Nachdem der Artikel über das Gendern aus linguistischer Sicht drüben bei Frau Herzbruch so große Erfolge feiert, dachte ich, ich nehm das mal als Gelegenheit darüber zu erzählen, warum ich seit vielen Jahren im generischen Femininum ins Netz schreibe.
Es muss 1996 oder 1997 gewesen sein und – die älteren unter den Leserinnen, gerade wenn sie in Pädagoginnenkreisen unterwegs waren, werden sich erinnern – es wurde zum ersten Mal darüber gesprochen, ob denn das generische Maskulinum eine wirklich kluge Wahl ist, wenn man über Menschen beider- oder allerlei Geschlechts sprechen möchte. Wobei es damals noch nur um beiderlei und nicht allerlei ging.
Wie das so ist, greifen Menschen ja gerne erstmal nach den vermeintlich einfachsten Lösungen und so lasen wir schnell auf der ersten Seite von Seminararbeiten oder Protokollen so schöne Vorbemerkungen wie: „In diesem Protokoll wird über Schülerinnen und Schüler gesprochen. Um eine bessere Lesbarkeit zu gewährleisten haben wir uns für die durchgängig männliche Form entscheiden. Das andere Geschlecht ist immer mitgemeint.“ Und wurden angewiesen, dies selbst auch so zu tun.
In meinem Kopf wirkte das in etwa so, als würde man ein Schild „Gesund!“ aufs Nuss-Nougat-Creme-Glas kleben, nachdem man gemerkt hat dass nur Palmöl und Zucker drin ist. Und das regte meinen Widerspruchsgeist – und zum Glück auch den meines Kollegen bei einem meiner Seminare in der örtlichen Jugendbildungsstätte, wo wir damals auf Honorarbasis arbeiteten.
Nach dem nächsten Seminare taten wir also das einzig komplett logische und schrieben auf die erste Seite unseres Protokolls:
„In diesem Protokoll wird über Schülerinnen und Schüler gesprochen. Um eine bessere Lesbarkeit zu gewährleisten haben wir uns für die durchgängig weibliche Form entscheiden. Das andere Geschlecht ist immer mitgemeint.“ Wir sprachen durchgängig von „Teilnehmerinnen“ und „Seminarleiterinnen“ und gaben es ab.
Und bekamen einen Anruf, wir sollten beim Amtsleiter vorstellig werden. Dieses kleine, vollkommen harmlose Protokoll zweier Studentinnen über ein Wochenendseminar, in dem wir mit 15 interessierten Jugendlichen die Planung und Durchführung eines Diskoveranstaltung für Jugendgruppen besprochen hatten, ein Protokoll bei dem wir immer angezweifelt hatten, dass es überhaupt irgendjemand las, dieses Protokoll wurde durch unsere kleine, umformulierte Einleitung und ein paar Teilnehmerinnen zu einem kleinen Skandal im Jugendamt der Kleinstadt. Was der Blödsinn solle? Was wir uns dabei gedacht hätten?
In der Ebene im Jugendamt vor der wir uns „verantworten“ sollten, arbeiteten übrigens quasi nur noch Männer.
Wir waren, gelinde gesagt etwas überrascht. Und blieben aber dabei: Wenn Ihnen doch allen die Gleichberechtigung so wichtig wäre wie sie behaupteten, dann müsse es doch in Ordnung sein, wenn wir statt der männlichen Form auch mal die weibliche nehmen würden – das könne sich dann doch insgesamt sehr schön gleichmäßig und gleichberechtigt verteilen.
Blödsinn! Unfug! Provokation! Nie wieder! riefen sie und ich hatte wieder mal etwas über Doppelmoral gelernt.
Eine interessante Erfahrung darüber ob Menschen wirklich etwas ändern wollen.
Leider war das aus nicht mehr bekannten Gründen (nein, es war nicht das Protokoll) mein letztes Seminar inn der Jugendbildungsstätte und ich kann nichts darüber sagen, wie es weiter ging. Nur, dass ich mich 2001, als ich mein erstes Blog aufsetzte, daran erinnerte und seitdem insgesamt friedlich und ohne dass es jemanden genug für einen Kommentar stört* hier im generischen Femininum schreibe. Oder, wie es letztens jemand, die mit mir über Feminismus sprechen wollte, sagte: „Oh, ist mir gar nicht aufgefallen.“
*) Drei oder vier Ausnahmen in zwanzig Jahren bestätigen die Regel.
Wir lernen also: Das Thema ist älter als gedacht und die wirkliche Auseinandersetzung damit wurde von Anfang an torpediert.
Darüber hinaus, schließlich ist das hier ein Tagebuchblog: Immer noch arg erschöpft von gestern; dass heute Abend ein Termin beim Kieferchirurgen im Kalender stand, machte nichts besser (Sie sind neu hier? Ich habe da eine sehr ernsthafte Phobie) Der Kieferchirurg sagte gar nix, sondern wartet jetzt auch auf die CT, die ich ja eh gewonnen habe.
Morgen wirds wieder.
Mich erinnert. Auch nicht gut.
Noch eine Anekdote zu gestern? Ich bekam ein paar Rückmeldungen auf nicht öffentlichen Kanälen über die ich mich sehr freute. Die extrovertierten unter den Leserinnen sagten so etwas wie „Oh my, das klingt nicht gut“ – die introvertierten so etwas wie „Toll, dass Du es versucht hast und dass es so gut geklappt hat.“ Und wir merken uns, dass alles immer eine Frage des eigenen Standpunktes ist. Ich kann mich über beide freuen.
Sie haben Fragen? Sie wünschen sich ein Thema, über das ich mal bloggen soll?
Schreiben Sie’s auf!
Alle bisherigen Antworten finden Sie übrigens hier.
Ich reihe mich mal ein in die Gruppe „Oh, ist mir gar nicht aufgefallen“.
Dito. Wir sind bereit.
Ich mag diese Deutung sehr.
Mir ist es (immer) aufgefallen und es schien sich logisch in das Gesamtbild einzupassen, auf eine erfreuliche Art, versteht sich.
*knickst*
Ich setze noch mal 10 Jahre drauf: als ich Ende der 80er (1987, um genau zu sein) zu studieren* begann, war das generische Maskulinum und dessen Vermeidung durchaus schon ein Thema, und ich hatte auch nicht den Eindruck, es sei ein völlig Neues.
*Geisteswissenschaften, Deutsche Sprache und Literatur.
… vermutlich abhängig vom Studienfach, ja.
Bis dann dann hier in der Kleinstadt ankam … die Zeitabläufe erscheinen stingent.