24.6.2021 – digital verarscht

Erschreckend schlecht aus dem Bett gekommen. Hm.

Naja, erstmal an den Schreibtisch. Das Angebot von gestern nochmal gelesen und abgeschickt. Mal in die ToDo-Liste geguckt und entdeckt, dass ich noch ein paar Rechnungen schreiben könnte und das klang nach einem guten Tagesanfang. Ein paar Mails, ein Telefonat, ein bisschen was man so tut und als ich gerade so „richtig arbeiten“ wollte, da rief mich die beste Physiofrau der Welt an und fragte, ob ich wohl auch eher kommen könnte. Ihr hatte jemand abgesagt und dann gleich noch jemand und dann noch wer und wenn ich eher käme, dann könnte sie nachmittags zu Hause bleiben und wer bin ich, ihr das zu verwehren?

Dann: Physio halt. Viel Schmerz, viel Erleichterung, viel mehr Bewegungsfreiheit und sie revanchierte sich für mein Entgegenkommen mit „ach, da gefällt mir noch die Muskulatur nicht, ich massiere da noch ein bisschen, ich hab ja jetzt niemanden mehr“ und irgendwann merkte ich, dass ich schlicht weg nicht mehr konnte. Da hatten wir dann aber auch schon 20 Minuten überzogen. Als ich auf der Straße stand wäre ich wirklich gern da auf der Stelle auf der Bank vor der Praxis eingeschlafen; nur Hunger und Regen trieben mich nach Hause.
Da dann ein spätes Frühstück und dann signalisierte der Körper endgültig, dass es jetzt aber mal gut war. Der Geist sprang ihm bei und ging einfach aus. Nicht so super, ich hatte da eigentlich schon noch etwas zu arbeite…Zzzzz.

Nachmittags nochmal hoch, aber der Geist blieb einfach aus, trotz Kaffee und Frischluft im Büro. Sehr faszinierend.
Konnte anfangen, was ich wollte – die Konzentration stellte sich nicht wieder ein.

Und dann, so gegen vier, als die Liebste mich gerade besorgt anschauen wollte, fiel mir auch wieder ein: Ach ja: Du hast ja bis drei wachgelegen …
Nun denn, das könnte einiges erklären.

Gestern Abend noch mit Frau Brüllen in ein kurzes Gespräch über Instagram gekommen in dessen Verlauf mir auffiel, wie mich die Plattform im Moment nervt. Also präziser: Wie ich mich auf der Plattform selbst nerve.
Ich bin ja sehr bewusst mit Meinung und Politik von Twitter weg, weil mich da der Tonfall so abstößt. Und es ging mir gut damit.
Und dann führte Instagramm das Format der Stories ein und in den ersten paar Wochen war das auch echt hübsch. Menschen teilten dort behind-the-scenes-Clips oder erzählten mal etwas zu den Bildern, die sie gemacht hatten und hin und wieder gab es interessante Account-TakeOver dort zu sehen.
Und dann begannen alle, dort Sharepics mit Meinung und Politik und Witzigem zu teilen.
Und was am allerschlimmsten war: Ich begann dort Sharepics mit Meinung und Politik und Witzigem zu teilen.
Dafür habe ich dort vor exakt einem Monat mein letztes Foto gepostet – dabei hatte ich mal ein Projekt, bei dem ich jeden Tag ein Bild machte und postete.
Ich bin echt etwas genervt von mir und wie ich wieder auf die billige Verführung des schnellen „auch was dazu sagen“-Kicks hereingefallen bin. Mal sehen, was ich damit tue.

Eigentlich ganz gut dazu passt eine Meldung, die heute Morgen im Radio lief, als ich zur Physio unterwegs war: Ein Kinderpsychologe warnte vor den Gefahren der Online-Sucht bei Kindern und Jugendlichen. Gerade in Zeiten der Pandemie sei die Bildschirmzeit bei Kindern explosionsartig angestiegen.

„Ja. Klar. Die haben da gearbeitet“, dachte ich mir, musste sehr lachen und lauschte weiter.

Man könne so eine Sucht recht einfach erkenne, fuhr er fort, da gäbe es die Zeichen hoher Aggressivität, eben deutlich erhöhten Konsums und ein nachlassendes Interesse an Freunden und Hobbies.

„Ja. Klar. Wir haben Pandemie und man durfte sich nicht treffen“, dachte ich mir.

