2.8.2013: Pferdemädchen

Angestoßen von Annes Blogparade

Die ein oder andere Leserin mag wissen: Ich bin ja auf dem Dorf aufgewachsen.

Meine Eltern hatten dieses Dorf ausgewählt, weil es malerisch war (vermute ich), vielleicht waren auch die Grundstückspreise günstig, was weiß ich. Das Dorf war bewohnt von ca 300 Einwohnern, dreimal so vielen KühenSchweinenSchafenHühnern und circa 30 Ponys. Denn es war das Dorf mit dem Ponyhof. Wenn ich erzähle, wo ich aufgewachsen bin, ist noch heute eine Standardreaktion »Da war ich mal reiten«.
Ach was. Alle waren da mal reiten.

Erst später hörte ich erzählen, dass die Ponys ihr Leben vor dem Hof in Polen auf dem Acker verbracht hatten und eigentlich auf dem Weg nach Frankreich gewesen waren – sie hätten dort eine weitere, eher kurze Karriere als Salami in Aussicht gehabt. Der Ponyhofbesitzer fahre regelmäßig nach Hamburg zu einer Verladestelle und nehme alles mit, was nicht allzu sehr hinke. Aber vielleicht waren das auch nur Gerüchte.

Ob wahr oder nicht – damals fand man einen Ponyhof romantisch und folgerichtig setzten meine Eltern mich auch einmal auf so ein Tier. Pony und ich verstanden uns aber nicht, weder wenn sie das Tier an der Leine hatten, noch wenn ich in einer langen Reihe Touristen eingereiht hinter einem blonden Mädchen hinterher zockelte, das die Idiotenparade lässig ohne Sattel anführte.
Reiten und ich also: Keine Freunde. Ich kann noch heute besser mit Dingen die Knöpfe und Hebel zur Steuerung haben.
Aber immerhin hatte ich so mein erstes Pferdemädchen gesehen.

Wir hatten ja nicht viel auf dem Dorf und die Regeln waren einfach: Als Junge spielte man Fußball und mit 13 begann man, mit der frisierten Mofa an der Telefonzelle rumzuhängen.
Mädchen traten entweder gar nicht in Erscheinung oder wurden Pferdemädchen.

Als Junge lernte man dadurch schon früh: Mädchen in einer Gruppe sind sehr, sehr mächtig. Ich weiß bis heute nicht, ob diesen kichernden Mädchen klar war, was für eine Angst alle vor ihnen hatten?
Gleichzeitig aber war der Ponyhof aber natürlich auch das Objekt der Begierde. In den Köpfen der Dorfjugend entstanden aufregende Fragezeichen, wenn die Mädchen zusammen auf den Heuboden hochstiegen und die letzte die Leiter hoch zog. Man wusste nicht, was dort geschah, aber sowohl ganz einfach die Höhe des Raumes als auch der Mistgabel-bewehrte, griesgrämige Besitzer des Ponhofs verhinderten, dass es jemals jemand herausfinden konnte.
Aber auf den hundert Metern zwischen Telefonzelle und Ponyhof herrschte an jedem warmem Sommerabend mehr Verkehr als auf allen anderen Straßen des Dorfes im ganzen Jahr.

Ich hatte keine Mofa, ich spielte kein Fußball und mit zehn ging ich zur falschen Schule: Meine Kontakte zur Dorfjugend egal welchen Geschlechts waren eher rar.

Trotzdem habe auch ich einige bleibende Erinnerungen an die Pferdemädchen.

Zum einen war da mein bester Freund, dessen Schwester ebenfalls jede außerschulische Minute »am Stall« verbrachte. Wie jedes richtige Geschwisterpaar stritten sich die beiden bis aufs Blut. In diesem Fall war das quasi wörtlich zu nehmen, denn er war zwar älter und stärker als sie, aber er hatte eine wunde Stelle: Er hatte Heuschnupfen und auch sonst jede gängige Allergie. Zum Beispiel auf Pferde.
Ich erinnere mich an diverse Nachmittage, an denen sie, frisch aus dem Stall kommend, einfach nur breit grinsend bei ihm im Zimmer stand. Er lag niesend und schimpfend in der einen Ecke des Raumes und schwoll immer weiter zu – ich lag derweil vor Lachen in der anderen. »Geh raus, Du weiß, dass ich keine Hatschi! Luft bekomme« – »Nein. Erst sagst Du Mama, dass Du die Vase umgeworfen hast« – »Aber Hatschi! ich wars nicht …« – »Ich hab Zeit, ich kann hier stehen bleiben«
Kinder können unfassbar grausam sein.

