25.4.2019 – Tag der klaren Worte

Morgens eine Mail geschrieben und – ich nahm die Liebste als Kontrollinstanz – mal „etwas deutlich“ geworden. Ich eiere jetzt seit X in einem Projekt herum, wobei X eine dem Projekt vollkommen unangemessener Zeit ist, die ich hauptsächlich versuchte, Kommunikation aufrecht zu erhalten.*

*) Also vermutlich sieht die andere Seite das genau so und das ist ja das Dilemma bei fast jeder Form der missglückten Unterhaltung. Und wenn eine Seite absichtlich destruktiv agiert, aka. „trollt“, dann wirds eigentlich wieder einfacher.

Mit einer alten Freundin frühstücken gegangen. Das ist immer sehr schön, ich frühstücke wirklich äußerst gerne und ich habe Freunde auch wirklich gerne um mich. Oft zeitlich gesehen weniger lang als es gesellschaftlich so geplant ist und deswegen halten mich Menschen oft für eigenbrötlerisch oder unsozial, aber es ist nun einfach so, dass ich mich auf Menschen auch zum einen wirklich ganz einlasse, wenn wir uns treffen und zum zweiten mir ein gewisser Hang zum Introvert inne ist und aus beiden Gründen so ein Treffen schlichtweg anstrengend wird – und ich sagte „so ein Treffen“ und nicht „diese Menschen“, das ist ein wichtiger Unterschied und jetzt habe ich vollkommen aus dem Blick verloren, wo dieser Satz einmal hinführen sollte: Also ich treffe wirklich gerne Menschen, auch wenn ich gelegentlich dann früher gehen muss und das war toll. Und glaubt mir: When u have me, u have the whole Christian und nicht nur einen Teil.

Aber ich gleite vollkommen ab.

Plötzlich fand ich mich in einer Unterhaltung über den Sinn von Impfungen wieder und das ist ja eine Situation, auf die man hauptsächlich von Twitter vorbereitet ist. Folgt man dem dort gelernten, dann hätte ich beginnen müssen, sie zu beschimpfen. Auch ein „Merkste selbst“, so schön von oben herab hält man dort ja für angemessen. Vielleicht auch mit einem Hashtag noch ein paar Freude ins Boot holen die sie auch beschimpft hätten?
Ich halte das im Internet schon für große Kaque und morgens in einem Café noch viel mehr. Also ließ ich sowohl das Beschimpfen als auch das Hashtaggen und das von oben herab sein und suchte eine andere Gesprächsführung.*
Versuchte schon klar zu machen, dass ich da ein paar Dinge anders sehe, dass ich aber Ängste durchaus verstehe. Dass aber meine Infos schon so wären, dass man diese Ängste nicht haben muss. Und am Ende waren wir uns einig, dass es wichtig ist, sich zu informieren und dabei sehr auf die Qualität der Quellen zu achten. Sie weiß jetzt sicher, dass ich das anders sehe als sie und vielleicht schaut sie sich jetzt mal Statistiken an und ich weiß: Nun gut, sie sieht das anders als ich und zum Glück muss ich nicht überlegen, ob ich meine Kinder mit ihren spielen lasse.
Aber vor allem hat niemand niemanden beschimpft und wir können uns noch einmal und noch einmal treffen – was ich fast das wichtigste finde, denn ich mag sie wirklich sehr, sehr gerne.

*) Das klingt so furchtbar bewusst und gesteuert, das war es aber nicht. Ich fühlte mich eher wie auf einer schwankenden Eisscholle, auf der ich Milimeter für Milimeter nach vorne stakste – weil der Spagat zwischen: fair bleiben und Standpunkt klar sagen ist echt schwer, wenn man Diskussionen hauptsächlich aus der Lokalpolitik und dem Internet kennt.

Es ist wirklich spooky, was das Netz mit einem machen kann, selbst wenn man sich aus solchen Grabenkriegen sehr raushält und immer versucht, auch online „anders“ zu diskutieren.
Man solte sich viel mehr offline, eins zu eins und ohne Publikum unterhalten – auch und gerade mit Menschen die zu irgendetwas eine andere Meinung haben. Es ist sehr lehrreich.

Nachmittags jemandem gesagt, dass ich sie toll finde. Sollte man viel häufiger tun. Ehrlich, Sie hören so etwas doch auch gerne und man kann ja einfach mal anfangen.

Antwort auf die Mail von morgens bekommen. Konstruktiv und positiv, das erste Mal seit Wochen. Ich bin fast begeistert.

