Wir kommen kurz hinter ihnen zum Eingang des Cafés. Seit dem Parkplatz sind sie vor uns, ein Rentnerpaar, das aus dem quer über zwei Plätze gestellten Q3 kletterte und jetzt wie wir mit Blick auf den See einen Kaffee trinken möchte. Sie tragen teure Funktionskleidung und bewegen sich schon auf dem Fußweg mit der Selbstverständlichkeit derer, die dieses Land wieder aufgebaut haben und denen es deswegen auch gehört.
Im Windfang, vor der eigentlichen Eingangstür bleiben sie stehen. Dort hängen – wie im Moment üblich – die aktuellen Regeln darüber, wie man hier nun gerade die aktuellen Regeln deutet. In diesem Fall: Maske bitte und am Tresen warten, bis dort jemand vom Personal App und Ausweise kontrolliert hat; danach darf man ohne Maske am Tisch sitzen. Die Worte „warten“ und „App und Ausweis“ sind fett markiert und unterstrichen und man wird wissen, warum.
Sie bauen sich vor der Tür auf und spähen hinein: „Ja soll man jetzt hier warten?“ ruft er entrüstet ins leere Treppenhaus. „Die junge Frau drinnen hat uns doch bestimmt gesehen“, beruhigt sie, ergänzt: „Über die Nase, Dieter“. Er zieht die Maske höher und deutet auf das Schild: „Ja soll man jetzt hier warten?“
„Das steht da ja nicht“, versucht’s die Liebste, ergänzt „am Tresen erst“ und geht einen tatkräftigen Schritt nach vorne. Beide stellen sich uns in lang geübter und längst nur noch aus dem Unterbewusstsein abgerufener Choreografie in den Weg. An ihnen ist noch nie jemand vorbei gegangen und damit fangen wir jetzt auch nicht mehr an.
„Dann muss da aber auch mal jemand kommen!“ wird er etwas lauter. „Wenn man dann schon hier rumstehen muss“ Wir stehen noch keine 20 Sekunden und das auch nur weil der Unterschied zwischen dem Konzept „Tür“ und dem Konzept „Tresen“ nicht ins Hirn passt, aber nun denn.
„Vermutlich nicht, denn man soll sich ja am Tresen melden und nicht hier warten – steht ja da“, erläutern wir nochmal unsere Interpretation der Worte „am Tresen warten“ und versuchen einen Schritt links um die Rentnerwand herum. Die dreht sich wie eine gut eingespielte Handballabwehr: „Was steht denn da? Sollen wir hier wohl warten? Dann sollte aber langsam auch mal wer kommen!“
Wir (Schritt nach rechts): „Unwahrscheinlich, denn man soll ja drinnen zum Tresen kommen“ – sie (Drehung nach rechts) „Wo soll man denn hier warten?“
Der Block steht wie eine Eins.
Der Tonfall ist inzwischen lauter, härter und gleichzeitig jämmerlicher. Sie sind es nicht gewohnt, dass sie warten müssen. Sie sind es nicht gewohnt, dass jemand an ihnen vorbei will. Und sie sind am allerwenigsten gewohnt, dass sich nicht sofort jemand um sie kümmert.
Er bemerkt, dass er der einzige richtige Mann im Raum ist und zeigt Mut: „Ich geh jetzt mal gucken, ob man hier warten soll“ und öffnet die Tür. Wir wollen – „Jo, wir auch“ – hinterher, aber der Handball-Block klappt auch, wenn er alleine ausgeführt wird.
Mir rutscht raus: „Gute Idee, Sie sind ja schon groß, Sie schaffen das“
„Vielleicht ist gar nicht offen, da drin ist’s so dunkel”, wagt sie einen neuen Gedanken, späht erst durch die wieder zugleitende Tür und versucht dann, das zweitgrößte Schild, das mit den Öffnungszeiten, zu lesen.
„Vielleicht weil Sie die Sonnenbrille aufhaben?“ rutscht’s mir weiter raus und ich merke, dass ich wohl etwas genervt bin, denn sonst fände ich mich gerade unhöflich.
Sie drückt die Nase vors Schild mit den Zeiten und dann auf die Uhr, kann die aber erst recht nicht entziffern. Griff an die Nase, sie konstatiert „Ich hab ja die Sonnenbrille auf, es ist ja gar nicht dunkel“.
Ok, zuzuhören sind sie also auch nicht gewohnt. Das könnte erklären, warum sie die ganze Zeit mit uns reden ohne mit uns zu reden. Vermutlich vor der Rente in einer leitenden Position gewesen.
Von hinten kommen zwei junge Frauen rein: „Warten Sie auf etwas?“
„Wir müssen hier warten, aber es kommt niemand“, erklärt sie „und vielleicht ist sogar zu!“
Die beiden sehen mein Augenrollen über dem Stück FFP2 im Restgesicht und müssen lachen: „Nein, man soll drinnen am Tresen warten“ und schieben, ganz offensichtlich mit weniger Abstandsregel im Hinterkopf als wir, die Frau durch die Tür.
Die ist deutlich überfahren, schafft es aber immerhin mit Körpersprache und breiten Schultern sich auch auf den nächsten 5 Metern bis zum Tresen nicht überholen zu lassen. „Wo ist denn dann dieser Tresen?“ stolpert sie am fett in den Weg gebauten Tresen mit Stopschild und 2G-Regel-Schild vorbei, während wir anderen Handy und Ausweis zücken.
Von der anderen Seite nähert sich gerade ihr Mann, gescheucht von einer resoluten Sauerländer Kellnerin und irritiert wehklagend: „Wo soll man denn dann stehen bleiben? Da hätten Sie uns aber auch mal holen müssen“
Wir sind dann alle drin, alle wollen aber hinten wieder raus auf die Terasse, die beiden orientieren sich rechts und die Liebste und ich beschließen synchron, dass wir wohl links mal einen freien Platz suchen wollen. Wir finden einen, blicken auf Wasser und Enten und das gegenüber liegende Ufer und atmen und dann ertönt vom Nebentisch eine Stimme „Frollein, wenn da steht »Strammer max Zwei Punkt Null« – sind das dann zwei Schnitten? Das will ich so nicht. Wie soll man das denn verstehen?“
„Man hat’s auch nicht leicht, aber leicht hat’s einen!“
… als wäre ich dabei gewesen! Super! :’D