Gestern vor 15 Jahren also habe ich mich also bei Twitter registriert. Wie immer in meinem Leben dachte ich, ich wäre einer der letzten, weil ich den Sommer über schon beobachtet hatte, wie diejenigen, die wir später als diejenigen wahrnehmen würden, die immer überall als erste sind, als erste da waren. Ich war schon immer ein Mensch des Wortes und 140 Zeichen schienen mir albern. Etwas anderes, als seine Texte auf der eigenen Domain zu veröffentlichen ebenso – aber über die Wochen wuchs die Neugier und ich meldete mich mal an.
2007 war es noch nicht lange her, dass sich meine Agentur aufgelöst hatte und ich mich alleine unter neuem Namen unter die Dachschräge gesetzt hatte und ich begann bald, Twitter als mein erweitertes (Großraum-)büro zu verstehen. Wir saßen da in einer relativ überschaubaren Gruppe, alle täglich am Computer und alle hauptsächlich damit beschäftigt, hin und wieder etwas Angenehmes, etwas Nützliches oder etwas Lustiges in den Raum zu werfen. Wer wollte, stieg drauf ein und manchmal begannen Gespräche. Der Rest ist Geschichte und dieses Twitter ist heute vollkommen kaputt.
Heute ist Twitter der Ort für diejenigen, die einerseits ernsthaft Menschen daran beurteilen möchten, ob man unter Nutella noch Butter streicht oder nicht und die andererseits fest daran glaubt, dass die rechten Spinner wieder verschwinden, wenn man sie nur lange und laut genug beleidigt. Sie nennen das Gegenrede und weil sie sich selber so hart auf dem Boden der Fakten glauben, müssen Sie die Forschungen darüber, dass Gegenrede noch nie funktioniert hat, nicht berücksichtigen. Und sie merken nicht, dass sie den Rechten in die Falle gegangen sind und ihre Themen und ihren Tonfall angenommen haben und inzwischen unterhalten sie sich auch in der gleichen Heftigkeit, Wut und Hasserfülltheit, wenn es zwischendurch wirklich noch einmal um Butter unter der Nutella geht.
Ja, das war etwas polemisch, aber wenn Sie gerade empört das Bedürfnis haben, mir mit harschen Worten deswegen den Finger oder den Mute/Unfollow zu zeigen, dann …
Merken Sie selbst, hm? (wie es ja bei Twitter immer so schön über die anderen heißt)
Vorgestern hat dieser Milliardär nun also Twitter dann doch übernommen und ebenso gestern hörte mein Handy nicht mehr auf zu brummen, denn alle kamen bei Mastodon an, entdeckten mich dort und folgten mir da. Also bis auf die, denen das mit dem Milliardär natürlich scheißegal ist, die, die mit Gegenrede die Stellung halten wollen, die, die aus Prinzip nicht tun, was die anderen machen und – Hauptsache! – so lange man diese eigene Position mit ein bisschen Häme über die anderen, die ja nun wirklich gar nichts verstanden haben, wieder in ein paar Tweets schüttet ist ja alles gut, nicht wahr?
Mastodon, was ein dummer Name. Und tröten statt tweeten – was ein Unsinn: Sich mit einem hektischen gefiederten Spatz in der Pfütze zu identifizieren ist kein Problem aber ein Elefant sein – das will nun niemand. (Erinnert sich noch jemand an den Wal? Der war doch mal wirklich logisch.) Und warum heißt es Boosten und nicht Retweeten und überhaupt, wie hässlich ist denn dieser Client – und überhaupt quoll der erste Tag Mastodon über vor Beweisen, dass wir alle in den letzten 15 Jahren überraschenderweise auch 15 Jahre älter geworden sind und es uns 15 Jahre schwerer fällt, uns mit etwas Neuem zu beschäftigen. Außerdem sind wir ja auch alle eh so angestrengt und die Bereitschaft sich als allererstes laut zu beschweren … naja, ich sprach ja oben schon davon.