Tagsüber ein neues T-Shirt getragen. Nervös gewesen deswegen.

Warum eigentlich? Also: Natürlich weiß ich, dass so ein Shirt – an einem Mann noch dazu – Menschen provoziert. Aber, und da beisst sich doch die Fellnase in den Schwanz: Das beweist doch, dass man es tragen muss, dass es ein Thema ist, was Menschen entzweit – und ich frage mich ja nun immer wieder: What the heck gibt es da überhaupt zu diskutieren? Wie kann jemand nicht für Gleichheit zwischen den Geschlechtern sein?

„Ja aber Dings hat doch dasunddas gesagt und das ist vollkommen indiskutabel und deswegen bin ich kein Feminist“ höre ich jemanden rufen.
Im Ernst? Dann müsste ich ja auch aufhören Popmusik zu hören, nur weil es Dieter Bohlen gibt.

Danke fürs Teilhaben und Dabei-sein. Wenn Sie wollen:
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Oder – wenn Ihnen Geld zu unpersönlich ist – hier ist meine Wishlist. Sie finden dort formschöne und Freude-spendende Geschenke für wenige oder auch sehr viele Euro.

24.4.2019 – slow down, Linda

So gegen zwei das erste Mal aufgewacht und gemerkt: Migräne. Dann jede Stunde mindestens einmal wach gewesen und mich so bis ca. sieben durch gequält.
Nicht mehr so viel Schmerzen gehabt, aber da waren noch reichlich Einschränkungen des Sichtfeldes und ein leichter Schwindel und Übelkeit.
Beschlossen: Dann ist heute wohl day off.

Ein bisschen dann aber doch im Büro gewesen und mich an der Kommunikation rund um mein aktuelles Liebslingsprojekt erfreut. Und an der Kommunikation rund um mein aktuelles Lieblingsprojekt erfreut. Einer der beiden Sätze beinhaltet leichte Spuren von Ironie.

Nicht viel los heute also. Wie wärs, ich zeig Ihnen jetzt mal die Musik, die ich aktuell dauernd höre und beantworte mal wieder ein paar Fragen?

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  1. In welche Länder möchtest du noch reisen?
    Das ganze Reisethema war eh schon nicht ganz einfach für mich und es ist in der jüngeren Vergangenheit auch nicht einfacher geworden.
    Zum einen habe ich ja ein Katzenleben lang dieses Haus nicht verlassen und bin etwas aus der Übung.
    Und dann habe ich beschlossen, nicht mehr zu fliegen. Vong Umweltsauerei her, Sie wissen schon.
    Davon abgesehen wären es Island und Kanada, die ich unbedingt noch sehen möchte aber so ganz einfach wird das nicht, ohne Flieger.
  2. Welche übernatürliche Kraft hättest du gern?
    Ich wäre gern gelegentlich unsichtbar. Ich beobachte einfach unglaublich gern das Leben und ich habe den Verdacht, dass es sich besser zugucken lässt, wenn mn dabei nicht gesehen wird.
    Außerdem, ich habe das schon öfter beobachtet: Unsichtbare Menschen werden viel eher in Ruhe gelassen als sichtbare.
  3. Wann wärst du am liebsten im Erdboden versunken?
    Du meinst peinliche Situationen? Die Hochzeit bei der ich als DJ engagiert war und an deren frühzeitigem Ende mir das Brautpaar mitteilte, sie hätten doch lieber was zum Tanzen gehabt statt light Unterhaltungsmusik – das war ein recht unangenehmer Moment, als ich den so in seiner Tragweite begriff.
    Aber karma finds its way und auf unserer Hochzeit hatte der DJ dann gerade Liebeskummer und spielte nur depressiven Progjazz.
  4. Welches Lied macht dir immer gute Laune?
    Solsburry Hill, No time to sleep, Crazy in Love
  5. Wie flexibel bist du?
    Seit ich regelmäßig dieses kleine Set mit dem Theraband durchziehe gehts wieder erstaunlich gut mit dem Rücken.
    Aber Du meintest vermutlich eher geistig, hm? Dann lern halt, genauer zu fragen. (Nicht im Ansatz so, wie ichs wünschte)
  6. Gibt es eine ungewöhnliche Kombination beim Essen, die du richtig gern magst?
    Zählt Nutella-Käse auf Crepe schon?
  7. Was tust du, wenn du in einer Schlange warten musst?
    In einer Schlange warten. Im Internet lesen. Leute gucken. Panikattacken bekommen. Ungewöhnliche Einkaufs-Kombis der Leute vor mir auf dem Kassenband twittern. In StandBy gehen. Ich habe da viele Möglichkeiten.
  8. Wo siehst du besser aus: im Spiegel oder auf Fotos?
    Seit ich begonnen habe, viele Fotos von mir zu machen habe ich mich an den Anblick gewöhnt, muss nicht mehr beim Anblick einer Kamera chandlern und sehe auf Fotos auch ok aus.
  9. Entscheidest du dich eher für weniger Kalorien oder mehr Sport?
    Ich mache keinen Sport. Wenn wir „Sport“ gegen „mehr bewegen“ tauschen, dann entscheide ich mich für beides in Kombination. In anderen Sitautionen verstehe ich aber auch schon mal die Frage nicht.
  10. Führst du oft Selbstgespräche?
    Absolut. Den ganzen Tag. Denken ist ein großer Wust von zu schnellen Assoziationen und die werden erst durchs Aussprechen zu klaren Gedanken. Also erzähle ich sie mir. Und ich hör mir auch sehr geduldig beim Fluchen zu, das macht ja sonst auch keiner.

