Erinnern Sie sich an die Geschichte, als Till Eulenspiegel die Schneider von Rostock zusammenrief, um sie das Schneidern zu lehren? Falls nicht: Sie kamen alle zusammen, er so: guter Faden und guter Stoff und ein Knoten am Ende des Fadens seien wichtig. Sie so leicht angesäuert ob des fehlenden Informationsgehalts, aber er erklärt: Muss man nicht immer wieder an die Grundlagen denken?
Gerade in strittigen Fragen – vor allem wenn sie von Jahre alten Diskussionen so furchtbar zerfasert sind – lohnt es sich meiner Meinung nach immer wieder, sich auf die grundsätzliche Frage zu besinnen. Sonst bauen sich neben-Problematiken auf, die wichtiger scheinen als das Grundproblem, sonst bauen sich Nebenschauplätze auf, die mächtiger erscheinen als der eigentliche Kern und dann scheint es auf einmal wichtiger, dass VW keine Strafe zahlen muss als dass wir Luft zum Atmen haben; aber ich schweife ab.
Ende der etwas lang geratenen Einleitung.
Wo wir bei strittigen, in der Diskussion zerfaserten Fragen sind: Inklusion. Wir waren gestern Abend im Film „Die Kinder der Utopie“, der im Rahmen eines Aktionstages gestern in Kinos lief, in denen sich genügend Interessierte angemeldet hatten. Wir hatten.
Treue Leserinnen wissen, dass ich zur Inklusion eine klare Meinung habe – aber ich schreib ja nicht so eine Einleitung, um dann nicht selbst jetzt hier noch einmal auf die Grundlagen zu kommen.
Was bedeutet also Inklusion? Inklusion hat einen lateinischen Stamm und bedeutet quasi „Enthalten sein“. Die Wikipedia weiß: „Der Begriff ist komplementär zu dem der Exklusion (deutsch: Ausgrenzung); der eine Begriff ist ohne den anderen nicht denkbar“. Und weiter: „Inklusion beschreibt dabei die Gleichwertigkeit eines Individuums, ohne dass dabei Normalität vorausgesetzt wird“.
Die UN hat das dann 2006 im Bezug auf Menschen mit Beeinträchtigungen in der Behindertenrechtskonvention fest gezurrt, es „… geht es nicht mehr um die Integration von “Ausgegrenzten”, sondern darum, von vornherein allen Menschen die uneingeschränkte Teilnahme an allen Aktivitäten möglich zu machen.“ [behindertenrechtskonvention.info]
Ich fasse das zusammen: Entweder Exklusion oder Inklusion. Entweder Menschen ausgrenzen oder nicht. Das ist ein No-Brainer: Ich entscheide mich für Inklusion.
Wenn Sie noch die Chance haben, den Film zu sehen, dann tun sie das. Ich verspreche Ihnen: keine erhobenen Zeigefinger, keine theoretischen Diskussionen. Sie werden sechs junge Erwachsene sehen, die man vor zwölf Jahren bereits in dem Film Klassenleben kennen lernen konnte. Sie waren Schülerinnen und Schüler einer inklusiven Klasse.
Die sechs, jetzt Mitte zwanzig, treffen sich wieder, sie erzählen sich, was sie gerade so tun und wo sie im Leben so stehen. Sie schauen sich den Film von damals und damit sich selbst vor einer Dekade noch einmal an und erinnern sich. Und sie gehen zusammen ans Grab einer Mitschülerin, die gestorben ist.
That’s all.
Meine Meinung dazu: Gerade dadurch, das nichts spektakuläres „passiert“ wird der Film zum bestmöglichen Plädoyer für Inklusion, das man sich vorstellen kann. Kein Mitleid, kein theoretischer Überbau – nur der Beweis: Keiner dieser sechs Menschen hat es verdient ausgegrenzt zu werden. Wie übrigens auch sonst keiner. Und deswegen ist – wie wir oben gelernt haben – ist Inklusion die einzige Lösung.
FunFact am Rande: Es sind nicht automatisch die Behinderten, die gerade schlechter im Leben stehen.
Ich twitterte direkt nach dem Film …
„Wir kommen gerade aus diesem Film und er macht mich glücklich und traurig und ganz viel wütend – wütend, dass es Menschen gibt, die »gegen Inklusion sind« “
… und dabei bleibt es.
Glücklich über sechs wunderbare Menschen. Alle übrigens viel erwachsener, reflektierter, klüger und mitten im Leben stehend als viele andere gleichen Alters, die ich kenne.
Traurig über die Steine, die „wir“ ihnen in den Weg legen.
Und wütend über Menschen, die sich erheben und eine Normalität definieren, die andere ausschließt.
Noch ein FunFact: Im Film gibts übrigens sehr nebenher ein paar Situationen in denen klar wird, dass jemand diese willkürlichen Grenzen und Definitionen später überschritten habt.
Ja, über die Durchführung, über die praktische Ausgestaltung gibt es viel zu diskutieren. Aber wissen sie warum? Weil die, die für sich beschlossen haben, die Normalität zu definieren, so lange ausgegrenzt haben – und weil der Rückbau jetzt in Einzelfällen natürlich etwas unbequem sein kann.
Das ist aber ein selfmade Problem, das hat nichts, aber auch überhaupt nichts mit den „Behinderten“ zu tun.
Die sind nämlich nicht behindert, die werden behindert.
1 Kommentar
Kommentare sind geschlossen.