Um zehn beim Akkupunktur-Termin gewesen. Eine halbe bis dreiviertel Stunde sollte ich mitbringen, anderthalb Stunden später hatte ich zu Hause den ersten Zoom-Termin in den Kalender gelegt – abzüglich 35 Minuten Fahrt hätte das alles klappen sollen. Was ich nicht bedacht hatte: Die Möglichkeit, dass Frau Doktor mich 45 Minuten lang vergisst. Es tat allen furchtbar leid; ich bemühte mich, so unböse wie möglich zu sprechen, denn eigentlich sind die da super und so Fehler passieren.
Ich fuhr also ungenadelt wieder, nur: Dummerweise hats mich trotzdem angestrengt und ich war dann schon ganz froh, wieder zu Hause zu sein – gemessen daran, wie sich alles um mich herum drehte.
Danach ist alles etwas verschwommen, aber dem, was im Kalender steht entnehme ich, dass ich mit vielen Menschen telefonierte oder zoomte. Der Versuch, etwas aus Inbox und ToDo-Liste abzuarbeiten scheiterte an vielen ganz, ganz dringenden Dingen und auch daran, dass sich der Schreibtisch noch ein paar Stunden lang immer wegdrehte.
i/o-Ergebnis: Viel i, viel o, aber der Wasserstand blieb.
Abends am Teich gewesen und Entenküken geguckt – das macht mich immer sehr friedlich und froh.
Das heutige …
Zeugs
… kommt beides aus dem wunderbaren Newsletter „Low budget, high spirit“:
Es ist keine neue Erkenntnis, dass Smartphone-Konsum unser aller Fähigkeit zur Aufmerksamkeit zerdeppert hat. Aber neu ist vielleicht, inwiefern dies die Kunstform des Songwritings beeinflusst haben könnte.
Ariana Zustra im Kaput-Magazin:
[…]
Das Hören von “The Code” ist vergleichbar mit dem Konsum von Clips auf TikTok, Instagram oder YouTube: Alle 10, 15 Sekunden springt einem etwas Neues entgegen, der Puls bleibt oben, pling, plopp, flacker, alles so schön bunt hier! Warum drei Minuten lang nur einem Song seine Aufmerksamkeit schenken? In der Zeit bekommt man doch mindestens 4 bis 13 Reels unter!
Diese Art von Komposition ist der Gipfel einer jahrelangen Entwicklung, in der die Kurzlebigkeit von Social Media und die Algorithmen der Streamingdienste wie Spotify die Hörgewohnheiten verändert haben – und eben auch das Komponieren von Liedern. Tracks wurden mit den Jahren immer kürzer, Intros gestrichen, der Refrain schon in den ersten paar Sekunden verballert oder zumindest angeteasert. Kein Wunder, dass Stücke wie “The Code” irgendwann die logische Konsequenz dieses Trends sind.
[…]
wenn man die hier angesprochenen Beiträge des Eurovision Song Contests 2024 als Spiegel der Gegenwart nimmt, ergibt sich folgendes Bild: Alle rufen laut durcheinander. Und keiner hört dem anderen zu. Vielleicht sind Tracks wie “The Code” oder “Doomsday Blue” ja gerade deswegen am Puls der Zeit.
Die TikTokisierung der Popmusik
und – ich zitiere mal die deutsche Zusammenfassung – aus dem Guardian:
Worum geht es: (Klein-)Kinder früherer Generationen hatten einen direkten Zugang zu Musik. Auch ich erinnere mich an meinen Kassettenspieler, auf dem mein Bruder und ich endlos lang und on repeat Ulf & Zwulf-Kassetten gepumpt haben. Oder Traumzauberbaum. Oder oder oder. Alles sehr früh autark und mit einfacher Technik, die sich auch einem Zwei- bis Fünfjährigen schnell erschlossen hat. Play, Stop, Zurückspulen. Same mit CDs oder Schallplatten.
Oliver Keens im Guardian:
Will ein kleines Kind jedoch heute Musik hören, so ist diese nur noch auf einem Smartphone verfügbar respektive auf dem der Eltern. Das ist erstens nicht so haptisch und intuitiv benutzbar wie eine Kassette, gehört zweitens den Kindern nicht (beziehungsweise sollte ihnen nicht gehören) und ist drittens so nicht autark oder zumindest nicht ohne Aufsicht nutzbar.
Statistisch gesehen bekommen Kinder mit circa zehn bis zwölf Jahren ihr erstes eigenes Smartphone. Spotify lässt sich offiziell aus guten Gründen erst ab 13 Jahren nutzen. Warum es problematisch ist, dass heute eine Vielzahl von Kindern in den ersten Lebensjahren ohne echte musikalische Autonomie aufwächst, erklärt dieser Artikel sehr erhellend
[…]
“So much of our technology is coded up by 25-year-olds working for companies run by 37-year-olds. They maybe have not raised children to adulthood and don’t have friends who have, so the question ‘how do I give my kid easy access to some but not all of my music’ hasn’t come up.”
Music: ‘It’s basically inaccessible without a phone’: are kids losing their love for music?
Anekdotisch: Mein erstes selbst ausgesuchtes Album war „Crisis“ von Mike Oldfiel. „Moonlight shadow“ war gerade in den Charts und ich wollte das Album haben. Als ich es hatte, sah ich, dass die gesamte erste Seite nur aus einem 20-minüigen Stück bestand. Jetzt mag man von Mike „ich leg einfach Tubular Bells immer wieder in neuen Versionen neu auf, bis alle 8 Milliarden Menschen es besitzen“ Oldfield halten, was man will, aber dass ich als erstes von Rockmusik lernte, dass 20-minütige Konzept-Stücke etwas ganz normales sein könnten, das war sicher nicht schlecht. Wäre ich auf Playlists meiner Eltern angewiesen gewesen, dann hätte ich heute weder Musikwissen, noch -geschmack.
Ich merke, dass mein erster Reflex auf beide Themen sofort im Reflex ein krückstockfuchtelnder ist, aber das will ich eigentlich gar nicht – und noch weniger will ich Sie da missionieren. Aber ich find’s ja immer ganz gut, wenn man Änderungen beobachtet und nicht von ihnen überrascht wird.
In diesem Sinne:
Vi ses!
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,,Die Playlists meiner Eltern“ – ein toller Romantitel!
Wäre auch eine schöne Idee für so ein Blogstöckchen – wenn ich so etwas machen würde.
Dass Musik „nur noch“ auf dem Smartphone der Eltern für Kinder verfügbar ist, ist ja schon ein wenig übertrieben. Als Pendant zu den Cassettenspielern „früher“ gibt es heute ja z.B. Tonieboxen.
Nein, „nur“ sicher nicht. Aber in Relation zu früher schon fast. Eine Toniebox ist ja auch wieder ein closed garden, während ich früher zB einfach die Plattensammlung meiner Eltern zur Verfügung hatte oder abgelegte Platten von älteren Cousins bekam – halt alles komplett offen und die Datenträger waren gleichzeitig, mit sehr haptischen Bezug aufeinander, der Content.
Die wneigsten Menschen, die ich kenne, verstehen noch was eine Datei ist oder haben sogar ein Gefühl, wo diese datei „physikalisch“ gerade ist – und ich glaube, da geht schon eine Menge verloren.