Und merkte: Ich wurde wütend.
Vorneweg: Ich möchte nicht behaupten, dass man nach irgendetwas auf dem Handy – ich sag gleich noch, warum ich „irgendetwas“ sage – süchtig werden kann. So wie nach Sport, Masturbieren, Lesen, Schokolade, Kaffee oder allem anderen, was einem genug Belohnungsreiz bietet.
Aber wann kann die Feuilleton-Elite dieses Landes bitte einmal beginnen zu verstehen, dass das Handy oder jeder andere Bildschirm nur ein Medium ist – und dass man hinter diesem Bildschirm ebenso gut die sozialen Kontakte wie die Spielsucht, ebenso gut das superkreative Hobby wie das pädophile Sackgesicht, ebenso gut das beste Lernmaterial wie den größten Blödsinn finden kann? Wann wollen Eltern und Kinderpsychologen mal beginnen, sich mit dem zu beschäftigen, was Kinder auf dem Handy tun und nicht an der Glaskante des Bildschirms das eigene Denken beenden? Wann höre ich mal außerhalb von Patricias Buch den Ratschlag, dass sich Eltern oder Lehrerinnen mal mit ihren Kindern zusammen anschauen, was da auf den Screen gepixelt wird?
Meine Güte, wir haben 2021. Wie soll das denn mit der Digitalisierung denn noch was werden?

Zeugs:

Super spannend: Schriftdesigner arbeiten an Schriften, die es LRS-lern einfacher machen, zu lesen:

Circa fünf bis zehn Prozent aller Menschen leiden laut der University of Michigan unter Legasthenie. Die Universität Yale geht sogar von 20 Prozent aus. Ohne entsprechende Förderung bedeutet das oft lebenslange Probleme mit dem Lesen und Schreiben. Trotz allem scheint die Thematik in der Öffentlichkeit unterzugehen, die Wissenschaft ist sich bis heute nicht einig, was eigentlich die Ursache ist. Deshalb nehmen sich seit einiger Zeit auch Designer des Themas an und versuchen mithilfe ausgeklügelter Schriftgestaltung und -setzung ihren Teil zur möglichen Lösung beizutragen. Einen vielversprechenden Ansatz scheinen dabei variable Schriftarten zu bieten. Eine davon entwickelt derzeit ein Tiroler Designer.

Mickey Manakas auf derstandard.at: Wie neue Schrifttechnologien Legasthenikern das Lesen erleichtern könnten

Was ein Glück, dass die Eltern von diesen Schriftgestaltern ihnen nicht nach einer halben Stunde den Stecker rausziehen und sie in den Park schicken. Sorry, could not resist.


Wenn die Kinder noch kleiner sind und man ihnen den Screen einfach verbieten kann, dann passiert aber gerne mal etwas anderes: Die lieben Kleinen landen auf dem Screen. Nämlich dem in der Familien-WhatsApp-Gruppe oder bei facebook oder so. Thema Kinderfotos im Web, genau. Ob das so richtig ist, darüber kann man – so wie ich beim Reinschnuppern gesehen habe – bessere Grabenkriege führen als um die Golanhöhen und deswegen mag ich diesen Artikel hier sehr – denn er ist ausgewogen und sachlich und gibt gute Tipps und Denkanstöße:

Wissen wir wirklich, wer sich die Fotos unserer Kinder zu eigen macht? Haben wir Kontrolle darüber, was mit den Bildern unserer Söhne und Töchter angestellt wird?
[…]
Es muss ganz klar zwischen der gesetzlichen Problematik sowie dem Sicherheitsgedanken unterschieden werden.
[…]
Ja, es besteht eine Gefahr [aber] Eltern können ihre Kinder schützen
[…]
so berechtigt, wie dieser Vorwurf ist, so scheinheilig scheint er auch. Eltern haben das natürliche und gesetzlich verbriefte Recht, über die Köpfe ihrer Kinder zu entscheiden. Ein Recht, das zugleich auch Pflicht ist. Vater und Mütter müssen Entscheidungen ihr Kind betreffend treffen. Jeden Tag. Ohne Zustimmung.

papa.de: Kinderfotos & KinderVideos im Netz

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1 Kommentar

  1. Danke für die Zusammenfassung zur Nutzung von Medien. Ich kann es nicht mehr hören oder lesen wie pauschal auf Zeiten geschaut wird. Die Kinder machen soviel tolle Sachen.

Kommentare sind geschlossen.

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