Ein Nachtrag

Nicht überraschenderweise gab es gestern ein paar Nachfragen zu dem, was ich hier (ca ab der Hälfte) über die Janas schrieb. Ich möchte daher noch etwas dazu ergänzen, denn die Fragen und Unterhaltungen waren wertvoll:

Vorwort: Falls das jemand so verstanden hat – mit keinem Wort habe ich oder wollte ich die unerträglichen Vergleiche relativieren.
Was ich sage ist davon unabhängig und ist: Unsere Gesellschaft hat sich Würde aller in den ersten Satz geschrieben und das gilt unbequemerweise auch für Straftäter, Schwurbler und alle. Da steht keine Einschränkung im Grundgesetz und ich stehe dazu, dass ich da auch keine möchte.


Zum einen ging es sehr schnell darum, ob man Verständnis haben müsse für die Querdenkenker. Und obwohl ich darüber ja gar nicht geschrieben habe, rutschte ich fröhlich mit in die Diskussion und das zeigt vielleicht vor allem, wie sehr diese Frage uns alle beschäftigt – gerade nachdem, wie Giardino sehr richtig sagte wir 5 Jahre davon hinter uns haben und es augenscheinlich Pegida, AFD und ähnliche nur größer gemacht hat.

Dazu möchte ich sagen: Ich glaube nicht, dass das „Verständnis haben“, was ich meine und das „Verständnis haben“, was als Titel auf Talkshows und politische Diskussionen geklebt wird, auch nur irgendetwas miteinander zu tun haben. Ich glaube, dass in TV und Politik ohne Skrupel und höchstens mit dem wohligen Schauer vor der bärtigen Dame Quote & Aufmerksamkeit gemacht wird, weil es endlich wieder ein richtig polarisierendes Thema gibt. Und ich verabscheue das zutiefst.

Ich hingegen möchte verstehen, was jemanden auf solche Irrwege treibt und wenn es ein schiefer Weg war, dann habe ich auch Mitleid. Beides ändert nicht einem Millimeter an meiner Haltung, dass es ein Irrweg ist und an meinem Widerstand.

Und ich denke darüber nach, ob ich den Begriff „Verständnis“ für mich nicht mehr benutzen werde, weil er so verbrannt ist. Erinnern Sie mich im Zweifel bitte.


Weiter entspann sich eine interessante Unterhaltung mit Vanessa darüber, was denn – ich fasse das mal zusammen – in einem Kopf vorgeht, um dermaßen die Fakten verdrehen zu können.

Dazu denke ich, dass genau hier ein wichtiger, vielleicht auch schmerzhafter Punkt ist. Wir (Menschen) bilden uns gerne etwas auf unseren Verstand ein. Leider tut der Kopf aber manchmal Dinge, die nicht klug sind – und zwar bei uns allen.
Dazu gehört, dass wir dazu neigen, uns das zu beweisen, was wir gerne glauben wollen. Und es gibt die verschiedensten Gründe, etwas glauben zu wollen: Es kann sozialer Status sein oder auch simple Trieb-Befriedigung, auch Faulheit oder Gewohnheiten sind mächtige Triebfedern.
Und ob es nun noch das eine Glas Rotwein mehr ist oder die erste Zigarette mit dreizehn, der eine Sex ohne Kondom, bei dem schon nichts passieren wird, sich den Fleischkonsum mit dem Bio-Metzger schön zu reden oder der Glaube, dass Dortmund dieses Jahr Meister wird, wenn man sich die Rückrunde lang nicht rasiert – der Mechanismus ist der selbe. Wenn wir etwas glauben wollen, dann machen wir es uns wahr.
Auf die Gefahr hin, mich jetzt noch unbeliebter zu machen: Mit der Religion gibt es einen weit verbreiteten und sehr akzeptierten Fall, in dem es sogar zum Prinzip erhoben wird, dass nicht die Ratio, sondern der Glaube das Wichtige ist.
Und ich möchte nichts davon bewerten, nichts herauf oder herab setzen; mir ist nur wichtig, dass wir alle diesen Mechanismus im Gehirn haben.

Und ja, das ist vielleicht schmerzhaft, denn es macht uns alle etwas weniger rational. Und es bringt uns nebenbei viel näher an die Schwurbler. Oder sie an uns.
Aber: We all are just human.
Und nochmal: nein, ich habe gerade nicht gesagt, dass ein Vergleich mit Anne Frank oder Sophie Scholl und die erste doofe Zigarette mit dreizehn das gleiche sind. Ich habe nur gsagt, dass eine große Chance besteht, dass der gleiche Mechanismus im Gehirn daran mitgewirkt hat.

