Es sind eher die existenziellen Themen, die im Hinterkopf durch rauschen, während ich code, Bilder bearbeite, Texte kopiere und einfüge, geänderte Texte noch einmal kopiere und einfüge, final geänderte Texte nochmal kopiere und einfüge, ach so dringende Deadlines verpuffen sehe, weil „ach, vor [1 Woche nach Deadline] komme ich gar nicht zum Draufgucken“. Während ich Bilder bearbeite, weil die Bitte nach geeigneten Formaten in „entschuldigung, ich dachte, das wäre für mich nicht wichtig“ oder sogar „ach, die dritte Seite vom Angebot hatte ich gar nicht gelesen“ aufgeht. Während ich behutsam erkläre, dass das Konzept „ich zahle weniger als andere Kundinnen, da kann ich auch mehr Leistung bekommen“ weder in einem der mir geläufigen Wirtschaftssysteme und auch nicht in der Arbeit mit mir funktioniert.
Das alles geschieht eher auf Autopilot – was gut ist, denn sonst neige ich dazu, mich eigentlich erst mit Kopf und Herz in die Arbeit zu stürzen zu müssen, bevor auch nur halbwegs Flow eintritt. Das ist sicher sonst sehr gut, muss aber aus Zeitgründen einem gewissen Pragmatismus weichen; es weicht auch einen gewissen Pragmatismus und würde ich dem Universum Glauben schenken, dann wäre ich jetzt in einem strukturierten Zeitplan angekommen und würde nicht mehr hinterher rennen.
Something moving in – I taste it in my mouth and in my heart
It feels like dying – slow – letting go of life
… singt Peter Gabriel, während ich das hier tippe. Die Textzeilen stechen heraus aus dem schon tausende Male gehörten Text und ich denke darüber nach, warum ich ausgerechnet jetzt – ausgerechnet in diesem Moment, wo ich über eine Veränderung meines Arbeitsverhaltens nachdenke – diese Zeile anders höre als jemals vorher. Oder ob ich vielleicht einfach noch zu schläfrig bin an diesem Jetlag-Tag und das alles selbstverständlich genauso wenig bedeutet wie alles andere auf dieser Erde auch, wo wir als Spezies so frisch angekommen sind, dass wir uns noch nicht mal Evolutions-Experiment nennen dürften. Wie gesagt: Weniger als existenziell kann der Hinterkopf gerade nicht.
Mal sehen, was geschieht, wenn ich am Ende jedes thematischen Absatzes die Zeile aufschreibe, die ich gerade höre. Vielleicht ergibt es ja für mich und meinen Artikel hier einen übergeordneten Sinn?
Shock the monkey!
Ein TV-Moderator, dessen Humor schon damals, als wir privilegierten das alle noch lustig fanden, immer mindestens on the edge wenn nicht darüber war und der vor zehn Jahren seinen Abschied bekannt gab und auch durchhielt, unterhält sich und das Netz mit einem gut gemachten Aprilscherz. Vermutlich wird es einer sein, wenn er die 9 Mio Follower nicht bekomme, die er in altbekannter Hybris wollte. So wie es vermutlich keiner gewesen wäre, wenn er die Marke geknackt hätte. Aber – und das stimmt mich hoffnungsvoll – scheint doch ein deutlich geringerer Teil der Menschen auf seinen grenzüberschreitenden, menschenverachtenden, homophoben Humor Lust zu haben.
A lonely boy, hiding behind the front door
Hinter allem ziept zuerst einmal, sehr nah, sehr greifbar ein in meinen Augen deutlich zu langsam verheilender Schmerz in dem Zahn, den Frau Doktor am letzten Montag versorgt hat. Ohne Details war das wieder eine sehr angenehme Erfahrung – so voll auf Downern und mit Lachgas in den Lungen wie ich war. Ich kann das sehr empfehlen, wenn Sie da auch Probleme mit Panik oder Trauma haben.