Die Fragen stammen übrigens übrigens ursprünglich mal aus dem Flow-Magazin, Johanna von pink-e-pank.de hat daraus eine persönliche Blog-Challenge gemacht und Beyhan von my-herzblut.com hat das PDF gemacht.

23.4.2019 – Zem globberte

Falls Sie zu den treuen Leserinnen dieses kleinen Blogs gehören, dann wissen Sie vielleicht noch, dass sich im letzten Herbst hier viel um Matratzen drehte. Sie wurden bestellt, spät geliefert, gekauft, umgetauscht, zurückgebracht und weil das hier ein Kaff ist, war das alles nicht so einfach.

Heute haben wir wieder mal eine Matratze umgetauscht.

Der nächste bezahlbare Miet-Bulli, wenn man gedenkt, von hier aus etwas zum nächsten Ikea zu bringen, steht übrigens am Ikea.

Also, es gäbe auch einen hier im Ort. Der steht an der Ausfahrtsstraße und entweder sitzt der Vermieter im Container auf dem Parkplatz oder 200m weiter im Autohaus. Logischerweise sitzt er immer da, wo man es gerade nicht als erstes versucht. Der Bulli ist ranzig und kostet 100,- für 24h, eine kürzere Mietzeit gibts nicht. Keine Freikilometer.

Den schicken Bulli am Ikea kann ich über eine App in Halbstunden-Einheiten buchen, die halbe Stunde kostet 13,- , ich habe 100 Freikilometer und mit eineinhalb Stunden und 50km kommen wir aus.
Ich sagte ja: Der nächste mietbare Bulli steht am Ikea. Aber absurd ist das schon – zu Ikea zu fahren, um da den Bulli zu holen mit dem man dann zu Ikea fährt.

Darüber hinaus habe ich festgestellt, warum ich so angestrengt bin: Das Adrenalin-Serotonin-Verhältnis stimmt nicht. Es bauen sich täglich Dinge auf den Stressberg aber es gibt kein Belohnungs-Serotonin weil nichts davon fertig wird.

Wenn Sie ohne zu googeln wissen, wovon die Überschrift inspiriert ist, sage ich Ihnen, wie alt Sie sind. Wenn Sie es nicht wissen, empehle ich Ihnen morgen mal ein Buch.

20.4.2019 – warum es Reformen in der Schule so schwer haben

Finnland – in den Pisa-Tests immer ganz vorne – will die Schulfächer abschaffen, las ich bei Frau Nessy:

„Dieses Konzept, […] sieht die völlige Abschaffung des bisherigen Fächerkanons bis zum Jahr 2020 vor. Stattdessen sollen die Schüler Ereignisse und Themen interdisziplinär bearbeiten […]. „Phänomen-Unterricht“ nennen die Experten diese Form der Stoffvermittlung.
Ein Beispiel: Der Zweite Weltkrieg wird zukünftig in einem Projekt gleichzeitig aus historischer, geografischer und mathematischer Perspektive behandelt. Beim Thema „Arbeiten in einem Café“ könnten Kenntnisse in Englisch und Wirtschaft sowie schriftliche und mündliche Kommunikationsfähigkeiten vermittelt werden.

spiegel.de: Finnland schafft die Schulfächer ab

Ich grinse mir einen beim Lesen – denn das ist ziemlich exakt das, was ich Anfang des Jahres schon mal skizziert habe, als ich über besseren Unterricht nachdachte.

