(irgendwas mit gut geschlafen)
Nachdem der Tagebuch-Anteil des heutigen Tages aus einem Verweis auf den gestrigen bestehen könnte nutze ich den vielen freien Platz mal für ein paar Bemerkungen und Ergänzungen zu meinem Artikel über den „Hackerangriff“, der ja auf eine Menge Resonanz gestoßen ist.
Diese Resonanz lässt sich grob in zwei Kategorien sortieren:
- Ja, genau!
- Boah, jetzt sagt der jawl auch „Selbst Schuld!“
Zu eins: (Leider) nein.
Das war ein Rant, ein spontaner Rant und als solcher war er nicht vollständig durchdacht und schlecht formuliert. Außerdem erlebt er natürlich das Schicksal aller Artikel, die auf einmal von tausenden Menschen gelesen werden, die den Rest meiner 22 online-Jahre nicht kennen: Er wird fürs Ganze genommen und das ist nicht die Schuld der Leserinnen. Das ist meine Verantwortung und deswegen schreibe ich jetzt hier noch was. Also:
Zum einen: Es wird nicht klar genug, dass ich hauptsächlich die Menschen meine, die mich (oder irgendwen anderes „mit Ahnung“) fragen – und die dann die Antworten nicht hören wollen und gegen allen Rat so unsicher weiter machen wie bisher.
Zum anderen: Ich erinnere mich dunkel an meine diesbezügliche Absicht und ein paar Halbsätze finde ich auch dazu, aber: Es wird ebenfalls nicht klar genug, dass ich Hersteller & Anbieter vollkommen in der Pflicht sehe, keine unsichere Software auszuliefern, keine unsicheren Passwörter zuzulassen und überhaupt Sicherheit wichtiger zu nehmen und auch wichtiger zu kommunizieren.
Zu zwei: Ja nun.
Ja, Userblaming ist Scheiße. Ich glaube allerdings, dass es einen schmalen Grat gibt zwischen allgemeinem Userblaming und einem *hust* freundlichen Hinweis darauf, dass man mit Erwerb eines x-beliebigen Gerätes auch eine gewisse Verantwortung übernimmt.
Bei vielen Dingen ist uns das klar: Erwirbt Herr Müller, 18 Jahre jung und mit wohlhabenden Eltern gesegnet, ein Auto mit über 200 PS, fährt damit ohne Führerschein los und wickelt sich mit 235 Km/h um den nächsten Brückenpfeiler – dann würde vermutlich kaum jemand von Userblaming sprechen, wenn man ihm da eine gewisse Verantwortung zuspräche. So tragisch unser ausgedachter Unfall auch wäre.
Aber es muss gar nicht so drastisch sein: Kaufe ich ein Haus, dann muss ich wissen, dass ich zB gewisse Steuern und Abgaben zu zahlen habe. Mache ich mich selbstständig ebenso. Freie Entscheidung – hat halt Folgen.
Stadtverwaltung und Finanzamt werden kaum mehr als Schulterzucken übrig haben, wenn ich ihnen erkläre, sie bekämen kein Geld von mir denn ich hätte das ja nicht gewusst.
„Computer sind aber nicht Massenware, so wie Autos“, sagte man mir auf Twitter und erklärte weiter, „wir IT-ler“ pflegten da eine Geheimwissenschaft. Komisch, den Satz hab ich schon genau so zu meiner Steuerberaterin gesagt wie zu der Freundin, die beim Finanzamt arbeitet. Beide haben gelächelt und sowas gesagt wie „gehört halt dazu“.
Computer – und ich meine damit ausdrücklich auch die Dinger, die wir früher Telefon nannten – sind keine Randerscheinung. 57 Millionen Deutsche beitzen ein Smartphone – das sind mehr als Autobesitzer (46.5 Millionen). 32 Millionen Deutsche sind bei Facebook. Keine Randerscheinung.
Wenn ich aus Versehen mal Werbung sehe, dann sind die Verkaufsargumente für Handies: Billig, größerer Bildschirm, geilere Kamera. Die Argumente für facebook (und jedes andere soziale Netzwerk) sind: Alle sind hier, es ist super! Vernetze Dich mit Deinen Freunden!
Sicherheit wird selten erwähnt; dass Facebook in Deutschland inzwischen Anzeigen zu dem Thema fährt ist meines Wissens eine weltweite Ausnahme.
Ich habe kein Patentrezept, wie man mit der Situation umgehen kann. Ich stehe Überregulierung ziemlich kritisch gegenüber, vor allem wenn die Regeln von Menschen gemacht werden, die keine Ahnung haben.
Ich sehe ganz stark die Hersteller und Anbieter in der Pflicht, aber – nun denn, wir leben halt im Kapitalismus – die verkaufen ihren Kram halt nicht, wenn sie statt der geileren Kamera geilere Sicherheitsfeatures entwickeln. Oder sie können den supi billigen Preis nicht mehr anbieten, denn die Kinder in der dritten Welt brauche ja immer noch die halbe Tasse Reis am Tag.
Und – und dabei bleibe ich: Kümmert Euch. Ich kann mir Seminare zum Steuerrecht buchen und genauso kann man auch Fachwissen zum Thema Computer und Sicherheit bekommen. Das Wichtige ist nur: Wendet das Erlernte dann auch an; auch wenn es komplex ist. Auch wenn es die Benutzung Eurer kleinen Kiste vermutlich unbequemer macht.
Und ich bin sicher, dass jeder „IT-ler“ der merkt, dass ihr lernen wollt und ihm wirklich zuhört auch freundlicher zu Euch ist als mein doofer Rant es war.
Liebe „IT-ler“: Seid im Umkehrschluss freundlich zu denen, die da kommen. Seid vielleicht auch mal etwas pragmatischer als sonst in der Diskussion mit Kolleginnen. Seien wir ehrlich, wir lieben unsere kleinen Grabenkämpfe um den richtigen Weg auch manchmal, aber er verwirrt Außenstehende. Es ist „unsere“ Aufgabe, unser Wissen gut verständlich und nachvollziehbar weiter zu geben.*
Und last but not least: Können wir bitte so schnell wie möglich mal Strukturen schaffen, in denen die Opfer Hilfe finden? Bei allem (vielleicht oder vielleicht nicht) Userblaming – was gar nicht geht und was ich nicht will ist Victimblaming. Anne Roth hat da schon perfekt zu geschrieben und deswegen verweise ich einfach nur da rüber: Was bei der Diskussion über Doxing gerade hinten runterfällt
*) Ich verweise an dieser Stelle mal ganz egoistisch auf drei Artikel, wo ich genau so etwas versucht habe. Rückmeldungen von „Fachfremden“, ob das gelungen ist würden mich freuen!
Alle drei sind rund um die Einführung der DSGVO entstanden, daher die Themen:
• Was ist ein Cookie und warum ist es gut? Und warum böse?
• Was sind eigentlich Log-Dateien und wieso sind sie gut? Und wieso böse?
• Was sind eigentlich Algorithmen und wieso sind sie gut? Und wieso böse?