Wissen Sie, wenn ich mich mit Lehrerinnen über „Digitalisierung“ unterhalte – und das geschieht gelegentlich – dann stehen diese Gespräche recht schnell vor einem Problem: Wir sprechen über vollkommen verschiedene Dinge. Sie möchten sich darüber unterhalten, mit welcher App ich denn dies oder jenes mache* und ich möchte mich darüber unterhalten, wie sie denn in Zukunft ihre Rolle im Unterricht sehen. Und dann gucken wir uns komisch an und dann fällt irgendjemandem auf, dass das Bierglas auch schon wieder leer ist.
*) Keine Ahnung, denn auch ds ist Digitalisierung: Ich probiere es halt aus.
Ich komme gerade darauf, weil der Chef von VW ein kleines bisschen gegen Apple gerantet hat …
Man habe zwei Möglichkeiten: die Softwareentwicklung aufzugeben und sich zu Blechbiegern degradieren zu lassen, oder die Software eben selbst zu entwickeln.
… und eine eigene Vision ausbreitete:
Es ist nicht das erste Mal, dass Diess eindringlich davor warnt, die Softwareentwicklung zu vernachlässigen. Schon 2020 sagte er, „die Zeit klassischer Automobilhersteller ist vorbei“. Als Vorbild sah der VW-Chef den US-Autobauer Tesla, der verstanden habe, dass das Auto in der Zukunft das wichtigste „Mobile Device“ sein werde.
(beide:
t3n: Absage an Apples Next-Gen-Carplay: VW will sich nicht zum Blechbieger degradieren lassen
Abgesehen davon, dass man über das Konzept „Individualverkehr“ mit selbstgekauften Autos ja eh gerade an manchen Stellen streitet, muss ich persönlich über diese Vision von VW ein bisschen lachen, denn sie beginnt sie in my humble opinion ein paar Jahre zu spät, ein paar deutliche Jahre.
Anekdotische Evidenz: Ich durfte im letzten Jahr zwei verschiedene Autos probefahren und habe in beiden sehr unterschiedliche Erfahrungen mit der Software gemacht. Im Polestar unterhielt ich mich einfach mit dem Auto und wusste ohne Einweisung, dass ich die Sitzheizung der Liebsten mit einem freundlichen „Google, Sitzheizung Beifahrerseite auf 2“ anstellen können würde. Übrigens fand dann beim Stop auf einem Parkplatz auch im Menu den richtigen Schalter und hatte nach einer Stunde Testfahrt nicht im mindesten das Gefühl, irgendetwas an diesem Auto nicht bedienen zu können.
Im Golf hingegen habe ich nach zwei Tagen, die ich die Kiste fuhr, bis zum Schluss irgendetwas nicht heraus bekommen – und ich halte mich weder für besonders ungeübt mit grafischen Benutzeroberflächen noch habe ich mir beim Suchen nicht wirklich Mühe gegeben.
Trotz der langen Suche kam ich einfach nur zu dem Schluss, dass VW aufgrund der katastrophalen UI für mich aus dem Kreis der potentiellen Autos ausgeschieden ist. (Um den Sumpf des Anekdotischen zu verlassen: Ich bin da nicht allein)
Nicht nur wegen dieser Erfahrungen kann ich mir nicht vorstellen, dass es ein deutscher Autobauer noch schaffen kann, gegen die unangefochtenen Großmeister im UI-Design auch nur halbwegs aufzuholen.
Aber, und das meine ich vollkommen ernst: Spät oder nicht, da jemand immerhin irgendwann ansatzweise begriffen, was Digitalisierung meint und dass man die mitgestalten muss, wenn man überleben will.
Buchhändler, die Schallplattenindustrie, die berühmten NewYorker Yellow Cabs um mal einige zu nennen haben das nicht begriffen, die sind alle einfach gefressen, äh Verzeihung: disrupiert worden.
