Nachdem am Dienstag Sing meinen Song vorbei ist, rutschen wir übergangslos in Prominent rein – für die von Ihnen, die kein lineares Fernsehen mehr schauen: Ein sogenanntes Boulevard-Magazin. Eine Sendung also, die über die berichtet, die davon leben, dass über sie berichtet wird; und die sich parallel darüber aufregt, dass die bösen Boulevard-Journalisten so viel indiskretes über die berichten, die davon leben, dass über sie berichtet wird.
Vox hat das bei Eigenproduktionen echt raus, Sendungen quasi übergangslos ineinander fließen zu lassen und meist auch noch mit einem Thema zu beginnen, das zur letzten Sendung passt, so dass man leicht die nachfolgende Sendung rutscht.
Außerdem sind Promisendungen zur Hälfte mein guilty pleasure, zur anderen Hälfte arbeite ich mich daran ab – also bleibe ich dran.
Dienstag besuchen wir Krümel. Krümel – für die von ihnen die jetzt in eine sehr fremde Welt eintauchen – ist „eine deutsche Partysängerin, Reality-TV-Teilnehmerin und Gastronomin“ (um die Wikipedia zu zitieren). Sie selbst beschreibt sich auf der Website ihrer Kneipe als „eine der erfolgreichsten Vox-Auswanderinnen“.
Krümel betreibt auf Mallorca das Stadl, eine Kneipe, in der alle die singen*, die man aus den Sendungen kennt die über die berichten, die davon leben, dass diese Sendungen über sie berichten, wenn sie zum Beispiel beim Auftritt in Krümels Stadl von der Theke gefallen sind oder das Playback klemmte.
*) Für die, die mit Namen aus diesem Teil der Welt etwas anfangen können: 2020 waren u.a. angekündigt Gina Lisa Lohfink, Menderes, Micaela Schäfer, Paul Jahnke und Naddel.
Ein sich vollkommen selbst erhaltendes System ohne Mehrwert für etwas, was ich der Einfachheit halber mal als „wirkliches Leben“ bezeichnen möchte also – aber ich merke, ich gleite langsam ab, obwohl ich nur kurz diese Welt beschreiben wollte.
Am Dienstag also besuchen wir Krümel. Krümel ist relativ aufgebracht, denn überraschenderweise ist auch das hier vollkommen zusammen gebrochen, als keine Touristen mehr nach Mallorca kommen konnten und man keine Kneipen mehr besuchen durfte. Sie hat dann jetzt mal was unternommen, denn das geht ja so nicht weiter. Sie hat Künstler angefragt und eine Wiedereröffnungsparty geplant. Sie hat ein Hygienekonzept erarbeitet, hat eine Bühne aufgestellt, denn normalereise singen die Künstler bei ihr auf der Theke, aber das geht ja nicht, wer von dort oben singt, „spuckt ja quasi einmal durch den ganzen Raum“. Sie hat sogar jemanden eingestellt, der am Eingang abzählt wie viele rein dürfen und der darauf achtet, dass die die reinkommen eine Maske über Mund und Nase tragen und Abstände einhalten und erklärt den Auftretenden, dass sie nicht zum Mitsingen animieren dürfen, nur zum Klatschen – und das klingt alles erst ganz und gar überhaupt nicht so furchtbar unvernünftig, wie man es erwarten könnte.
Und dann geht der Wiedereröffnungsabend los und dann kommt schnell die Polizei und untersagt die Live-Auftritte und der ganz schöne Schein scheppert auf den Boden der aktuellen Realität. „Viel schlimmer ist, dass eventuell wir dieses ganze Jahr nicht mehr öffnen dürfen.“ weint sie und eine der Sängerinnen berichtet „Die Polizei kam und hat uns die Suppe versalzen; die Stimmung ging auch sofort runter“
Und warum ich das erzähle? Nicht, weil ich Krümel das hämisch gönne.
Weil es für mich aus irgendeinem Grund der letzte Tropfen war und ich ein vages Gefühl auf einmal formulieren konnte:
Ich möchte diese Geschichten nicht mehr hören. Ich möchte nicht mehr, dass jede vor dem Wort „Maske“ mit winzig genervtem Unterton „diese“ sagt und sich laut darüber freut, wenn „man sie endlich abnehmen durfte“. Ich möchte keine Geschichten darüber sehen, hören, lesen, dass Menschen versuchen, den Zustand des „vorher“ wiederherzustellen und ihnen dann die Polizei „die Suppe versalzt“. Ich möchte keine IG-Stories darüber sehen, wie „komisch leer“ der Flughafen ist, wenn man „nach drei Monaten endlich“ wieder mal fliegt. Ich möchte auch keine politisch verantwortlichen Menschen sehen, die ohne oder mit Maske unterm Kinn darum feilschen, wann man was denn „endlich wieder öffnet“
Das ist. das falsche. Framing.
Ich möchte diese Geschichten nicht mehr hören.
Ich vermute, ich predige hier eh den überzeugten, aber: Folgen Sie diesem Link: Schauen Sie sich nur fünf Minuten lag an, wie die letzten dokumentierten Pandemien abgelaufen sind.
Wir sind nicht drüber.
Es ist nicht vorbei.
Es werden höchstwahrscheinlich noch vielleicht dreimal so viele Menschen sterben. Corona wird uns mit hoher Wahrscheinlichkeit noch einmal so richtig in Gesicht lachen. Und jede dieser kleinen Geschichten, jede kleine Äußerung, jedesmal wenn die, jedesmal wenn wir dieses Framing von „danach“ und „aber mal endlich“ verbreiten, dann machen die und dann machen auch wir es wahrscheinlicher, dass die zweite Welle heftiger und heftiger kommt. Dass noch viel mehr Menschen sterben. Dass noch viel, viel, viel mehr Menschen krank werden.
Wissen Sie, was für Geschichten ich gerne hören möchte? Ich möchte Geschichten hören von tapferen Virenforschern. Ich möchte aus Drostens Stadl Berichte sehen, wie dort Zellen untersucht werden, wie dort in der Kantine auf der Theke auf eine nächste kleine Erkenntnis angestoßen wird. Ich möchte die Aufregung sehen, wenn morgens in Berlin jemand liest, was in L.A. jemand vorgestern herausfand und sich in seinem Hirn zwei Synapsen verbinden und er diesen Tag eine Kleinigkeit mehr über das Virus heraus finden wird. Ich möchte Menschen aus den Pflegeberufen vorgestellt bekommen. Ich möchte keine Berichte über die, die sich mit ihrer Unfähigkeit zu singen über Wasser halten, sondern über die, die Ideen haben, unsere aktuelle Realität besser zu machen. Ich möchte lesen, was man alles tun kann gerade. Was an Kreativität möglich ist. Was uns das Leben besser macht. Nicht über all das, was nicht geht.
Dieses Drecks-Framing, was die Menschen glauben lässt, dass es doch eigentlich vorbei ist – das sorgt dafür dass Busfahrer getötet werden, die auf der Maske bestehen. Das sorgt dafür, dass die, die kämpfen gleich an zwei Fronten kämpfen müssen – gegen das Virus und gegen die öffentliche Meinung. Das sorgt dafür, dass die Pflegekräfte schon wieder vergessen sind.
Ich will das nicht mehr hören. Nicht in den Zeitungen, nicht in der Politik, nicht in Blogs. Und überlegen wir ruhig auch mal selbst, wie wir so reden und schreiben; es sind oft auch Kleinigkeiten.
Aber: Ich will. das. nicht mehr hören.