11.6.2017: Nett ist die große Schwester von freundlich

Die ein oder andere mag es mitbekommen haben: Anfang des Monats war ich für 2 Nächte in Dänemark; in Århus genauer. Ich war eingeladen gewesen, einem kleinen Konzert in einem kleinem Club beizuwohnen und auch wenn ich exakt das dann während der 2 Tage nicht getan habe – das ist eine andere Geschichte und gehört nicht erzählt – haben mir diese 48 Stunden in Dänemark einiges zum Nachdenken gegeben.
Und während das noch gärte, schrieb die hoch geschätzte Meike Winnemuth eine Kolumne über das Nett-sein und auf Twitter passierte „Get to know me

Ja, das hat alles etwas miteinander zu tun:
Mein erstes Gefühl, nachdem ich montags die Grenze nach Norden hinter mir gelassen und den ersten Kontakt zu den Einheimischen gehabt hatte: Mein Gott, sind die nett. An der Tankstelle. An der Hotelrezeption. An der Museumskasse. Im McDonalds. An der Supermarktkasse. Im schlimmsten Berufsverkehr.
Gut, ich war ja nun auch etwas euphorisiert, so eine Einladung bekommt man nicht jeden Tag und aus Gründen habe ich seit etwa zehn Jahren keine einzige Nacht mehr in einem fremden Bett verbracht – da war ich ja vielleicht auch etwas aufgeregt. Außerdem wissen wir alle, dass für mich gilt: je Norden, desto gut und vielleicht lags ja auch an der Landschaft und den Möwen?
Aber dann fuhr ich wieder zurück und bekam etwa sieben Sekunden hinter der Grenze emotional einen satten Klaps in den Nacken, dem dann in der ersten deutschen Raststätte ein satter Schlag in die Magengrube folgte.

Ich erzähl mal exemplarisch zwei Geschichten – wohlwissend, dass exemplarische Geschichten eben immer nur – Überraschung: exemplarisch sind. Aber sie erzählen meine schwer fassbaren Gefühle einfach zu gut.

Nummer 1. Ort: Ein McDonalds in der Nähe von Grenå.
Ich hatte Hunger und eine Pommes vor der Autobahn schien eine gute Idee zu sein. Also parken und rein.
Vorbemerkung eins: Ich übersetz mal alles zurück, was ich hier erzähle. Vorbemerkung zwei: Wenn ich irgendwem zugestehe, nicht vor Dienstleistungsfreude überzuschäumen, dann sind es Arbeitnehmer in Fast-Food-Franchise-Unternehmen.
Er: Hej!
Ich: Hej! Do you speak English?
Er: Klar! Was kann ich für Dich tun?
Ich: Habt Ihr vegetarische Burger?
Er: Äh? Klar, ich kann Dir jeden Burger vegetarisch machen …?!
Ich: Jeden? Uff, das überfordert mich, dann muss ich erst gucken, was Ihr denn überhaupt so habt …
Er: Gerade neu den da, aber extra Bacon ist ja bestimmt doof für Dich, wie wärs mit dem? Wieso überfordert Dich die Auswahl denn?
Ich: Naja, in Deutschland gibts exakt einen Veggie-Burger und Sonderwünsche gibts bei uns nicht …
Er (wechselt ins Deutsche): Oh, aus Deutschland? Ich auch spreche eine wenige Deutsch! Möchten Du lieber Deutsch rede?
Ich: Nee, voll nett, aber Englisch ist supi.
Er: Und wieso können die das bei Euch nicht?
Ich: schulterzuck

Mein Burger dauerte dann einen Moment und in der Zeit bediente er die nächsten. Und ich schwöre, ich habe noch nie jemanden so entzückend mit einer ca 10-jährigen, etwas schüchternen Kundin umgehen sehen wie ihn.