Nein nein, Sie müssen sich jetzt nicht vor meinen pädagogisch-hellseherischen Fähigkeiten verneigen – ich hab das mal studiert, bekomme immer noch vieles mit und die Zeit für solche Konzepte ist längst überfällig. Und da liest immer man wieder mal solche Ideen.

Und wir? Meinen eigenen bescheidenen Beobachtungen nach wird das in Deutschland schwierig. Reformen in der Schule werden hier irgendwie immer wieder nur halbherzig angefangen und schnell wieder abgewürgt.
Bloß: Warum?

Vorbemerkung: Ich schreibe viel in so Sätzen wie „Deutschland will …“ / „Eltern tun …“ / „Das ist so und so …“ und ähnlich. Ich betrachte das aber alles wirklich als niedergeschriebene Überlegungen und als Thesen, die nach dem Lesen des Spiegel-Artikels so durch meinen Kopf streiften. Und ich will natürlich nicht alle Menschen über einen Kamm scheren. Nehmen Sie’s bitte so, das ist hier ein Blog und kein Fachmagazin – und fühlen sich herzlich eingeladen, auch daran rumzudenken, falls das irgendwie Ihr Thema ist.

These 1:
Die gute alte deutsche Haltung: Leistung muss hart erarbeitet sein.
Deutsche sind neidisch, wenn jemandem etwas leicht fällt; wir haben nur dann Respekt, wenn man hart dafür mindestens nine to five arbeitet.
Typische Sätze rund um die Schule wie „Morgen fängt der Ernst des Lebens an“ oder „Einmaleins-Reihen muss man halt nur ordentlich bimsen“ – oder auch die Einteilung in „wichtige“ (Mathe, Deutsch) und „Neben“-Fächer (Sachkunde/MINT) zeigen das schon recht deutlich.

These 2:
Reformen kommen eher von links als aus der Mitte. Pädagogen haben hier zu sehr noch das Bild „linker Pädagogenschluffi“; Lehrer sind die, die (beim Ortsverband der SPD) Lokalpolitik machen und da zu viel Zeit zum Reden haben.
Beides ist dem Deutschen eher suspekt. („Ah, Du wirst Sozialpädagoge, hat Dein Abi für nichts richtiges gereicht?“).
Pädagogen werden nicht wirklich Ernst genommen, sie leisten ja nichts – im Sinne von: „Stellen nichts her“. Also arbeiten sie auch nicht hart und werden nicht respektiert (siehe These 1).

These 2b:
Außerdem ist Pädagogik dem Deutschen keine echte Wissenschaft. Wir sind hier stolz auf unsere Ingenieure, auf die sichersten Bergbaustollen und niedrige Spaltmaße, auf die lange Industriegeschichte. Das kann man messen, beweisen, belegen. Und ja, da ist die Pädagogik etwas schlechter aufgestellt; gerade der Erfolg von Schulreformen würde erst durch die Zeit bewiesen und wer möchte schon, dass ihr Kind Versuchskaninchen ist?

These 3:
Aus eins und zwei zusammen folgt: Die Reform-Ideen, die in der Schul-Realität ankommen, werden belächelt. Menschen meiner Generation erinnern sich vielleicht, was deren Eltern über die Mengenlehre sagten?
Sie sind nett, denn sie machen den Kleinen Spaß und sind als nettes Add-On nicht unbeliebt. Aber halt Pädagogentralala. Projektwochen zum Beispiel sind eine nette Sache, die kurz von den Sommerferien, wenn „eh kein richtiger Unterricht mehr läuft“ platziert werden.

So lange „genug richtig“ gelernt wird, darf die Lehrerin auch Gruppenphasen, Projektwochen oder offenen Unterricht machen. Wird die gemessene Leistung – sprich: Noten – schlechter, ist der Grund klar: Dieser neumodische Schluffischeiss. „Die lernen ja auch nichts mehr, die malen und klatschen ja nur noch.