Wenn Sie jetzt meinen, ich würde Sie alle beschimpfen, dann ist das nicht wahr – Sie natürlich nicht, nur die anderen und außerdem: Auch ich habe in den zwei Jahren, die ich schon da bin nichts getan, außer meine Tweets dahin zu spiegeln; ironischerweise unter meiner üblichen großkotzigen Bio „Too smart for copy and paste“. Ist aber niemand aufgefallen, also: Mir ja auch nicht. Und sonst habe ich hauptsächlich sehr gefremdelt mit allem, was ein bisschen anders war. Und das hat bestimmt nichts damit zu tun, was der weise Douglas Adams schon Ende der 70er in ein Buch schrieb: (sinngemäß) dass alles, was man bis 35 erlebt, neuer heißer Scheiß ist und alles was danach kommt, nur noch unnötiger neumodischer Dreck. Es ist bestimmt also Zufall, dass ich mit 35 zu Twitter und mit 50 zu Mastodon kam.
Gestern, als alle kamen, da war das schön, das war wirklich wunderschön – da war ich wirklich bis in die Tiefe meines tieftraurigen Herzchens erfreut, Sie alle dazu sehen. Und diesmal, da meine ich Sie und nicht die anderen.
… schrieb ich, recht viel beachtet und besternt und erst hinterher merkte ich, dass das ja nun die Blaupause für einen erfolgreichen Tröt war an diesem Tag: Ein bisschen billig formuliertes Musk-Bashing, ein bisschen „jetzt ist alles wie immer“-Feiern und trotzdem ist es vollkommen wahr: Es ist schön, das alles nochmal ein paar Tage zu erleben. Auch wenn – auch das ist wahr – ich leider im Moment relativ sicher bin, dass es nicht lange anhalten wird da drüben.
Und zwar nicht wie alle unken, weil Ello und Path und Dings und Bums (Verzeihung, ich löschte die Bookmarks letztens und erinnere die Namen nicht mehr) ja auch gescheitert sind, sondern weil wir, wir die wir doch nur wie in einem Großraumbüro zusammensitzen möchten und hin und wieder soll jemand etwas Angenehmes, etwas Nützliches, etwas Lustiges hineinwerfen, weil wir vollkommen egal sind. Wir sind Dinosauerier, für uns ist dieses Social Web nicht gemacht.
Egal jedenfalls denen, Dinos jedenfalls für die, die Geld mit diesen Diensten verdienen möchten. Verstehen Sie mich nicht falsch: ich finde es super, Geld zu verdienen; ich selbst verdiene zum Beispiel gerade Geld damit, die Funktionen für eine Community zu programmieren. Aber da, da bei denen, da geht es nicht um Geld, um den Kühlschrank zu füllen, die Heizkosten zu bezahlen und einmal im Jahr glücklich aufs Kattegat zu grinsen. Sondern um den Walpenis-Leder-Bezug für die Barhocker auf der Dritt-Yacht der Viert-Frau. Um Geld um des Geldes Willen, weil irgendwer mal dieses Versprechen vom Kapitalismus und das Missverständnis vom Recht auf unendlichen Reichtum in die Welt gesetzt hat.
Und für Walpenis-Leder-Bezüge, da braucht man mehr Geld, und da sind ich und die Menschen, über die ich mich freue, leider vollkommen irrelevant, denn wir werfen nicht mehr genug Geld ab. Und seien wir ehrlich: Auch wir würden aufhören, Geld in eine Technik zu stecken, die uns nichts mehr einbringt.
Das Social Web in der Form die wir kannten und die wir mögen, ist tot.
Es ist irgendwann letztens passiert; wir haben wie üblich ein bisschen darüber genöckert – aber wir haben nicht verstanden, was es eigentlich bedeutet, dass auf Instagram unsere Followees nicht mehr auf der Startseite sondern in einem Untermenu versteckt waren. Es bedeutet nämlich das Ende des Social Webs – warum, können Sie hier lesen.
tl;dr: Es geht in der Programmierung nicht mehr um die Beziehungen zwischen Menschen, sondern nur um den einzelnen und seine Beziehung zu Themen und vor allem Dingen. Denn in den großen und den kapitalistisch wichtigen Momenten sind wir eh alleine: Bei der Geburt, beim Tod und bei der Kaufentscheidung für das nächste unnötigen Gadget, das uns das Leben aber endlich leichter macht.
