Es sind seltsame Tage. Treue Leserinnen wissen, dass Ende März immer die Tage sind, in denen meine kaputte Familiengeschichte traurige Jahrestage feiert und so kickt die PTBS wo sie nur kann. Trigger lauern überall und nur nur ständige (W)ach(t)samkeit verhindert den Fall. Die Nächte zerrissen von Alpträumen allererster Güte, die Tage unterbrochen von Schlafpausen um wenigstens ein wenig nachzuholen. Angst vor jedem Einschlafen, denn der Schlaf, der endet nie gut. Also falls Sie sich mal gefragt haben, warum ich so allergisch auf die inflationäre Verwendung des Wortes „triggern“ reagiere – das ist eine der möglichen Lebensrealitäten mit echten Triggern und es nimmt auf Dauer dann doch etwas mehr Lebensqualität als der langsame Mann in der Kassenschlange vor mir oder die blöde Statistik-Professorin.

Fast nebenher viel Arbeit, tolle Arbeit mit tollen Menschen, das erste Mal in dieser Konstellation und mit großem Spaß an Arbeit und Produkt. Dankbar dafür, sehr dankbar. Mich an anderer Stelle von einer Kundin verabschiedet, von einer, wo es immer leicht war „oh, wow für DIE arbeitest Du?!“ gesagt zu bekommen – aber ich habe ja gar nicht gearbeitet, ich habe gewartet, auf Informationen, auf Rückmeldungen, auf Geld, auf Interesse, auf alles und so habe ich dem neuen Ansprechpartner freundlich mein Desinteresse an weiterer Zusammenarbeit zum Ausdruck gebracht. Es scheint eh, als wären es die Tage für solche Entscheidungen, auch zwei Freunde haben sich von Kunden mit großen Namen verabschiedet – etwas was man in der eh nicht vorhandenen Anleitung zum Selbstständigsein früher auch nicht gefunden hätte: Einem Kunden kündigen.
Abends dann Ablenkung und Glück in eskapistischem Fernseh-Exzessen: Montags Reality-Trash, Mittwochs Promibacken, Donnerstags das 1%-Quiz, Freitags Tanzen UND parallel The Voice und Sonntags WSMDS – es ist fast nicht zu schaffen und ohne Diens-und Sonntage könnten wir nicht mal die aufgenommenen Sendungen schauen, denn eine von uns wird ja immer gegen halb zehn spätestens müde.
Ich hätte nie gedacht, dass ich nach den frühen Zweittausendern noch einmal so mein Leben nach dem linearen Fernsehprogramm planen kann, aber es gibt Freude und Struktur.
Im Kopf – als wäre er nicht genug beschäftigt – neben dem vorsichtigen Lesen von Sassies Buch das große Glück über das Gold in meinem Kopf, über die Fähigkeit, Musik zu machen, machen zu dürfen, machen zu können; über das Album, was noch ein letztes, ein nachträglich entstandenes Stück dazu bekommen hat, das in meinen Ohren dem ganzen Rest Sinn und Halt gibt. Ich muss es nur noch fertig machen, nur noch schleifen und polieren – ich sehe und höre, was darin steckt, aber – um die Liebste zu zitieren: „Noch kriegt’s mich nich so“. Viele Gedanken darüber, was einen Künstler ausmacht, Erinnerungen daran, wie sehr mir das ausgetrieben wurde, vorsichtiges Herantasten an das Wort Musiker nach all den Jahren.
Überhaupt die Musik –
One for the morning,
one for the evening,
one for the dark hours hidden in between.
One for the notion,
one for the feeling,
and one for every single place you′ve ever been.
There is a song for every age you’ve been through,
it′ll always be the same, it’ll always be with you,
to take you high and to dive into the deep
And the truth is
it might be the only thing in life you can keep.
hat Tina mal geschrieben – und wie nahezu alles was sie singt, ist es wahr für mich, so wie etwas nur wahr sein kann. Gerade sind es die alten ProgRockplatten aus den Siebzigern und wenn jemand anderes schon im Bett ist, dann sitze ich im Stereodreieck und bin glücklich darüber, wie sehr die Musik gerade für den Moment richtig ist, wie richtig die Entscheidung für Vinyl gerade ist, gerade für diese Musik und diesen Moment und wie sich das alles fügt.
Das dann so lange, bevor ich zu müde bin um den Schlaf noch länger zu vermeiden und der Kreislauf von vorn losgeht. Sleep, dream, wake up, scream, repeat. Es wird auch wieder aufhören. Es hört immer Mitte April wieder auf.
Wenn Sie bis hier einen roten Faden gesucht haben – falls Sie ihn finden, bringen Sie ihn mir gerne, mir fehlt er auch.
Sie haben Fragen? Sie wünschen sich ein Thema, über das ich mal bloggen soll?
Schreiben Sie’s auf!
Alle bisherigen Antworten finden Sie übrigens hier.
Der rote Faden? Trauma und Bewältigungsstrategien, oder? Musik ist auch bei mir in der Schatzkiste mit möglichen Hilfen. Und dass man in besonders anstrengenden Zeiten zusieht, es an anderen Stellen weniger stressig zu haben und sich dann z.B. von Kundinnen trennt, erscheint mir auch nur sinnvoll.
Das ist natürlich vollkommen richtig: exakt das ist der rote faden. In der Innensicht war er nicht zu sehen – danke!
Ich hoffe und denke auch, dass Musik das ist, was bleibt, wenn vieles/ alles andere verloren ist. Ich wache jeden Tag mit einem anderen Lied auf und mein Kopf überrascht mich immer wieder mit dem Angebot. Diese Woche: Ein Wiener Walzer, dessen Name mir nicht einfällt, Get down (cat on a hot tin roof), diverse Schlager, die ich sonst nicht höre, oft aus den 70ern.
Oder ich lese oder höre ein Wort/ einen Satz, der so in einem Songtext vorkommt, und habe den passenden Ohrwurm. Leider oft nicht meinem Musikgeschmack entsprechend, aber dafür um so hartnäckiger.
Hätte ich all mein Schulzeugs vorgesungen bekommen, könnte ich das Faktenwissen heute vermutlich noch fast komplett erinnern.
Vielleicht denke ich in Liedern? Da mal drüber nachdenken.
Zum triggern und den anderen inflationär gebrauchten Begriffen (das macht mich depressiv, dass es jetzt schon zwei Tage regnet!) bin ich so was von bei Dir…
Und es ist schwierig, die eigene Sprache möglichst frei davon zu halten. Führt bei mir zu Sprechpausen, die andere dann gern schnell selbst füllen. Stille scheint schwer zu ertragen zu sein.
Liebe Grüße aus einem winzigen Dorf etwas südlich von Bremen.
Oh, das mit den Ohrwürmern weit außerhalb des eigenen Geschmacksspektrums, das kenne ich gut. Leider.
Und dass Wissen mit Musik besser hängenbleiben würde – das wissen schon auch Menschen, die anderen Menschen etwas über Bildung beibringen. Aber „singen und klatschen“ ist in Deutschland ja eher ein Kampfbegriff als etwas Schönes :(