Und daher denke ich, um im großen Bogen zurückzukommen immer: Mein Gefühl ist, dass es in der Schule noch gaaanz knapp Zeit sein könnte, digital zu agieren statt auf die Digitalisierung anderer zu reagieren. Nein, keine Whiteboards und iPads, auf denen dann die gleichen Arbeitsblätter ausgefüllt werden, die wir als stinkende Matritzenabzüge schon 1980 hatten. Sondern Ideen, was Lehrerinnen eigentlich einzigartig macht und die Konzentration darauf. Schülerbindung, Emotionalität, echte Reaktion auf Befindlichkeiten oder so etwas, ich bin kein Fachmann mehr.
Aber, liebe Lehrerinnen, niemand von Ihnen, und ich meine das ernst: Niemand von Ihnen ist die beste darin, die Siebener-Reihe oder den Zitronensäurezyklus zu erklären. Es wird immer jemand besseren geben – in der nächsten Schule, im nächsten Kreis, im nächsten Bundesland, im nächsten Land. Und ich fürchte, die beiden allerbesten, die sitzen schon bei Google und Apple und machen gerade Videos davon.
Sie mögen das, wenn ich auch mal aus dem täglichen Alltags-Einerlei ausbreche und über Gott und die Welt nachdenke? Hier steht eine virtuelle Kaffeekasse!
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Ja.
Übergangszeiten und -erfindungen sind immer sehr skurril im Rückblick. Oft verliert die bessere Lösung, weil die schlechtere eigentlich schneller und besser, aber irgendwie besser zu bedienen und bequemer zu handhaben war. Bequemlichkeit siegt jedes Mal. Bequemlichkeit, unterstützt von perfektem Marketing/PR, und der Drops ist gelutscht. Vor zwanzig Jahren hatten die hochpreisigen Autos (Mercedes, BMW, Jaguar, Range Rover etc) proprietäre, sehr elegante Navis, für die man einmal im Jahr für EUR 750 einen neuen Upgradesatz Navigations-CDs kaufen konnte, die einen eigenen CD-Wechsler im Kofferraum benötigten. Dann kostete ein tragbares, kleines, hässliches TomTom 150 EUR. Das konnte wahlweise im Jaguar oder im Polo der Gattin per Saugnapf montiert werden und hatte außerdem lustige Ansagerstimmen (meins hatte John Cleese). Fünf Jahre später hatten alle ein Smartphone und Google Maps und der Drops war gelutscht. Klar, jetzt weiß Google genau, wo du hinwillst und auch alle, die Google Geld dafür bezahlen (oder eine richterliche Verfügung vor die Nase halten), damit sie es auch wissen dürfen. Das TomTom oder die fest verbaute Lösung hatte ein eingebautes Feature namens Privatsphäre (wir wollen nicht von Papierkarten und Straßenatlanten anfangen, denn wir sind ja nicht mit dem Pferdefuhrwerk unterwegs), aber das wollte niemand.
Wir denken zu viel und zu kompliziert und nicht weiter als von der Tapete bis zur Wand. Und heute ist die gute, alte, einfache Zeit, auf die wir morgen sehnsüchtig zurückblicken.
Und wäre es nicht einmal spannend, wenn wir den Übergang zur nicht-so-guten neuen Zeit in einem Bereich wie Bildung mal gestalten würden, statt von ihr überfahren zu werden?
Wer ist „wir“ in diesem Fall? Der Übergang wird ja gestaltet, nur nicht so, wie „wir“ uns das wünschen würden, sondern so, wie es den Menschen in den Entscheiderpositionen am meisten Macht oder Geld einbringt. Stichwort Kickbacks von Gewinnern öffentlicher Ausschreibungen. Und deren Interessen entsprechen nicht notwendigerweise „unseren“ Interessen.
Vielleicht „wir“ as in „die demokratische Mehrheit der Gesellschaft“ oder vielleicht so was crazy-es mit „sozialem Nutzen“ drin oder so – und nicht „das meiste Geld“?