„Worried sick about the election“ schrieb sie mir gestern und so sehr es mich immer froh macht, mir mit einem so klugen Menschen zu schreiben, kann ich mich nur anschließen.
Beim Aufwachen je nach befragtem Qualitätsmedium noch kein annähernd klares Ergebnis oder der eine oder der andere vorne. Allen gemeinsam nur, dass sie sich immer noch so verhalten, als ginge es dort um einen Politiker und nicht um einen Menschen mit einer schweren Persönlichkeitsstörung.
Überhaupt ist es schwer, dieser Tage nicht dauernd worried sick zu sein – die Einschläge kommen immer näher und die Geschichten die ich lese, drehen sich immer noch eher um die Einschränkung beim Shoppen als um das gute Gefühl, gemeinsam eine Pandemie zu besiegen.
Naja, zumindest in dem kleinen Teil der Welt, den wir so im Blickfeld haben. Oder wussten Sie, dass es diverse Länder gibt, in denen man Corona unter Kontrolle hat? In denen es nicht mal eine Curve zu flatten, geschweige denn eine zweite Welle gibt?
Schon doof, dass man darüber hier nichts erfährt. Indi Samarajiva ist da auch etwas wütend drüber: Western media cannot write western failure; und – Spoiler – der Fachbegriff dafür lautet übrigens „Rassismus“.
Passend zur Wahl und auch zum Rassismus by the way auch schön dieser Thread: Wahlberichterstattung über die US-Wahl, wenn die USA in Afrika liegen würden. (via Flusskiesel)
Beim frühen Eintreffen am Schreibtisch begrüßt mich draußen wenigstens die Venus. Der ist das alles vollkommen egal.
5m von meinem Schreibtisch wird ein neues Fenster eingesetzt und dazu wird erst das alte entfernt und das muss dem Geräusch nach mit einem dicken Hammer und einer Motorsäge gemacht werden und nachdem ich heute endlich mal wieder ohne Kopfweh, ohne anderes undefinierbares Ziehen in den Knochen oder andere Irgendwasse aufgewacht war, hat mich das gleich die nächsten 4 Stunden als Arbeit nutzbare Zeit und zwei VideoCalls gekostet. So schön.
Trotzdem später noch in einen richtig produktiven Tag gerutscht, den ersten seit vielen Wochen, der sich irgendwie so anfühlt und das ist richtig, richtig gut.
„Wir können uns über Teams treffen“, sagte sie aber dann stellt sich heraus: Natürlich werden die Schulrechner von der Stadt gewartet und die Stadt sah halt keinen Grund, warum das Kollegium mit irgendjemand außerhalb der Schule Kontakt haben sollte. So können die Kolleginnnen immerhin ihre Konferenzen vor der Kamera abhalten; mit Schülerinnen oder gar externen Beratern kann man so leider nicht sprechen. Erinnert an die Telefone früher, mit denen nur Ortsgespräche möglich waren.
Bin mir aber fast sicher, dass sich in der Verwaltung alle stolz auf die Schultern klopfen und wissen: Also UNSERE Schulen sind ja digitalisiert.
Überhaupt merke ich auch an den Stellen, wo immerhin die Übermittlung von Unterricht und Unterrichtsinhalten an alle gelingt, dass „Digitalisierung“ und „Digitalisierung“ nicht immer das gleiche meint.
Was manchmal klappt ist die Übertragung der bestehenden Unterrichtsformen auf einen Computerbildschirm. Dass sich daraus auch andere Unterrichtsformen, andere Formen der Wissensvermittlung, vielleicht irgendwann andere Inhalte und dann auch eine andere Kultur der Kommunikation und des gemeinsamen Arbeitens ergeben … da ist seltenst die Rede von.
Und so hat jede digitalisierte Kollegin ihre eigenen Arbeitsblätter digitalisiert – seitdem uns Scanner mit Einzug hinterhergeworfen werden ist das ja quasi kein Problem mehr – und das wars dann. Und in mir jammert es leise „Materialpool … Cloudspeicher … Schulwiki“ aber nun denn.