A sense of isolation, a sense of isolation Inspires me
Dahinter die ganz großen Gedanken, darunter geht es wirklich gerade nicht – egal ob Zeit (nein) und Ort (selten) dafür sind oder nicht. Als ich damals, in anderen Zeiten ein Praktikum in einer sogenannten „Sonderschule für Sehbehinderte“ machte, war eine der interessantesten Stunden die, als der Ethik-Lehrer mit der Klasse über den Umgang mit Behinderten in unserer Gesellschaft sprach. Die Beiträge der Schülerinnen changierten zwischen sozial erwünschten Antworten und ehrlichem Mitgefühl, zwischen karitativen und integrativen Ansätzen und Unterrichtsgespräch und Stimmung waren gut.
Allein: Nach der Stunde erzählte uns der Lehrer, dass es wohl noch ein weiter Weg zum Ziel seiner Unterrichtsreihe wäre: Dass die Kinder nicht über die Schülerinnen aus der direkt benachbarten „Körperbehindertenschule“ und die Mädels und Jungs in den Rollstühlen sprächen, sondern verständen, dass die Gesellschaft sie selbst als „Behinderte“ sehen würde. Man müsse das sehr sensibel angehen.
Gotta get some food, I’m so hungry all the time
I don’t know how to stop, I don’t know how to stop
Gotta get some sleep, I’m so nervous in the night
But I don’t know how to stop, I don’t know how to stop
Gesegnet mit mindestens einer (bereits diagnostizierten,) Neurodivergenz (und einer nicht ganz offiziell getesteten zweiten) und verheiratet mit einer Sonderpädagogin, sitze ich in einem Raum mit sehr konträren Einflüssen und es gibt viel zu denken. Darüber, wie verzweifelt die Gesellschaft bemüht ist, irgendeine Form von Normalität zu definieren. Wie Abweichungen bestaunt, mit Skepsis betrachtet, abgelehnt oder pathologisiert werden. Wie schön, dass man die, die nicht so lange still sitzen können wie andere in die „Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme“, kurz ICD aufnehmen kann. Wie viel einfacher es ist, etwas als krank abzustempeln, als Unterrichtsformen von achtzehnhundertund endlich mal zu ändern. Wie simpel, die Lösung darin zu sehen, von denen, deren Leben wir ja sogar als schwerer empfinden, zu erwarten, sich an uns anzupassen.
Dressing up in costumes, playing silly games
Sehe ich mich in meinem Freundeskreis um, dann ist die Zahl der Menschen mit Neurodivergenz dort statistisch nahezu unmöglich hoch. Theoretisches Interesse für das Thema? Suche nach Ähnlichkeit, Suche nach Peergroup? Dass wir alle mal unseren Blick ändern müssten, kann ich noch leicht tippen. Ob ich selbst auch ein 14-jähriger bin, der im Ethikunterricht sitzt und über die Rollifahrer von nebenan spricht, während alle außerhalb der Schule ihn als schielenden Depp sehen, fällt schwerer. Aber weniger als existenziell kann der Kopf gerade nicht, ich sagte es ja.
Immerhin, das Ergebnis des Experimentes: Ja, es funktioniert. Jede Zeile am Ende eines Absatzes ist deep und full of meaning. Ich habe Freunde, die würden darin den Willen des Universums sehen, aber ich sehe darin das Talent großer Songwriter, selbst die konkretesten Lyrics so vage, relatable und interpretationsoffen wie eben möglich zu verfassen – es wird immer passen.
Danke fürs Teilhaben und Dabei-sein. Wenn Sie wollen:
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Oder – wenn Ihnen Geld zu unpersönlich ist – hier ist meine Wishlist. Sie finden dort formschöne und Freude-spendende Geschenke für wenige oder auch sehr viele Euro.
Und passend zum Jetlag mal wieder eine Monats-Zeitreise in Datum :-)
(Sorry for klugscheißing und herzliche Grüße aus Leipzig nach Menden!)
Ich bin so beruhigt, wenn die wichtigen Dinge aus dem Artikel hängen bleiben.