And the living is easy

Dieser Artikel wurde zuerst am 18.10.2014 veröffentlicht im jawl, meinem alten Blog. Das jawl ist geschlossen aber diesen Artikel wollte ich gern behalten und habe ihn deswegen in ein Archiv alter Artikel aufgenommen.

Summertime – and the living is easy”, beginnt sie zu singen.

Wir sitzen auf dem Berg; also: auf DEM Berg. Es ist halb elf, vielleicht auch halb zwölf an einem Dienstag Abend in den frühen Neunzigern. Dienstags um sieben haben wir Probe und nach der Probe fahren wir gerne noch auf den Berg. Manchmal alle, manchmal nicht, es gibt keine feste Gruppe, es ergibt sich unabgesprochen jeden Dienstag neu.
Der Berg ist eigentlich eine alte Müllhalde. Vor ein paar Jahren geschlossen und versiegelt wachsen gerade die ersten kargen Gräser, der Stadtförster hat in parallelen Reihen die ersten Bäumchen an dicke Pflöcke gebunden – aber man kann noch über all das hinweg schauen und hat einen guten Blick auf die Lichter der Stadt, den Vorort und die Nachbarstadt. Und über uns ist nur der Sternenhimmel.
Oben stehen drei Bänke um einen massiven Felsblock und ein örtlicher Künstler hat einen Baumstamm hochgeschleift und sägt tagsüber daran herum. Wir können im Dunkeln nicht sehen, was es wird, aber man kann gut darauf sitzen und man sagt, es ginge um Krieg und Vertreibung. Uns interessiert es nicht wirklich, aber Anfang der neunziger klingt das nach einer plausiblen Aufgabe für einen jugoslawischen Bildhauer im deutschen Exil. Krieg, Vertreibung, Leid und Tod vermutlich.
Wir sind immer sehr aufgekratzt, haben wir doch schließlich vorher versucht, die nächsten Chilli Peppers zu werden und suchen da oben dann noch etwas Ruhe. Zeit für eine Dose Bier und ein paar Träume über die große Rock-Karriere, das ist es, was der Berg Dienstags Abends bietet.

Fish are jumpin‘ and the cotton is high”, singt sie, und weiter: „Your daddy’s rich and your ma is good lookin’
Bei „lookin’” kommt sie so tief runter, wie niemand sonst von uns in der Band. Deswegen ist sie unsere Sängerin.

Heute sind nur wir zwei auf dem Berg, die anderen waren müde, aber sie wollte noch und ich bin eh ein Nachtmensch. Wir haben gegenüber am Teich geparkt, haben uns die hundert Meter durch den stockdunklen Wald getastet, sind über die Schranke geklettert, im Dunkeln den Weg hoch und haben unsere Plätze auf dem Baum gefunden. Wir haben nichts zu reden und dann singt sie. Nur für mich und die Nacht.

Wenn wir nicht seit Monaten zusammen Musik machen würden, wenn ich nicht meine Freundin in der nächsten Stadt und sie ihre jahrelange on-off-Beziehung hätte, dann wäre es vermutlich sehr romantisch.

With Daddy and Mummy, Mummy standing by – Don’t you cry” beendet sie das Lied. Wir trinken aus, schenken dem Künstler die leere Dose; ich fahre sie nach Hause. Wir quatschen noch einen Moment in der Einfahrt vor dem Einfamilienhaus und als Licht in der Küche angeht, steigt sie aus: „Bis Samstag!
Samstags proben wir nachmittags und landen danach traditionell im Mc Donalds.
Samstags Abends ist ebenso traditionell Party oben auf dem Berg – da wird gegrillt und ein paar Büsche sind schon hoch genug um zu zweit darin zu verschwinden. Aber da sind wir nie, das hat nichts mit unserem Berg zu tun. Unser Berg ist stiller.

Die Band zerbricht bald darauf, wir verlieren uns alle aus den Augen. Sie und ich, wir treffen uns irgendwann viele Jahre später wieder. Gehen als alte Freunde zusammen essen und gestehen uns gegenseitig, dass wir damals beide eine Zeit lang überlegt haben, ob man nicht doch einmal …? Wir versuchen lachend, das zeitlich zu rekonstruieren und wir vermuten, das sich diese Überlegungen bei ihr und bei mir exakt um die Länge einer Dose Bier und eines „Summertime” in einer Sommernacht überschnitten haben.

Noch viele, viele Jahre später sehe ich, dass die Bäume inzwischen zu hoch sind, um die Nachbarstädte noch zu sehen. Die Bänke sind weg, der Baumstamm steht ein paar hundert Meter weiter am Teich und kündet stumm vom Leiden eines zerrissenen Landes. Das Gras oben auf der Kuppe des Berges wächst hoch und die Jugendlichen heute haben ganz offensichtlich keinen Grund mehr, hier noch hoch zu kommen.

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