Der erste Schultag nach den Sommerferien – es ist definitiv einer meiner unliebsten Tage. Ich sage das vermutlich am Ende jeder Sommerferien, aber ich bin wirklich ein sehr froher Mensch, wenn die Liebste da ist. Und wenn ich mich erstmal sechs Wochen lang an einen Zustand gewöhnt habe, dann will mein Kopf nicht mehr zurück. Ich freu mich echt auf die Rente.
Apropos „Kopf“: der quittierte das alles mit einem Komplettversagen. Bis ich es an den Schreibtisch geschafft hatte und da etwas Produktives passierte, war es drei Uhr und ich mag nicht darüber sprechen.
Zwischendurch war ich unterwegs, musste laden und nutzte die Zeit, um die Fußball-WM hineinzuschauen. Und dann wurde mir bewusst, wie absurd diese Situation für mein 25-jähriges Ich gewesen wäre. Strom tanken! Fußball gucken! Im Auto!
Sehr lehrreich für mich ein Telefonat irgendwann heute: Wir gehen ja alle immer davon aus, dass andere Menschen das gleiche meinen wie wir, wenn Sie ähnliche Worte sagen. Das ist vollkommen menschlich und meines Wissens sogar überlebenswichtig, aber egal wie sehr ich es übe – ich werde in Gesprächen mit Neu- oder wannabe-Kundinnen immer wieder überrascht, wie – in diesem speziellen Fall – die Nutzung des Webs mit den gleichen Worten bedacht und vollkommen unterschiedlich gemacht, gedacht, gefühlt wird.
„Ich mag keine Seiten, wo man erst soviel eingeben muss“, sagt sie. Ich denke an die alte, längst verloren geglaubte Unsitte, Inhalte hinter Registrierungs-Formularen zu verstecken und sage: „Nee, so etwas macht ma ja heute nicht mehr. Und ich schon gar nicht.“
Wir sprechen noch weiter, ich will ihr auf meiner Website eine bestimmte Technik zeigen: „Gehen Sie doch mal auf meine Website“ — „Ach, Sie haben auch eine?“ — „Äh, ja natürlich.“
Sie tippt, wartet, dann: „Ja, die find ich ja zum Beispiel ganz furchtbar!“
Oh. Super Einstieg: „Ah? Warum, was genau?“, versuche ich die Situation zu retten. „Ja, da muss ich ja erst ok klicken, das will ich nicht“
Es stellt sich heraus, dass sie das Cookie-Banner meint, was bei mir hauptsächlich darüber informiert, dass nur notwendige Cookies gesetzt werden und die Besucherin vollkommen anonym bleibt. Und das will sie nicht, egal, ob das rechtlich wichtig ist oder nicht.
Die Seiteninhalte will sie bildschirmfüllend und als ich versuche zu erklären, dass das auf Laptops vieleicht noch geht, aber auf einem 27″ iMac, fährt sie entrüstet dazwischen, wer denn bitte heute noch Laptops benutzen würde, sie hätte gedacht, ich wäre vom Fach.
Naja, kommen wir zu ein paar
Zeugs
Aufmerksamkeit – meine Achillseferse im Moment, ich erwähnte es. Steffen Voß schreibt über ein Buch, in dem der Auto seine Erfahrungen ohne digitale Geräte um sich herum beschreibt. Jaja, digital detox, kennen wir alle und lettens meinte wer in einem sozialen netzwerk er verstände den Begriff nicht weil er digital ja nicht toxic fände und da haben wir alle geklatscht, aber mich hat das durchaus nachdenklich gemacht. Zumal ich bemerke, dass ich mich in depressiven Phasen mit so einem Detox schon ein ganzes Stück selbst heilen kann:
Kommerzielle digitale Anwendungen wie Apps und Websites sind in der Regel nicht darauf ausgerichtet, uns das Leben zu erleichtern, sondern uns möglichst lange zu beschäftigen, weil sie nur in dieser Zeit mit unserer Aufmerksamkeit Geld verdienen können – per Reklame, klar.
Steffen Voß auf kaffeeringe.de:
Johann Hari war das bewusst und er zog sich deshalb für einen digitalen Entzug für drei Monate in den US-Küstenort Provincetown zurück. Nur ein altes Laptop ohne Internetzugang hatte er dabei, um endlich seinen Roman zu schreiben. Er berichtet, wie er nach und nach auch andere Dinge wegließ. So hatte er sich doch einen iPod mit Musik und Hörbüchern mitgenommen, der nach zwei Wochen in der Ecke landete. Stattdessen machte er lange Spaziergänge ohne Beschallung und er bemerkte, wie sich seine Art zu Denken veränderte.
Abgelenkt – Warum kann ich mich nicht mehr konzentrieren?
Sie erinnern sich? Als letztens reichen Menschen das Elterngeld gestrichen werden sollte und alle steil gingen? Einen der interessanteren Artikel, die rund um diese durchs Dorf getriebene Sau erschienen sind fand ich diesen hier, in dem Nils Wischmeyer erklärt, warum wir alle auch finanziell in unserer Selbsteinschätzung gerne die Mitte der Gesellschaft sein wollen – auch wenn wir sehr arm oder sehr reich sind. Ich kann das aus kleinen Experimenten, in denen ich anwesenden Lehrerinnen erkläre, dass sie statistisch reich sind alles vollkommen anekdotisch bestätigen. Die wollen das nicht, die wehren sich mit Zähnen und Klauen und erklären, warum sie höchstens obere Mitte sind, aber auch das nicht wirklich.