These 4:
Man vergleicht – das ist menschlich – alles was einem begegnet mit den eigenen Erfahrungen. Und wie Douglas Adams schon treffend feststellte: Alles was ab Mitte dreißig neu dazu kommt, braucht eh kein Mensch.
Tja. Deutsche Mütter bekommen ihr erstes Kind durchschnittlich mit 29, wenn die Kleinen dann also in die Schule kommen ist die Mitte dreißig erreicht – und damit kann das Gehirn gar nicht anders, als alles neue abzulehnen.
Schule muss also so sein, wie sie war, als wir selber in der Schule waren – sonst ist sie nicht gut. Man müsste mal nachfragen, ob diese Eltern auch in anderen Bereichen möchten, dass ihre Kinder wie 1985 aufwachsen: Ohne Airbag oder Maxi-Cosi im Auto, ohne Handy oder Mama-Foren im Web – aber dafür mit DDR, Helmut Kohl und Modern Talking?

These 4b:
Es gibt kaum ein Thema, bei dem alle gleichermaßen „Fachleute“ sind, weil sie es ja selbst erlebt haben – außer der Schule. Da kann jede mitreden. Dass sich Schule in den zwanzig Jahren seit man selbst raus ist verändert haben könnte – Pff.

These 5:
Deutschland hat keine Fehlerkultur. Wir betrachten Fehler als einen Makel, der etwas über die Person die den Fehler macht, aussagt. Fehler machen nur dumme Menschen, für Fehler wird man bestraft. Nur logisch: Fehler werden, wenn es eben geht, vertuscht.
Dass Fehler passieren dürfen und sogar ein wichtiger Schritt in einem Lernprozess sein können, hat da wenig Platz.

These 6:
Ob das jetzt Henne oder Ei, Ursache oder Folge aus These eins bis fünf ist: Auch Lehrerinnen sind unsicher, wenn etwas neues kommt. Es ist ja nur menschlich – und die Unsicherheit wird bestimmt nicht vergehen, wenn man täglich wütende Eltern im Unterricht stehen hat die wissen wollen, warum ihr behelikoptertes Töchterchen jetzt schon drei Wochen in die Schule geht und die unendliche Geschichte immer noch nicht selbst lesen kann.
Ja, das war vielleicht etwas polemisch formuliert, aber …
Aber auch Lehrerinnen mögen sich vielleicht mal nicht vorstellen können, dass eine neuen Methode funktioniert. Da bräuchten sie ein Klima, in dem auch sie ausprobieren können, in dem sie Mut haben können, aber … (siehe eins bis fünf).

These 6b:
Außerdem sind auch Lehrerinnen Menschen und brauchen dementsprechend (siehe These 4) keinen neumodischen Kram mehr. Es gibt Untersuchungen darüber, dass Lehrerinnen innerhalb weniger Monte nach dem zweiten Staatsexamen alles über Bord werfen, was sie an der Uni gelernt haben und dann den Unterricht machen, den ihre Lieblingslehrerinnen früher machten.

These 7:
Deutschland ist ein Hardwareland. Wir lösen Probleme, in dem wir unsere Ingenieure etwas dafür oder dagegen erfinden lassen. Schauen Sie aktuell auf den Digitalpakt, dann werden Sie sehen: Die Politik freut sich und sagt, man kann jetzt Whiteboards (WLAN/iPads/…) kaufen. Die klügeren Schulen rufen hingegen verzweifelt aber ungehört nach Fortbildung, die uninformierteren Schulen sind genervt, weil sie jetzt diese neue Hardware verwalten müssen.
Die Etats für Fortbildungen hingegen sind knapp, sogar wenn auf Hardwareseite gerade Geld fliesst.

These 8:
Wir alle haben das Gefühl, das Leben wird immer härter. Die Schere zwischen arm und reich, die erste Generation, deren Kinder es nicht mehr besser haben wird als die Eltern, blabla, kennen wir alle. Dass wir für unsere Kinder nur das Beste wollen ist klar, also: Keinen Pädagogenquatsch, sondern Leistung, Leistung, Leistung.
Dass die Welt so noch härter wird … tja.

These 9:
In der Politik ist das Thema längst zum Grabenkrieg geworden. Mannschaft schwarz will Leistung und fand’s per se vor dreißig Jahren eigentlich ganz ok. Mannschaft rot will halt aus Tradition Gesamtschule, hängt sich aber de facto aus Rückgratlosigkeit und Machtgeilheit praktisch immer an Mannschaft schwarz. Und Mannschaft grün kann aus der sicheren ewigen Oppositionsrolle die Forderungen immer höher treiben. Wer gerade regiert, macht halt was er will – auch wenn dabei die von der Vorgängerregierung gemachten Konzepte wieder gekillt werden.
Und so eine lustige Idee wie: „Mal auf die Fachleute hören“ hat ja eh ausgedient.

