25.2.2025 – Strukturen oder Gefühle?

Gestern schrieb ich noch in diese Kurznachrichten-Dienste:

Fühle mich den ganzen Tag so, als hätte ich einen Unfall gehabt.

… und das trifft vermutlich am besten.
Heute dann: Aufrappeln, mich sortieren, Rituale ausführen, Struktur sichten und schaffen. Immer ein guter Weg, um wieder in den Alltag zurückzufinden.
Also: Kleinkram aus der Inbox abarbeiten. Mich an den beruhigenden immer gleichen, vollkommen formellen Sätzen festhalten, die der Agenturchef seit Beginn unserer Zusammenarbeit 2003 immer gleich schreibt.
Rechnungen schreiben und mich an der beruhigenden Formularstruktur des neuen E-Rechnungs-Tools festhalten.
Die gemachten Änderungen losschicken und mich an der beruhigenden Sicherheit festhalten, dass in 5 Minuten eine Korrektur kommen wird, weil etwas ein bisschen zu rot oder grün oder blass ist.
Lachen, weil die Korrektur sogar nur 3 Minuten braucht.

Mich über eine Anfrage freuen, die so wirkt, als könne ich einer Website, die bis jetzt 90% Image ist, mit ein paar netten Funktionen echtes Leben einhauchen. Mag ich ja sehr, so etwas.

Über die Sonne freuen, die rein schien und gute Farben machte.

Mich über Post freuen. Auch sehr.

Mich darauf freuen, dass ich nächsten Monat einen Coaching-Termin mit Dana Buchzik haben werde, um Tipps zu bekommen, wie man mit „dem politischen Gegner“ sprechen kann, ohne schon beim ersten Satz alle Erfolgsaussichten zu verspielen (grob zusammengefasst). Das wird nämlich mein persönliches Vorhaben in den nächsten Monaten: Einer von diesen besorgten Bürgern werden, die dauernd das Wahlkreisbüro ihres Landtagsabgeordneten kontaktieren. Und was soll bei einer Unterhaltung mit Paul Ziemiak schon schiefgehen?

Mittags-Sushi-Gönnung. Wir haben jetzt tatsächlich immerhin eine von diesen Sushi-Shop-im-Supermarkt-Lösungen in erreichbarer Nähe. Also natürlich nicht direkt im Ort – aber statt 40 Minuten je Fahrt, die wir zum echten Sushi brauchen, sind es jetzt nur 12 Minuten pro Fahrt zum Nachbarort. Happy us. Wir rechnen schon in den dreißiger Jahren fest mit frischen Reisrollen auch hier im Ort.

Überlegt, ob ich das erste Mal in meiner Berufslaufbahn von einem Angebot zurücktrete. Die Anfrage kam vor fast einem Jahr und war so brandeilig, dass plötzlich Urlaub von mir diskutiert wurde, denn schließlich hatte das Unternehmen die Notwendigkeit schon 2 Jahre auf dem Zettel und jetzt war’s dringend. Seitdem habe ich viel geplant, mit sehr guten Menschen hart ringend und hinterher sehr froh Konzepte erstellt, habe auch hier oder da mal was präsentiert aber passiert ist exakt gar nichts. Meine direkte Ansprechpartnerin war super, hat den Laden aber auch schon längst verlassen und ich weiß nicht so recht.

Aus sicherlich allgemein nachvollziehbaren Gründen in Kombination mit einer weiter unten beschriebenen Erkenntnis dann ab Mitte des Nachmittags traurig gewesen.

Zeugs

Supergute Zusammenfassung einer tiefen Wahrheit, die mir nach vielen Jahren mit einer stark narzisstisch Persönlichkeitsgestörten Person so in Fleisch und Blut übergegangen ist, dass ich immer vergesse, sie zu erwähnen: Menschen gehen davon aus, dass man so handelt wie sie. Immer und das ist evolutionär auch nicht ganz unpraktisch, aber man kann das mit ein bisschen Weltoffenheit auch ein bisschen überschreiben. Vor allem aber: Man kann daran im Umkehrschluss auch erkennen, wie sie selbst drauf sind:

Was mir klar wurde: sobald diese Leute an der Macht sein werden, machen sie Ernst. Und sie gingen davon aus, dass wir so handeln wie sie handeln würden. Dass wir die Wahl manipulieren. Dass wir Stimmen nach dem Zählen austauschen, so wie sie es machen würden – denn sonst würden sie ja nicht annehmen, dass wir es täten. […] Und darum werden sie uns in ein paar Jahren nicht dabei haben wollen. Wenn sie es machen werden.
Es ist wie immer: böse Menschen denken, dass sie die Normalen sind und alle anderen ebenfalls böse. Und können nicht nachvollziehen, dass andere anders handeln.

