Dieser Artikel wurde zuerst am 16.1.2017 veröffentlicht im jawl, meinem alten Blog. Das jawl ist geschlossen aber diesen Artikel wollte ich gern behalten und habe ihn deswegen in ein Archiv alter Artikel aufgenommen.
Am Anfang steht eine Idee, stehen ein paar Worte.
Da ist es fast egal, ob ein Engländer vor vierhundert Jahren Elfen und anderes Waldvolk eine Hochzeit feiern lässt oder wie in diesem Fall der wunderbare Stadtnarr im Cafe sitzt und die Menschen beobachtet: Am Anfang ist das Wort und das Wort ist irgendeinem Kopf entsprungen und das ist gut so.
Sind es der Worte genug, haben sich zu den Worten auch Bilder gesellt, dann trifft man sich. Sitzt im Kreis, liest sich die geschriebenen Worte vor und im ein oder anderen Hirn merkt man, dass dort eine Idee entsteht. Hier eine Betonung, dort eine Pause oder Stimmlage; man merkt, die Phantasie beginnt von einem zum nächsten rüber zu springen.
Und neben den Frontallappen tun auch die Stammhirne ihren Job. Man beschnuppert sich. Denkt erst „Jippie“ und ist dann enttäuscht, wenn der andere von damals in der echten Kneipe zu kellnern hat und deswegen nicht im Cafe auf der Bühne spielen kann. Oder wundert sich, was denn DER oder DIE ausgerechnet hier wollen.
Irgendwann wird es organisatorisch und – das sei vorweg genommen: Künstler können das selten gut. Deswegen wird es auch irgendwann anstrengend und chaotisch. Das gehört dazu und wird doch jedes Mal schlimmer. Vollkommen logischerweise wird das also am eigenen Alter liegen, denn wenn von den alten Griechen bis heute beim Theaterspiel alles immer schlimmer geworden wäre, dann würde niemand mehr niemals Stücke auf die Bühne bringen.
Mein persönlicher Lieblingsmoment: Die erste Probe, in der die erste Person das erste Wort auf der Bühne spricht. Vielleicht unsicher, vielleicht schon sehr bestimmt, vielleicht mutig ausprobierend; im besten Falle erlebt man sogar, wie man sich eine Viertelstunde über zwei Buchstaben unterhalten kann. Aber vollkommen egal, wie groß oder klein der Moment auch scheint: Jetzt geht es los.
Immer wenn Menschen zusammen etwas tun wollen, egal ob es Arbeit, ein Marmorkuchen oder ein Theaterstück ist: Alle haben verschiedene Vorstellungen davon. Davon wie es sein soll, davon wie es gerade ist und davon, was man selbst und alle anderen dazu tun müssen, damit es so wird, wie man selbst glaubt, dass es sein soll – in der festen Überzeugung, dass alle über Wie und Was und Warum exakt das gleiche meinen wie man selbst.
Das muss schief gehen und das geht auch schief. Wer wie ich gerne gruppendynamische Prozesse beobachtet, die oder der wird lieben, was dann passiert: Wie der versucht Allianzen zu schmieden und die einfach nur noch schmollt. Wer auf einmal vollkommen überraschend vom Mauerblümchen zur leisen Chefin wird und welcher Silberrücken auf einmal alleine da sitzt und sich anbiedernd das Fell andern Leuten unters Kinn schubbert.
Die Krise kommt, manchmal lautstark und so, dass man es eigentlich hinterher kaum noch in einem Raum aushält, manchmal so leise und bei allen einzeln, dass es die anderen kaum mitbekommen.
Und plötzlich hat man noch zwei oder besser auch drei Wochen zu proben aber dass die Premiere trotzdem schon in einer Woche statt findet, das steht auf allen Plakatwänden der Stadt. Dann fällt irgendwem auf, dass ja dies und das noch geregelt sein muss, überraschenderweise finden sich Menschen, die sonst nichts miteinander zu tun haben zu einer Nachtschicht und morgens um vier ist sowohl dies als auch das geregelt und außerdem verbindet diese drei Menschen jetzt eine dieser magischen Nachtschichten, die durch nichts auf der Welt zu ersetzen sind und ewige Liebe mit sich bringen – oder wenigstens bis nach der letzten Aufführung.
Die Generalprobe. Sie muss schiefgehen, sagt das abergläubische Theatervolk, aber auch nicht so richtig, damit die Motivation für den nächsten Abend nicht ganz verpufft.
Zur Generalprobe sitzen das erste Mal alle stundenlang zusammen in der Garderobe.
Zur Generalprobe haben sich alle so richtig lieb.
Wenn die Premiere geschafft ist, dann ist aus dem Liebhaben tiefe, reine ewige Liebe geworden. Man muss sich gegenseitig lieben, denn niemand anders auf der Welt versteht den wilden Walzer, den die Gefühle nach dem Schlussapplaus spielen. Es mag – gerade nach gelungenen Premieren – auch manchmal gemeinsamer Alkohol im Spiel sein.
Dementsprechend fehlt am zweiten Abend etwas Energie, dann erschrecken sich alle und ab dann wirds richtig gut. Hat man Glück, versteht auch die Lokalpresse den Sinn der Worte, die – gereift von der ersten Idee zum richtigen Theaterstück – dargeboten werden. Hat man Glück sagt die angereiste Verwandtschaft mehr als „Du hast Deinen Text aber gut gekonnt“
Zu schnell sind die wenigen Aufführungen vorbei. Das Theater lässt sich erschreckend schnell aufräumen, das Licht wird abgehängt, die Kostüme die Treppe hoch getragen und aus dem Cafe wird innerhalb von Minuten wieder eine leere Bühne und ein paar zusammengeklappte Wände.
Noch einmal trifft man sich um zusammen essen zu gehen und wenn man sich zwei Monate später in der Stadt begegnet, dann fühlt es sich an wie damals in der Kneipe zu Weihnachten nach dem Schulabschluss, als man nicht mehr genau wusste, warum man die anderen so lieb hatte; auch wenn man es wirklich feste wieder versuchen möchte.
Gut dran ist, wer weiß, dass das immer so ist, immer so sein wird und nie persönlich gemeint ist, wenn man sich plötzlich nichts mehr zu sagen hat.
Oder erst nächstes Jahr wieder, wenn jemand eine Idee hatte und die gerne auf der Bühne sähe.
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