Kleine Schritte.
Der neue Bürgermeister der Stadt hat seine Antrittsrede ins Internet gestellt. Nachdem eine Fraktion bemängelt hatte, dass man sich für die konstituierende Ratssitzung überhaupt treffen müsse – man hatte zu diesem Zweck den städtischen Saalbau gewählt und egal wie vorsichtig ich bin: Zu der Veranstaltung wäre ich problemos gegangen – nachdem also eine Fraktion rumgenörgelt hatte, begann er seine Rede mit einem sehr klaren und wertschätzenden Satz zur Demokratie und ihren Errungenschaften. Zum Beispiel eben wirklich öffentlichen konstituierenden Sitzungen.
Aber davon wollte ich eigentlich gar nicht sprechen; eigentlich wollte ich mich darüber freuen, dass sofort der zweite Absatz seiner Rede betonte, dass er der Bürgermister aller Mendener sein wolle. Und dann zählte er als Definition von „alle“ eine Menge Gruppen auf, die der konservative Sauerländer im besten Fall mitmeint und im schlimmsten Fall gerade noch tolerieren kann, wenn er sie nicht sehen muss. (As in: „Ich hab ja nichts gegen …, aber … “
Das habe ich sehr gemocht, das war eine gute Einleitung nach einem Wahlkampf, der sich de fakto nur um ein Industriegebiet drehte, das, wenn ich das richtig verstanden habe, die Stadt retten wird.
Als Einzelunternehmer in einer Pandemie in einem neoliberalen Land, das analog nach rechts driftet in einer Welt, deren Klima gerade unwohnlich wird, war das nicht mein Wahlkampf gewesen.
Parallel höre ich aus irgendeiner anderen Schule Geschichten über die Wahl der Elternvertreterinnen bei denen ich nur denken kann: Ihr wisst überhaupt nicht mehr zu schätzen, dass Ihr in einer Demokratie lebt. Eine geheime schriftliche Wahl als bürokratischen Aufwand zu bezeichnen – nun denn.
Aber wenn gewählte Ratsmitglieder den Wert der konstituierenden Sitzung vergessen haben, kann man das Sabine und Wolfgang vielleicht gar nicht mehr ankreiden, wenn sie den anderen mitteilen, sie hätten rumgefragt und es hätte niemand was dagegen, wenn sie das Amt nehmen.
Das YT-Video des Bürgermeisters beginnt übrigens mit 16 Minuten Standbild „Die Übertragung geht gleich los“, weil niemand sich in der Lage dazu sah oder es niemand für nötig hielt, das zu schneiden.
Kleine Schritte.
Viele kleine Schritte.
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Merci beaucoup für den Hinweis auf den faszinierenden Medium-Artikel. Ich habe gleich noch ein bisschen bei Herrn Samarajiva weitergelesen; der ist möglicherweise auch nicht ganz unvoreingenommen, bringt aber einige kluge Punkte, die aus rein westlich geprägter Perspektive ausgesprochen überraschend sind.
Weil ich selbst die Welt außerhalb Mitteleuropas nicht aus eigener Anschauung kenne, muss ich jetzt ganz vorsichtig formulieren: Diejenigen Länder, die im oben verlinkten Artikel als Musterbeispiele wirklich wirksamer Corona-Kontrolle angeführt sind, werden in unseren Medien häufig als eher kollektiv agierende denn individuelle Gesellschaften dargestellt. (Ich wage nicht zu beurteilen, ob das wirklich so ist.) Auf unseren Individualismus bilden wir uns nun eine ganze Menge ein, aber ich finde den Gedanken nicht abwegig, dass uns genau dieser Individualismus bei der Pandemiebekämpfung brutal im Wege steht. Wenn der andernorts weniger ausgeprägt ist, wäre es nur logisch, dass kollektive Anstrengungen zur Risikobegrenzung erfolgreicher sind.