Es gab gleich mehrere Gründe, runter ins Städtchen zu fahren: Unsere Personalausweise waren da und außerdem lagen hier drei Uhren, die sich strom- und lustlos sich nicht mehr bewegen.
Kommt man ins Rathaus, begrüßt einen vorne eine leicht improvisierte Schleuse, die zu einem Desinfektionsmittelspender führt. Die eigentliche Info links ist leer, davor steht Zeug und ein paar Absperrbänder, diverse Schilder weisen darauf hin, dass man direkt durch die Schleuse zu einem neu eingerichteten Infoschalter muss und ohne Termin nur wenig geht. Und Abstand! Maske! und was da sonst noch so steht dieser Tage.
Der neue Infoschalter, zu dem einen die Schleuse dann leitet, ist ebenfalls sichtlich improvisiert: Ein einfacher Tisch frei im Raum mit PC darauf, die Kabel liegen wild durch den Raum bis zur nächsten Steck- und Netzwerkdose. Von der Decke baumeln Plexiglasscheiben. Gut, niemand konnte ahnen, wie lange die Pandemie dauert.
Dahinter ein großer Screen, der links Nummern zu Schreibtischplätzen im Bürgeramt zuordnet und rechts uninspiriert vier Bilder aus der Stadt in der Endlosschleife ablaufen lässt.
Auf der gesamten gegenüberliegenden Seite Sitzplätze mit Abstandhaltern dazwischen.
Ich bekomme auch eine handgeschriebene Nummer vom Abreißblock und muss noch warten.
Im freien Raum hinter der Schleuse und Info-Tischchen und vor Treppenhaus und Eingang zum Bürgeramt steht die Mitarbeiterin eines Sicherheitsdienstes. Finger in den Gürtelschlaufen ihrer Pseudo-Uniform und die Körpersprache irgendwo zwischen Handballtorwart und ich-muss-mal-dringend-pullern hin wippt sie breitbeinig hin und her. Nur wenn am Infotischchen jemand steht, macht sie einen Schritt dorthin und hört zu.
Und wenn der große Screen pingt, dann liest sie Änderung laut vor – das ist aufmerksam von ihr, denn von den sieben Warteplätzen kann man von genau einem aus den Screen sehen.
Wenn sie nicht wippt, pflaumt sie kumpelig vorbeigehende Rathausmitarbeiter an; man kennt sich offensichtlich. Mancher fängt sich auch einen – natürlich nur stell-dich-nicht-an festen – Schlag in den Nacken oder einen Tritt in den Hintern ein.
Auch der Mann mit dunkler Hautfarbe, der irgendwann reinkommt wird mit besonderer Aufmerksamkeit bedacht: Langsam und laut, jedes Wort einzeln betont, wird er schon direkt hinter dem Eingang, weit vor Schleuse oder Desinfektionsmittel gefragt, was er denn wohl hier wolle. Und bekommt dann von ihr jeden Aushang – langsam und wieder einzeln betont – vorgelesen. Er antwortet ebenso ruhig und freundlich wie akzentfrei und nicht das erste Mal an diesem Tag muss ich schlucken.
Eine alte Dame betritt den Raum. Geht langsam bis zum Tischchen, wird gefragt, was sie denn wolle. Herrn Dings wolle sie besuchen, sagt sie.
Herrn Dings gibt es hier nicht, antwortet die Frau und wendet sich wieder dem Computer zu.
Aber Herr Dings hat gerade mit mir telefoniert, ich soll ins Rathaus kommen, wiederholt die Frau und ich höre einen Hauch Verzweiflung unter dem Unverständnis in ihrer Stimme.
Frau Info wendet sich ihr wieder zu: Herrn Dings haben wir hier nicht.
Verzweiflung wächst: Aber wir haben gerade telefoniert und ich soll ins Rathaus kommen.
Frau Info kichert: Na, und wohin sollen Sie kommen?
Ins Rathaus.
Frau Info lacht laut, ich schlucke wieder.
Nee, da gehen Sie mal besser wieder, wir haben hier keinen Herrn Dings.
Die alte Frau dreht sich um, ich sehe die komplette Verwirrung in ihrem Blick und da betritt Herr Dings den Raum. Sich seiner Wichtigkeit bewusst – immerhin ist er bei der Zeitung hier im Ort – durchschreitet er die Schleuse und eilt auf die Dame zu und stellt sich vor.
Sie ist sichtlich froh, auch wenn sie nicht ganz verstanden hat, was gerade geschah – und die beiden gehen durch die Schleuse zurück und beginnen zu reden.
Frau Info und Frau Sicherheitsdienst schauen ihnen nach und lachen.
Dann wieder Stille und rechts-links-Wippen mitten im Raum.
Na, das wird ja länger, da setzen wir uns doch mal, höre ich plötzlich Herrn Dings sagen und er kommt mit der alten Frau aus dem früheren Durchgang zur längst gesperrten Tiefgarage. Er organisiert aus dem Nichts zwei Stühle und stellt sie vor die alte Info.
Die beiden setzen sich, die beiden am Info-Tischen schauen verwirrt und schieben sich per Handzeichen die Verantwortung zu. Frau Sicherheitsdienst verliert und geht los und geht auf die beiden zu: Was sie jetzt hier machen würden, hier im abgesperrten Eingangsbereich des Rathauses?
Wir machen ein Interview, entgegnet er.
Aber, Sie können jetzt hier nicht … , versucht sie, aber er unterbricht:
Wir machen jetzt hier ein Interview. Und dreht sich von ihr weg und macht eindeutig die Hierarchie klar. Sie geht und tritt einem vorbeikommenden Rathausmitarbeiter in den Hintern.
Sterben hätt ich können, da muss man doch was tun, höre ich die alte Frau sagen, als es pingt und ich meine Nummer blinken sehe.
Der Juwelier im Ort hat übrigens an seiner Tür einen Zettel hängen, der darüber informiert, dass man während der Ferien montags geschlossen hat. Naja, Ferien sind ja quasi immer irgendwo und so stehe ich vor der verschlossenen Türe und schlucke wieder mal. Diesmal anders.
Liebe unbekannte Leserin, ich habe mich furchtbar gefreut, als die Briefträgerin heute Morgen ein Buch abgab. Danke sehr, jetzt echt!
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