Der Haltungsturner:
Von sich auf andere

Während ich ja gestern meinem Unfall-Gefühl nachhing und heute schon die Bewältigungsphase begann, machen sich auch andere Menschen Gedanken über das, was uns gerade passiert. Eine der klügeren davon ist sicher Theresa Bäuerlein und die schrieb mir heut nachmittag in die Newsletter-Inbox ein paar im richtigen Moment den richtigen Nerv treffende Worte:

Immer wieder hört man, dass es wichtig sei, Gefühle zu benennen. Ich habe das nie sonderlich ernst genommen. Aber dieser Moment, in dem ich die Trauer erkannte, war fast befreiend. Es war, als würde ich endlich verstehen, was mich so erschöpft. Ich dachte an die Menschen, mit denen ich in den letzten Jahren gesprochen hatte, an die Wut, die Hilflosigkeit, das Gefühl, einer Entwicklung ausgeliefert zu sein, die sich nicht aufhalten lässt.
[…]
[David Kessler, Trauerexperte:]»„Wissen Sie, wir sind die erste Generation, die Gefühle unseren Gefühlen gegenüber hat. Das heißt, wir fühlen etwas und dann denken wir, dass wir das nicht fühlen sollten, oder dass das ein schlechtes Gefühl ist oder, dass wir uns von unserer Traurigkeit nicht runterziehen lassen sollten. So funktioniert das nicht. Wir kommen nicht daran vorbei, Gefühle zu fühlen.«

Theresa Bäuerlein:
Newsletter „Weird“, Ausgabe vom 25.2.2025

Gerade diese Bewertung der aktuellen Gefühle erlebe ich gegenüber sich selbst oder gegenüber anderen so häufig, dass es sich fast wie ein revolutionärer Akt anfühlt, zB einfach mal zu sagen: „Ich bin (noch) traurig.“ Gefühle dürfen natürlich, sagt die Umwelt. Aber halt bitte nur innerhalb geordneter Bahnen und Zeitabläufe und man muss bitte arbeitsfähig bleiben dabei. Through-soldiern, so wichtig.
What a mindfuck.

Wie David Kessler sagte: „Wenn wir unsere Gefühle verneinen, arbeiten sie gegen uns.“

s.o.

Aktuell schaue ich in meiner kleinen Reihe „Influencer verstehen heißt die Welt verstehen“ gleich zweien dieser Exemplare zu, bei denen das in vollkommene Selbstverleugnung kippt. Die eine kommt frisch aus dem MRT, weil sie unklare Herzbeschwerden hat, aber „man soll sich ja nicht so Sorgen machen, nicht wahr, und deswegen hier meine aktuelle Kooperation“ während der anderen gerade der Vater stirbt. Es wird alles gut werden, denke ich, man soll sich ja nicht so hängen lassen“, sagt sie, frisch aus der Notaufnahme kommend in die sie ihn gerade das dritte Mal in vierzehn Tagen gebracht hat.

What. A. Mindfuck.

Danke fürs Teilhaben und Dabei-sein. Wenn Sie wollen:
Hier können Sie mir ’ne Mark in die virtuelle Kaffeekasse werfen,
Oder – wenn Ihnen Geld zu unpersönlich ist – hier ist meine Wishlist. Sie finden dort formschöne und Freude-spendende Geschenke für wenige oder auch sehr viele Euro.

1 Kommentar

  1. Danke fürs Teilen der Gefühle und der Texte darüber, die bei mir auch gerade voll auf dem Punkt landen. Wie oft dachte ich schon, wenn jemand mir von ernsten Schwierigkeiten oder gesundheitlichen Problemen erzählte, und dann tapfer eine positivistische Floskel anhängte, womöglich sogar mit einem Lachen… was für eine Selbstverleugnung! Trauer, Angst oder auch Wut zuzulassen und auszudrücken ist doch keine Schande. Aber es macht natürlich verletzlich (und auch das wollen viele nicht zulassen). „Through-Soldiern“, ein großartiger Begriff dafür!

    Wie schön, dass es auch immer noch die vielen kleinen Freuden per Post, Wetter oder beim Essen gibt.
    Herzliche Grüße aus Frankfurt an einem regnerischen Tag mit Erkältung, den mir Blogs und Podcasts erträglich machen…

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