Oder, in meinem Bild: Wir werden wieder in Einzelbüros gesetzt und sollen die anderen nicht beim Shoppen stören.
Jetzt klingt das ja alles wie ein nahezu dystopisch pessimistischer Frust-Rant eines alten Mannes, was Sie – wow, Sie haben durchgehalten – hier lesen. Aber mich erfüllt es mit einer gewissen Leichtigkeit. Wissen Sie, der Zwang ist raus. Ich muss nicht mehr dafür kämpfen, dass das Web ein besseres wird. Es ist vorbei. Sie – ja, jetzt wieder genau Sie – Sie sind hier und lesen dies Blog. Vermutlich sind wir sogar schon Freunde oder Tröties oder was auch immer man auf Mastodon so ist – und von den meisten vollkommen unbemerkt war ich sowieso schon seit Monaten nicht mehr auf Twitter.
Und vielleicht ist die Idee, dass Mastodon das neue Twitter sein soll, während wir alle Twitter doch so furchtbar finden, ja eh genau so unlogisch wie es klingt. Vielleicht ist es ja das neue Großraumbüro, in demhin und wieder jemand etwas Angenehmes, etwas Nützliches, etwas Lustiges hineinwirft.
Das wäre doch schön.
Sehr, sehr großartiger Text. Danke! Inhaltlich kann ich gar nichts beitragen. Ich habe gerade erst von Mastodon gehört, ich lebe also unter einem Stein, wie man im Internet so sagt.
Aber diese Bilder, die Dinosaurier, die Barhocker aus Wal-Penis-Leder, die Großraumbüros, ich will dauernd begeistert klatschen und rufen: genau! Das mit der Gegenrede, genau!
Obwohl ich mit Twitter gar nix weiter am Hut hab, ich hab da niemals die Jacke an der Garderobe abgegeben und stand immer nur kurz am Rand ein bisschen rum.
Jedenfalls danke!
Ich bin froh, dass ich die mir wichtigen Dinge in meinem Dinosaurierblog teilen kann.
*knickst*
: Ich bin froh, dass ich die mir wichtigen Dinge in
: meinem Dinosaurierblog teilen kann.
Ja, das geht mir ebenso. Gar nicht so schlecht, so ein eigenes Blog ;)
Ein interessanter Artikel. Danke. Mir gefällt die selbstkritische Betrachtung und das etwas ironische Plädoyer für Offenheit. Vielfalt und Neues.
Selbst bin ich nie in kommerzgetriebener zentralistischer „SocialMedia“ gewesen. Insofern interessant, was ich zum Glück alles verpasst hab.
Auf jeden Fall macht diese Negativ-Beschallung wohl etwas mit den Nutzern, das nicht gut ist.
Also: Willkommen im Fediverse, dem#SocialNetwork!
Ich denke, es wird noch lange leben, da es sich stets neu erfindet – jeder einzelne trägt dazu bei :-)
Der Text macht mich traurig und stimmt mich irgendwie hoffnungsvoll. Ich seh das gerade als Chance, wenigstens ab und zu, wenn ich online bin, etwas bewusster zu sein. Keine Ahnung, ob mir das gelingt und ich versuche mir keinen Druck zu machen. Hat auf jeden Fall was von Auf- und Abbruchstimmung.
Ich finde den Begriff „Tröties“ übrigens gut. Also bescheuert, aber gut. Den sollte man etablieren.
Patsy Jones!!! Ein fröhliches Hallo und liebe Grüße aus Berlin! (JETZT bin ich wirklich wieder in 2009! ;-)
Es ist wunderbar, nicht wahr?
Hach. <345
Dieses Bloggen, das muss ich unbedingt auch mal probieren. Ich hätte so viel zu schreiben, aber wer will das lesen? Und wann soll ich das schreiben? In der Zeit könnte ich doch was malen! Erst mal einen Kaffee … oh, ein Eichhörnchen!