Those were the days of Rock’n’Roll

Weil heute eh nix passiert ist und mir heute Morgen, beim gemeinsamen Morgenkaffee eine sehr kluge Frau sagte „Das musst Du aber auch mal aufschreiben“, als ichs ihr erzählte, gibts heute eine Geschichte. Denn wer bin ich, dem nicht zu folgen?

Wie gerne würde ich mit Bryan Adams beginnen „I got my first real six string“ – aber: es war ja nur ein four string.
Gegen den vehementen Widerstand meiner Eltern hatte ich mir den Bass mühsam zusammengespart – um dann endlich mit 18 (Führerschein!!!) meine erste Band haben zu können.
Wir waren alle so knapp um die zwanzig, ein wild zusammengewürfelter Haufen:
N. an den Drums – der später zu früh gehen würde, weil er nicht nur Sex und Rock’n’Roll sondern alles wollte. R. an den Tasten, direkt aus der Hotelbar und V. an der Trompete direkt aus der Schützenkapelle. H., der mit seinem Sax so gerne Charlie Parkers Reinkarnation gewesen wäre und auch nicht mehr hier ist. Und R. an der anderen Trompete – immer friedlich fröhlich, immer abwesend und böse Zungen hielten ihn einfach für dauerbreit.
A. und ich, seit Kindertagen beste Freunde und trotzdem das erste Mal in einer Band an Gitarre und Bass. Und T. am Mikrofon. Der einzige der etwas älter war und vermutlich manchmal dachte, er wäre mit einem Kindergarten unterwegs. Gastspiele in den glorreichen 10 Monaten, die es unsere Band gab, gaben noch H. und B. und C. als Backgroundsängerinnen und kurz K. die nicht gut Sax spielte, aber H. war halt sehr in sie verliebt.

Als wir seit ca. 3 Monaten zusammen probten und eigentlich noch dabei waren, eine Idee zu finden, die über „irgendwie Blues Brothers oder Commitments“ hinausging, kam R. an und verkündete, dass wir eine Tour haben könnten.
Also so etwas wie eine Tour. Zehn oder zwölf Auftritte, jedes Wochenende im Sommer einmal quer durchs Sauerland. Für sage und schreibe tausend Mark pro Gig. Wenn wir zwei Stunden Programm hätten. Wir bekamen Dollarzeichen in die Augen, das war unfassbar viel Geld.
Vermutlich war das R.s Plan gewesen um uns zu überzeugen – denn der zweite Teil des Angebots war etwas weniger glamourös: Die „Tour“ war die Frühschoppen-Tour der Iserlohner-Brauerei und die Auftritte jeweils sonntags morgens auf den Marktplätzen im Sauerland.

Die Wikipedia beschreibt Iserlohner Pilsener als leicht herb und sehr süffig – die Biertrinker unter meinen Freunden als „noch untrinkbarer als Krombacher aus der Dose“.
Also? Vollkommen indiskutabel. Auf Marktplätzen. Hackts? Sonntags morgens? Keine Chance. Und wir konnten zu dem Zeitpunkt gerade mal drei Songs – zwei Stunden Programm? Nicht machbar. Eine Unverschämtheit von ihm, es überhaupt an uns heran zu tragen.

Natürlich nahmen wir an.

Jeder brachte die Songs mit, die er schon immer mal spielen wollte und die grob unserem großspurigen Namen „Sensational Blues & Bbrass Company“ gerecht werden konnten. Eine wilde Mischung zwischen Gary Moore und James Brown, Klaus Doldinger, den Leningrad Cowboys und den Peanuts.
Mit langen Soli würde das wohl etwas mehr als 90 Minuten werden. Und Blues ist ja Improvisationsmusik, da kommen die Leute ja wegen der Soli. *Hust*
Wir begannen, zu proben* wie die Irren und unser aller Lebensmittelpunkt verlagerte sich in den kalten Probenraum in der alten Fabrik an der Ausfallstraße. Sängerinnen oder Saxophonisten die nur da waren, weil sie die Schwester von oder das Objekt der Begierde von jemand waren verließen uns. Wer mit zwanzig zwölftausend Mark vor Augen hat, kann keine Rücksicht nehmen.

*) Über die Mühe, die dieses Nachspielen damals machte, habe ich sogar mal im Techniktagebuch geschrieben.