Und dann zog Alexandra bei ihm ins Nachbarhaus. Alexandras Eltern hatten sich getrennt und ihr Vater zog mit neuer Freundin und Tochter ins Dorf. Total logisch: Wer so einen unmoralischen Lebenswandel pflegte, mit dem sprach man nicht.
Ich nehme an, uns verschaffte exakt das den entscheidenden Zeitvorteil. Denn während die anderen Jungs noch diesen archaischen Regeln folgend ihre Mofas in der Garage ließen, folgten wir Alexandra zum Stall.
Alexandra war aufregend. Alexandra kam aus der Stadt – also aus einer richtigen, nicht aus dem nächsten Kaff – und das wichtigste: Alexandra war schon mal »im Playboy gewesen«.
Wir sattelten unsere Rennräder und fuhren die zweihundert Meter zum Stall hinunter.

Dort stellten wir fest, dass wir – unwissend wie wir waren – außer den fehlenden Vorurteilen gegenüber modernem Beziehungsleben noch weitere Vorteile hatten: Wir grüßten den Ponyhofbesitzer, er grüßte zurück und wir waren drin. Noch nicht oben auf dem Heuboden, aber drin.
Zwei Pferdemädchen kamen uns entgegen, eine schob eine Schubkarre mit Mist, die andere hatte eine Mistgabel geschultert und sie grüßten ebenfalls freundlich.
Alexandra? Ja, die hätten sie auch schon kennen gelernt, die sei ganz nett. Vermutlich wäre sie oben auf dem Heuboden.
Heuboden?
Hinten rechts sei die Leiter. Aber Vorsicht!
Vorsicht?
Ja, bei Emma, die stünde in der letzten Reihe ganz vorne, da müsse man sich etwas an die Wand drücken, Emma schlüge manchmal aus. Ob sie uns sonst noch helfen könnten?

Uns musste man nicht mehr helfen, wir waren nur noch acht wackelige Sprossen vom siebten Himmel entfernt.

Alexandra war oben auf dem Heuboden.
Sie schichtete Heu von einer Ecke des Raums zur anderen um, setzte sich aber gerne mit uns mal hin – meinen Freund hatte sie ja schon kurz beim Umzug am Nachbarhaus gesehen. Wir unterhielten uns so stockend, wie man sich mit 15 eben stockend unterhält. Und als wir uns nach ein paar Minuten nichts mehr zu sagen hatten, stiegen wir wieder vom Heuboden runter. Drückten uns an Emma vorbei, verabschiedeten uns von den beiden Pferdemädchen und vom Chef – wir durften ihn dann auch gerne Bernhard nennen.

Am nächsten Tag waren die letzten Schranken der Sittsamkeit im Dorf gefallen und die Mofas kreisten auch um Alexandra. Und obwohl wir damit raus waren, fühlten wir uns als heimliche Sieger.

Ein paar Wochen später erfuhren wir übrigens auch die Auflösung der Playboy-Geschichte: Sie hatte zufällig in einer Menschenmenge gestanden, die auf einem Foto bei einem der hochwertigen Interviews abgebildet war. Naja, mit etwas weniger Hormonen im Blut wäre uns vermutlich auch damals schon aufgegangen, dass Playmates älter als 15 sein müssen.

Ach ja, worum ging es noch in der Blogparade? Pferdemädchen, genau. Ja, ich hab ja auch mal welche kennen gelernt.

Dieser Artikel wurde zuerst am 2.8.2013 veröffentlicht im jawl, meinem alten Blog. Das jawl ist geschlossen aber diesen Artikel wollte ich gern behalten und habe ihn deswegen in ein Archiv alter Artikel aufgenommen.

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