Geschichte Nummer 2. Ort: Eine Raststätte irgendwo bei Hamburg.
Mit der Mopo in der Hand, die ich der Liebsten mitbringen wollte marschierte ich zur Kasse.
Vor mir ein kleiner Trucker, den ich an der Betonung des „Hej!“ zur Kassiererin leicht als Dänen identifizieren konnte. Am „Do you speak English?“ danach auch.
Sie (sagt nix)
Er (erklärt – ich habs sachlich nicht ganz genau verstanden aber das ist egal – er habe da einen Coupon und man habe ihm gesagt, er könne den hier einlösen. Seven Euros?)
Sie (nimmt ihm den Bon aus der Hand, guckt drauf und sagt laut): Zu! Spät!
Er (hat das überraschenderweise nicht verstanden und wundert sich vermutlich ebenso wie ich über die unangemessene Lautstärke und fragt nochmal freundlich nach)
Sie (reißt ihm den Bon aus der Hand. Nimmt einen Stift, kreist damit irgendetwas ein (ehrlich!) ) Das! Ist! Zu! Spät! Dann zerreißt sie den Zettel.
Er guckt groß und schleicht weg. Sie stützt die Hände in die Hüften und guckt sich stolz um. Sie hat gerade immerhin einen Betrüger entlarvt und abgesaut.

Während der Geschichte ruht mein Blick auf dem Zettel neben ihr: Sagen Sie uns ihre Meinung, wir wollen Deutschlands freundlichste Tankstelle werden!
Danach bin ich dann wieder in den dreispurigen Kleinkrieg auf der Straße eingeschwenkt.

Ja, das sind beides nur Schnappschüsse ohne Zusammenhang aber sie stehen wirklich exemplarisch für ein tiefes Gefühl während der Fahrt.

Ein paar Tage später entdeckte ich bei @mellcolm, dass sie gerade nummeriert irgendwelche random facts über sich in Twitter hineinschrieb; ich entdeckte „Get to know me“ und fand das schön und machte auch mit.
Fix belehrte mich meine Timeline, dass ich das besser sein lassen solle: ich ginge damit allen auf den Geist. Ob zu selbstverliebt oder zu spät dran (immerhin lief dieses Meme schon einen ganzen Tag!) – meine Tweets nervten. Mein Spaß an der kleinen Geschichte erlosch quasi sofort; ich war traurig.

Ja, ich weiß, wir haben alle in teuren Coaching- oder Therapiesitzungen gelernt, auf die eigenen Bedürfnisse zu achten und sie zu formulieren. Wir wissen, dass es wichtig ist, sich selber auch mal durchzusetzen – jetzt nicht so sehr durch wie Herr Lindner, aber schon ein wenig durch. Ich fürchte, wir haben auch in vielen Jahren Twitter gelernt, dass man quasi Narrenfreiheit hat und absauen kann wen man möchte, so lange man auch nur halbwegs genug Follower hinter sich weiß und ein wenig zynisch oder ironisch oder wenigstens sonstwie lustig formulieren kann. Und wenn man „Leute, die…“ an den Anfang eines Tweets setzt, dann darf man eh alles.

Ich war nicht traurig, weil ich noch unbedingt die nächsten 27 Belanglosigkeiten über mich ins Netz hätte blasen wollen – ich schreib’ seit 16 Jahren ins Netz, habe vermutlich eigentlich alles unwichtige und wichtige längst gesagt und kann auch ohne. Nein, ich war traurig, weil das nicht nett war. Weil es nett gewesen wäre, den Menschen und mir, einfach mal kurz ihren Spaß zu lassen.
Schon vor Jahren habe ich die These vertreten, dass es nicht medienkompetent ist, zu überlegen, was ich ins Netz schreibe, sondern zu überlegen, was ich lese. Ich mag heute anfügen: Netter ist es auch.
Natürlich kann so ein Meme nerven. So wie der ESC zum Beispiel garantiert auch, bei dem wir uns alle abends spät angetrunken in den virtuellen Armen liegen und beteuern wie schön das wieder war. Wie die republica und so wie jedes Fussballspiel, so wie jede Konferenz der Piraten so wie alles, was kurz aufflammt und auf einmal trendet.

Nett sein bedeutet Großzügigkeit im Wissen, dass man selbst oft genug auf Großzügigkeit und Barmherzigkeit angewiesen war. Nett sein bedeutet, ganz prinzipiell an mildernden Umständen bei der Beurteilung anderer interessiert zu sein.

Und dann wurde die Kolumne von Frau Winnemuth durch meine Timeline geliebt: Weil man ja mal wieder nett sein könnte und sie das so schön auf den Punkt bringt.

Ja, genau.

Dieser Artikel wurde zuerst am 11.6.2017 veröffentlicht im jawl, meinem alten Blog. Das jawl ist geschlossen aber diesen Artikel wollte ich gern behalten und habe ihn deswegen in ein Archiv alter Artikel aufgenommen.

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