These 9b:
Dazu kommt: Politik wird dann als erfolgreich wahrgenommen, wenn sie „anpackt“, wenn sie etwas verändert. Veränderungen wiederum nehmen Menschen besser wahr, wenn sie deutlich sind; an kleinen Stellschrauben zu drehen sieht man von außen nicht. Also wirft jede, die an die Macht kommt das Ruder erst einmal kräftig herum. Wir müssen ja auch bedenken: Eine Legislaturperiode hat fünf Jahre und das letzte davon ist Wahlkampf. Also muss man spätestens nach vier Jahren Erfolge sehen. Dass das in unserem Fall nur eine viertel bis halbe Schullaufbahn ist – tja.

So haben wir dann im schlimmsten Fall in einer Schule verschiedene verpflichtende Konzepte und was das mit Lehrkräften und Schülerinnen macht kann man sich leicht vorstellen: Denkt nur mal an die Lehrerinnen, die selbst im Laufe eines Vormittags alle 45 Minuten neu überlegen müssen, ob sie jetzt in eine G8- oder eine G9-Klasse gehen und wie schnell bzw. tief sie jetzt die Themen besprechen dürfen.
Oder was erst lustiges passiert, wenn jemand eine Klasse überspringt oder „sitzenbleibt“.

Im Ergebnis: Beobachte ich mein Umfeld – egal ob on- oder offline, egal ob Lehrkräfte oder Eltern – herrscht große Unsicherheit. Die drei großen Ideen der letzten Jahre (G8, Lesen durch Schreiben und Inklusion) werden alle mehr oder weniger gescheitert angesehen.
Bei G8 weil sich selbst in den leistungsorientiertesten Hirnen die Einsicht durchgesetzt hat, dass das doch etwas viel Druck war.
Bei Lesen durch Schreiben meiner Beobachtung nach, weil schon vorher alle wussten, dass das ja neumodischer Kram ist und es deswegen nie richtig umgesetzt wurde.
Und die Inklusion steht mit der Nase knapp vor der Wand, weil vergessen wurde das nicht vorhandene Personal zu schulen (siehe auch These 7).

Und mindestens bei Lesen durch Schreiben, vor allem aber bei der Inklusion finde ich das – mal so als persönliche Bemerkung – unendlich schade. Schreiben werden Kinder auch anders lernen, sie werden halt nicht so viel Spaß daran haben.

Aber der verzweifelte Kampf einer Gesellschaft, ihren Kindern keine offenere, gemeinsamere Gesellschaft ohne Vorurteile zu zeigen, die tut mir einfach sehr, sehr weh.

Warum ist das hier so und in Finnland nicht? Und China ist doch bei den Pisa-Tests auch immer ganz vorne?
Ich fürchte wir blicken da auf verschiedene Gesellschaftsformen und auf ihre Auswirkungen. Auf Skandinavien, das eine lange Tradition darin hat, einen sozialen Staat und ein gutes Leben als Wert für die Gesellschaft zu fördern. Und das vielleicht auch dadurch gute Erfahrungen mit Reformen hat.
Auf China, das mit viel Druck und ohne Rücksicht auf den Einzelnen Wissen hineinstopft und Leistung dafür verlangt. Wer nicht mitkommt ist eben zu schwach, quasi sozialistischer Sozialdarwinismus. (Irgendwer hatte doch mal Statistiken über Selbstmordraten an chinesischen Schulen zu Prüfungszeiten?)
Und wir. Eine starke konservative Vergangenheit, eine starke linke Welle, Kohls geistig-moralische Wende und Schröder-Fischers Verkauf der linken Werte mit dem Beginn des freien Neoliberalismus. Dann lange Jahre kein Engagement. In Kurzform: Vorwärts-rückwärts-seitwärts-ran Hin-her-hin-abwärts-stop.
Wir könnten uns ja theoretisch mal entscheiden, was für eine Gesellschaft wir sein wollen. Oder wir eiern halt weiter rum und geben die Schuld wenn’s schief geht halt den anderen.

Ich merke gerade: Tritt man einen Schritt zurück ist das ja eh ein Satz, der nicht nur für Bildung, sondern gerade quasi für alle großen und weniger großen Themen passt: Sich mal entscheiden, was man sein möchte, statt dem anderen die Schuld zu geben, wenn’s nicht klappt.

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