aktuelle Popmusik, meinetwegen auch K-Pop, Tekke, Deutschrap oder sonstwas läuft, das bei der Jugend anno 2022 angesagt ist. Deren Party, deren Mucke, aber nicht die ollen Kamellen, die alle 10 Jahre durch den Mixer gedreht werden (Schlumpfstimme, Technobeat, Fossil im Duett mit jüngerem Sternchen singt nochmal seinen einzigen Hit usw.).

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