Pünktlich zum ersten Iserlohner-Frühschoppen standen wir auf dem Marktplatz von weißnichtmehr und shuffelten los. Nein. Wir wollten los-shufflen, aber wir lernten: So ein Frühschoppen hatte noch mehr zu bieten als ein paar zwanzigjährige, die dachten, sie hätten den Blues.
Da gab es erst die Begrüßung des Vertreters der Brauerei, dann ein Grußwort des zweiten Bürgermeisters. Der stach auch feierlich das Bierfass an.
Dann spielten wir eine Viertelstunde, dann gab es die erste Vorführung der Jugendgruppe des örtlichen Turnvereins. Und den ersten Streit, weil die auf die Bühne wollten, aber auf der Bühne standen ja unsere Instrumente und nein, die kann man nicht mal eben wegräumen und so mussten die Kleinen vor der Bühne ihre Purzelbäume machen und der Jugendtrainer ging sich beschweren. War uns egal. Nach den Kleinen spielten wir wieder ein paar Songs, dann kam Roy Maboe, der Zauberer; der war auch für die ganze Tour gebucht. Und so weiter, alle immer abwechselnd bis gegen zwölf der ganze Zauber – haha – vorbei war.

Oder auch früher, denn wenn man ehrlich war, dann kam zu diesen Festen niemand. Gelegentlich die örtlichen Obdachlosen, die sich freuten, dass man beim Kauf eines Bierkruges diesen unendlich oft wieder auffüllen konnte bis das Fass leer war. Und genau deswegen blieb auch sonst niemand stehen. Und die Eltern der Jugendgruppe schnappten sich so schnell es ging ihre Kleinen und verschwanden auch.

Der große Roy Maboe wiederum machte den Fehler trotzdem auf den leeren Plätzen nach freiwilligen zu suchen. Wir hatten nach dem zweiten Gig begriffen, wie Roys Tricks funktionierten und wir mochten ihn nicht sonderlich – und so musste Roy nicht nur verzweifelt irgendjemand finden, sondern uns dabei auch noch ignorieren, obwohl wir uns wild meldeten. Er wusste, wir hätten ihn blamiert.
Im Gegenzug warf er meist Instrumente um, wenn er von der Bühne ging – die Ablehnung beruhte auf Gegenseitigkeit.

Insgesamt: Es waren einige der peinlichsten Stunden meines Lebens und es gab gute Gründe dafür, dass wir unseren Freunden nie von den Auftritten erzählten.
Die Brauerei begriff auch, dass die Idee nicht so der Bringer gewesen war und cancelte bald die zweite Hälfte der Tour.

Und die Sensational Blues & Bbrass Company? Die hatte sich über den ganzen Stress so richtig hassen gelernt. Über die Songauswahl, über verpatzte Soli und zu schnell begonnene Balladen und vor allem deswegen, weil dreieinhalb Leute dachten, es wäre ihre Band und sie hätten das letzte Wort.

Wir hatten außerhalb der Frühschoppentour noch einen letzten Gig. So wie es unserem bisherigem Anspruch an Venues angemessen war, auf dem Sommerfest einer Psychiatrie in Osnabrück.
Wir waren nur noch zu sechst und fuhren in fünf Autos die zwei Stunden nach Osnabrück hoch. Denn eigentlich sprachen nur noch A. und ich miteinander.

Wir beide waren auch diejenigen, die mit Bulli und dem ganzen Bühnenkrempel auf der Wiese vor der Psychiatrie stehen bleieben, denn nach dem letzten Ton stiegen alle anderen in ihre Autos und verließen uns und den Ort.
Das war das ebenso unausgesprochene wie endgültige Ende der Sensational Blues & Bbrass Company.

Die folgende Aufnahme entstand irgendwann in den guten Zeiten im Probenraum. Bitte entschuldigen Sie die Klangqualität, damals stellte man noch einen Ghettoblaster in die Mitte und hatte keine kompletten Homestudios auf dem Telefon.

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A. und ich hatten die P.A. und den restlichen Gemeinschaftsbesitz den wir uns von dem bei den ersten Gigs verdienten Geld angeschafft hatten in den Probenraum gestellt, als wir sonntags abends nach dem Sommerfest wieder im Sauerland ankamen. N. hat das dann verkauft und bei seinem ersten Dealer investiert.

Und bevor Sie jetzt denken, dass das aber eine besondere Geschichte ist, dann muss ich sie enttäuschen. Ca. jede Musikerin die ich kenne, egal wie erfolgreich oder unerfolgreich, hat genau solche Geschichten zu erzählen – vielleicht deswegen erzähle ich das alles nach zwanzig Jahren Bloggen auch erst jetzt.
Und vielleicht erzähle ich bald auch mal, wie meine nächste Band sich mit Dendemann den Probenraum teilte und mit Fettes Brot feierte.

Cliffhanger kann ich, hm?

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7 Kommentare

  1. Also das mit Dendemann würde mich persönlich nun wirklich interessieren…. Ich bitte um Fortsetzung!
    :-)

  2. Wunderbare Geschichte, vielen Dank!
    Ich war in diesen Zeiten lediglich die Freundin des Keyboarders / des Gitarristen / des Sängers oder war Publikum, habe aber das existenzielle Wissen davongetragen, bei der Nennung welcher Instrumentenherstellernamen ich mit bewunderndem Lufteinziehen und Augenaufreißen zu reagieren habe.

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