Pünktlich um halb zehn stand ich an der Theke, an der ich mich melden sollte, fast pünktlich um zehn durfte ich rüber ins Behandlungszimmer, ich schätze so gegen zehn nach zehn drückte jemand sanft eine Dosis Propofol in meine Vene. Er drückte sehr langsam und ich erzähle Ihnen jetzt mal was im Vertrauen, wir sind ja unter uns: Ich liebe das Gefühl, wenn sich die wattige Schwärze langsam von hinten um mein Gehirn legt. Ich liebe es wirklich sehr, es ist ein nicht mit etwas anderem vergleichbares Gefühl und es gibt da einen kleinen Moment, an dem ich, der lifelong cleanste Mensch der Welt, verstehe, warum Menschen Drogen nehmen.
Wann ich aufwachte weiß ich nicht genau, ich hatte das Handy sicherheitshalber bei der Liebsten gelassen. Jedenfalls waren wir gegen halb zwölf wieder zu Hause. Und jetzt soll ich heute schwere Maschinen und schwere Entscheidungen vermeiden.
Was heute nicht ganz einfach ist, denn in einer Gruppe auf Facebook spricht jemand darüber, einen Bass zu verkaufen und es gibt Gründe, dass ich exakt diesen Bass brauche. Natürlich gibt es die immer bei jedem neuen iPhone, jeder neuen Kamera, jedem neuen Paar Boxen (nach Belieben zu ergänzen), aber diesmal ist das Problem größer.
Wissen Sie: Damals, als ich noch in dem Dorf lebte, in dem schlimmen Dorf das ich so sehr hasste, da saß ich so mit sechzehn quasi jeden Tag zusammen mit meinem besten Freund und wir hatten den Katalog der Firma Rockinger auf dem Tisch, die Gitarrenbausätze und -einzelteile verkaufte. Das war damals ein großes Ding in der Szene, die kleine Hannoveraner Klitsche hatte sich in kurzer Zeit weltweit einen wirklich guten Namen gemacht. Und wir beiden saßen mit dem Katalog da, diskutierten die Vor- und Nachteile von Erle gegenüber Esche, so wie es nur sechzehnjährige auf dem Dorf ohne einen Hauch von echter Ahnung können und träumten davon Rockmusiker zu werden. Den Rest hab ich ja hier und hier schon erzählt.
Jedenfalls gab es damals bei Rockinger auch einen bestimmten Bass, den ich sehr gelungen fand und von dem ich abends beim Einschlafen recht oft träumte. Nun, das ist fünfunddreißig Jahre her, Rockinger hat sich verkleinert, die Bässe gibts schon lange nicht mehr, auch bei den gängigen Anzeigenportalen nicht.
Na, Sie haben es geahnt: Da in dieser Gruppe bei facebook, da überlegt jemand, einen zu verkaufen.
Naja, schwere Entscheidungen morgen dann.
Im Wunschdoc fand ich eine interessante Frage – merci dafür!
Sie fragen, Christian antwortet
Sind die Geschichten die Sie schreiben eigentlich immer wahr?
(aus dem Wunsch-Doc)
Die kurze Antwort ist: Jein. Die längere: Sie haben es sicher geahnt – hin und wieder gibt es Gründe, das Wörtchen „wahr“ etwas zu dehnen. Zum Beispiel andere Menschen zu schützen, Kundinnen zu schützen, Familienmitglieder zu schützen, Co-Workerinnen zu schützen. Dann wird aus letzten Monat heute Nachmittag, aus sie wird er und aus er wird sie, aus einem werden zwei Menschen oder aus zweien eine. Was aber stimmt, das sind die Geschichten, sie sind so erzählt und so passiert, dass es egal ist, wer sie erlebt hat.
Weiterhin ist dies, was Sie hier lesen natürlich nur ein Ausschnitt aus meinem Leben. Und auch wenn ich mich dazu entschieden habe, hier offen und ehrlich zu schreiben gibt es immer wieder Gründe, dass hier Teile des Puzzles fehlen. Vielleicht fand ich etwas nicht wichtig genug, vielleicht war mein Mut nicht groß genug, alles zu erzählen, vielleicht meine Hybris groß genug, um etwas größer zu machen. Weiterhin gehören sowie Übertreibung als auch das Herunterspielen von Dingen zum meinem sprachlichen Repertoire und im Endeffekt bleibt zu sagen: Vermutlich bin ich genau so, wie Sie sich das vorstellen wenn Sie mit dem Herzen schauen – das ist ja der Zauber von Blogs – aber vielleicht eben auch einigermaßen anders, wenn Sie analysieren wollen.
Anekdotisch: Jemand der schon lange nicht mehr bloggt, sagte bei unserem ersten Aufeinandertreffen 2004 so schön: „Ach guck, Dich hätte ich mir viel ordentlicher vorgestellt.“ Wir haben uns dann aber trotzdem gut verstanden – er war nur über ein (für damals) hoch durch-designtes Blog und meine kaputten Jeans, Hoodie und Chucks gestolpert.
Auch Fragen?
Sie haben Fragen? Sie wünschen sich ein Thema, über das ich mal bloggen soll?
Schreiben Sie’s auf!
Alle bisherigen Antworten finden Sie übrigens hier.