Aber: Das ist nicht nur schmerzhaft. Das ist meiner hmbl Meinung nach auch die Chance, wie man verwirrte Menschen erreichen kann. Und es erklärt, warum eine konfrontative Diskusion keinerlei Wirkung hat.

Mal ein Beispiel: Angenommen, jemand hat sich so richtig in die Bill-Gates-chipt-die-Menschheit-Theorie verrant.
Erstmal macht das einiges für ihn einfacher. Diese furchtbar komplizierte Welt hat auf einmal ein durchschaubares System, alles wird von diesem unsympathischen Nerd gesteuert. Das gibt Sicherheit (Grundbedürfnis), wo vorher keine war.
Dann gibt es ein Überlegenheitsgefühl, denn man hat etwas verstanden, was die anderen nicht verstanden haben (sozialer Status, ebenfalls ein tiefes Bedürfnis)
Die Community der Schwurbler belohnt sich gegenseitig exzessiv mit Likes und Herzchen – das schafft soziale Gemeinschaft (Überraschung: wichtiges Bedürfnis). Der Algorithmus der gängigen Plattformen tut sein Übriges, um zu belohnen.

Es gibt also wirklich gute Gründe für das Gehirn, diesen Status zu halten, denn der Status ist super – also für das Gehirn. Ein Gehirn ist darauf gepolt, möglichst wenig Energie zu verbrauchen und wirkliches denken kostet Energie. Und wenn es soziale Sicherheit und Verständnis der Welt und sogar noch Überlegenheit so billig bekommt, dann ist die Richtung klar: Festhalten auf Teufel komm raus und den Rest wieder in StandBy.

Das bedeutet aber, dass wir, wenn wir mit einem solchen Menschen konfrontativ diskutieren gar nicht darüber sprechen, was Bill Gates tut. Also: Die Worte mögen darum kreisen, in seinem Gehirn ist aber höchste Alarmstufe, denn wir greifen gerade seine Existenz an. Und das – Überraschung – geht nicht gut.


Abschließend ist es mir wichtig zu sagen: Der Begriff „wir“, den ich hier oft benutze, der geht natürlich wirr durcheinander. Der meint „wir Vernünftigen“ oder auch „wir Leserinnen und ich“ – vielleicht habe ich ja auch Sehnsucht nach sozialer Gemeinschaft?
Und der meint „wir als Gesellschaft“ und das ist logischerweise etwas viel für so ein kleines Wörtchen. Vor allem dieser Sprung zur Gesellschaft, der ist ja ziemlich groß.
Und auch, wenn nach dem, was ich von Pädagogik und Psychologie und Hirnchemie verstanden habe, kaum etwas anderes bleibt, als Menschen mit anderer Überzeugung nicht mehr anzuschreien und sie zu ächten, dann ist das – in my hmbl opinion – natürlich nur eine gesellschaftliche Notwendigkeit.
Denn auch trotz meiner salbungsvollen Welterklärungen hier haben wir alle auch in meinem Weltbild natürlich als Einzelpersonen in Einzelsituationen immer das Recht, uns genervt abzudrehen. Den Deppen im Supermarkt, der den Lappen unterm Kinn hat anzuschreien. Onkel Friedrich des Hauses zu verweisen. Die gängigen Talkshows anzuschreien.

Aber die Gesellschaft, die sollte mal langsam eine Idee bekommen.

1 Kommentar

  1. Danke fürs Nachdenken und Gedanken-teilen.
    Zum Stichwort „Verständnis“: Neulich habe ich mitbekommen, wie jemand unterschieden hat zwischen Verstehen – Verständnis haben – einverstanden sein.
    Also: Diskussionen mit Verschwörungsgläubigen helfen manchmal, ihre Motivation zu verstehen. Verstehen führt – unter Umständen – auch zum Verständnis.
    Aber Verstehen und selbst Verständnis heißen immer noch nicht, einverstanden zu sein.
    Und Religion bedeutet auch für viele engagiert gläubige Menschen oft ein Reflektieren, ein Hinterfragen, eine Auseinandersetzung mit Unklarheiten, ein Reiben an Dingen, die mich stören – ein Prozess, der wahrscheinlich nie abgeschlossen ist. Für mich (engagiert evangelisch) jedenfalls nicht. Und ja – auch ein Vertrauen darauf, dass das große Ganze schon richtig und gut so ist.
    Aber klar, ich kenne auch manche, die einfach sagen: Steht in der Bibel, ist so, fertig!
    Schöne Adventszeit wünsche ich!

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