Wenn Sie diesen Text lesen, sind Sie vermutlich reich. Oder zumindest viel reicher, als Sie denken. Denn der durchschnittliche Leser der Süddeutschen Zeitung verfügt laut einer Umfrage über ein Haushaltsnettoeinkommen von 4665 Euro. Leben Sie mit diesem Einkommen zu zweit, haben nur 19 Prozent der Bevölkerung ein höheres Einkommen als Sie.
Nils Wischmeyer auf sueddeutsche.de:
Wenn Sie nun aber vor diesem Text sitzen und denken, das könne nicht sein, Sie seien doch gar nicht reich, sondern allenfalls „obere Mittelschicht“, dann wird dieser Text Sie enttäuschen.
Denn, das lässt sich so allgemein sagen: Die allermeisten Deutschen schätzen ihr Vermögen wie auch ihr Einkommen vollkommen falsch ein. Keiner hat das je besser bewiesen als der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz, als er vor einigen Jahren sagte, er gehöre zur „gehobenen Mittelschicht“
Warum aber halten sich dann so viele Besserverdiener für die Mittelschicht? Einer der Gründe für eine solche Verzerrung liegt im Vergleich. Die meisten Menschen vergleichen sich mit anderen Menschen in ihrem Umfeld, die allerdings oft derselben Schicht angehören. Dort sind sie Durchschnitt.
Nein, ihr gehört nicht zur Mittelschicht
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Wir Lehrer und Lehrerinnen verdienen gut, besser als vielen von uns bewusst ist, keine Frage; ich kenne diese Gespräche. Aber das Median-Vermögen würde mich auch interessieren, von dem lese ich selten etwas. Ist das eh immer parallel, wer viel verdient, hat auch viel Vermögen, und umgekehrt? Oder wird doch viel vererbt?
Also Median-Vermögen statt Median-Einkommen.
Tja, das ist eine wirklich interessante Frage. Ein vollkommen nicht weiter helfendes Durchschnittsvermögen ließe sich ja aus https://de.statista.com/statistik/daten/studie/37880/umfrage/geldvermoegen-der-privathaushalte-in-deutschland/ errechnen, aber der Median und die Verteilung wäre ja spannender.
Gefühlt würde ich ja denken, dass Geld geld anzieht und mit hohem Vermögen auch hohes einkommen daher kommt, aber dass „gefühlt“ kein guter Ratgeber ist hatte ich doch gerade noch irgendwo gelesen? Ach nee: Selbst geschrieben.
„Stolen Focus“ hab ich im Sommer auch gelesen und war von vielem sehr beeindruckt. Der feste Vorsatz das eigene Verhalten ein bisschen zu verändern, ist aber inzwischen wieder nur bedingt umgesetzt. Das Buch lohnt sicher aber auf jeden Fall.
: „das eigene Verhalten ein bisschen“
Vermutlich ist das ähnlich schwer, wie ein bisschen weniger rauchen. „Ein bisschen“ kann unser Gehirn afaik nur so mittelgut, vor allem, wenn die Belohnungssysteme nicht mehr gekitzelt werden und er Nutzen sich verzögert einstellt.
Das Buch ,,Abgelenkt“ habe ich schon auf der Liste. :-)
Es scheint sich ja von den üblichen ,,Digital Detox habe ich ausprobiert und das ist ja total langweilig“-Artikel ab, die man hier und da schon mal liest.
Die haben immer gleich alles weggelassen und sich dann gewundert, dass sie sich verloren fühlten oder der Alltag plötzlich nicht mehr so funktioniert.
Kann man nicht einfach mal bestimmte toxische Apps oder Nutzungsarten weglassen und z.B. weiterhin private E-Mails lesen und schreiben – die dann aber z.B. nur am Desktop-Rechner und nicht mobil?
Oder ist es schon Sucht, wo es nur gilt: Ganz oder garnicht.
Was die psychische Gesundheit angeht: Wenn ich mich viel ablenke (Youtube, Podcasts), dann geht es mir meist psychisch schlechter. Weniger Ablenkung bedeutet, dass ich mich besser auf mich und meine Bedürfnisse fokussieren kann.
Ablenkung ist natürlich trotzdem erlaubt, aber eben bewusst und nicht als Dauerberieselung. Dann macht die übrigens auch wieder total Spaß.
Ja, ich glaube, dass zB technische Maßnahmen – wie getrennte Geräte – helfen können. Aber das ist natürlich ziemlicher Aufwand, auch finanzieller Art.
Den Effekt, dass zB soziale Medien auch wieder Spaß machen können, wenn man eine Zeit lang ohne Doomscrolling gelebt hat, den kann ich btw vollkommen bestätigen.
Den erhöhten Aufwand kann ich nicht nachvollziehen. Was spricht dagegen, z.B. Mastodon nur auf dem Desktoprechner zu lesen und nicht auf dem Smartphone?
Das meine ich mit erhöhtem Aufwand, denn es setzt ja das Vorhandensein von Desktop und Smartphone voraus. Ja, hier gibt es genug Endgeräte, aber ich kenne im privaten Umfeld kaum jemand, der noch regelmäßig Desktop/Laptop nutzt.
Der Absatz zur Nutzung digitaler Dinge bestärkt mich darin, Instagram zum Monatsende den Rücken zu kehren. Es raubt meinem Gehirn zu viel Energie und gibt mir zu wenig zurück.
Das Peergroupvergleichsmaßstabsproblem gibt es um mich herum haufenweise.
Ich habe Anfang 2021 Facebook komplett den Rücken gekehrt, muss aber aus beruflichen Gründen das Konto behalten. Ich bin also durchaus oft eingeloggt, aber arbeite dann; aber erst vor ein paar Tagen habe ich aus Neugierde mal wieder den Stream gelesen wie früher. Das war sehr seltsam; ich habe förmlich gefühlt, wie der Algorithmus versuchte, etwas passendes zu finden, um mich zu halten. Sehr entwürdigend.