24.12.2021 – aber Glauben?

Vorsicht, das wird hier nicht besinnlich. Und wenn Sie religiöse Gefühle haben, die leicht verletzt werden, dann hören Sie vielleicht auch besser hier auf zu lesen. Ich möchte Sie nicht verletzen.

Je mehr ich so auf die Unlogiken um mich schaue – und das scheint im Moment mein Thema zu sein – desto weniger verststehe ich vieles. Vor allem die fine line between „völliger Blödsinn“ und „gesundem Menschenverstand“, die beschäftigt mich dieser Tage.

Der Wissenschaft sollen wir zuhören, Nicht-Wissenschaftlichkeit ist keine Meinung, Glauben ist nicht Wissen, die Stimme der Vernunft muss mehr gehört werden, unwissenschaftliches Gefühlszeug ist besonders in Deutschland viel zu stark überall toleriert worden – so lese ich es dieser Tage.
Und dann fahren wir alle „nach Hause“ um den Tag zu feiern, an dem vor 2021 Jahren ein jungfräulich empfangenes Kind geboren wurde, dass dann gute 33 Jahre später hingerichtet wurde, wieder ins Leben zurück kehrte und erst ein paar Tage später dann zu seinem Vater in den Himmel aufstieg, wo er seitdem über uns alle wacht. Und unser aller Sünden hat er bei der Gelegenheit gleich mitgenommen. Sein Vater hat die Welt hier nämlich gemacht und ihn geschickt, weil die Menschen sich schlecht an die Regeln gehalten hatte.

Ganz wichtig: Wenn Sie das glauben: Kein Problem, darum geht‘s mir gar nicht. Ich tu’s halt nicht, ich beneide Sie sogar wenn Sie’s tun; aber ich will Ihnen da auf keinen Fall reinreden.

Und ich versuche, über etwas anderes zu sprechen:
Denn was mir schlecht in den Kopf geht: Die Homöpathen und Esotheriker, die schaden den Menschen (ja, glaube ich auch) und die Christen nicht? Ich suche einfach eine einheitliche Linie.
Der Homöopathische Arzt, selbst wenn er durch seine Empathie der Patientin hilft und im Zweifelsfall Antibiotika verschreibt, kann nicht gut sein, denn es gibt nichts Gutes im Schlechten – aber zweitausend Jahre Leid und Tod, Kreuzzüge, Judenverfolgung, Frauenfeindlichkeit, Mißbrauch sind nicht systemisch, sondern nur bedauerliche Einzelfälle des Bodenpersonals?
Ich meine das nicht böse, gegen niemanden – ich will verstehen, wo da der Unterschied ist. Wenn Sie das erklären können – dann gerne!

12 Kommentare

  1. Wenn man das glaubt, dann ist die letzte Antwort auf solche Fragen leicht: Es kommt nicht auf das Hier an, sondern auf das Danach. Klar muss man auch dann das Hier verbessern, aber das Jenseits wiegt alles wieder auf.

    Wenn man das nicht glaubt, dann müsste man sich ausrechnen, ob Religion mehr Schaden anrichtet als Nutzen hat. Stephen Fry hat ist da vor ein paar Jahren recht deutlich geworden, glaube ich. Die letzten zweitausend Jahre darf man nicht einrechnen, finde ich, sondern nur das hier und jetzt und die absehbare Zukunft.

    Bloß weil das ganze erfunden ist, heißt ja nicht, dass es keinen Nutzen hat. Homöopathie ist nicht deshalb schädlich, weil sie nicht wirkt, sondern wegen der Nebenwirkungen – dem Verzicht auf tatsächliche, wirksame Medizin; der Skepsis gegenüber dem System; dem gegenteiligen Placebo-Effekt (wenn man wirksamer Behandlung misstraut, schlägt sie weniger gut an). Und so müsste man die Nebenwirkungen der Religion abwägen.

    Viele Illusionen, die sich Mensch und Menschheit machen, haben einen Nutzen – was auch immer das heißen mag. Ich wünsche mir sehr, dass es der Menschheit ohne Religion besser ginge, weiß aber nicht, ob es der Fall wäre. Es könnte allerdings so sein.

    1. Ich komme – je mehr ich nachdenke – dahin, dass Menschen wohl etwas Spiritualität in irgendeiner Art und Weise brauchen. Oder Sinn, um es allgemeiner zu fassen.
      Und dann verlagert sich das Thema auf die Abwägung, welches organisierte Sinn-Angebot weniger Nebenwirkungen hat.

  2. Nun, in der Bibel steht z.B. nirgends, dass man Kinder sexuell mißbrauchen und sich bereichern soll. Den Glauben an sich, bzw. seine Grundlagen sollte man niemals mit den Institutionen verwechseln, welche diesen für sich ausnutzen.

    Der wichtige Unterschied zwischen dem christlichen Glauben und Homöopathie (und übrigens auch Anthroposophie):

    Die Christen (und Muslime und Hindus …) sagen ganz offen, dass es sich bei ihnen um Glauben, um Religion handelt. Homöopathen und Anthroposphen jedoch leugnen, dass ihre Bekenntnissen Religion sind und behaupten, diese seien ,,wissenschaftlich“.

    1. Ich erinnere dunkel, dass die Christen (und andere auch) sich schon jeweils für die allein seligmachende Institution sehen und bei einem flüchtigen Blick auf die erste Zeile der zehn Gebote finde ich da auch direkt was zu.

      Und, Frage: Wenn ich die ausführende Institution Kirche (schlecht) von der Grundlage Glaube (gut) trennen soll – darf ich dann auch die ausführende Institution (anthroposophische Zahnklinik Witten, die sich sehr viel Zeit für mich Panikpatienten nehmen, also gut) von der Grundlage (Steiner, schlecht) trennen?

  3. Nun, wenn die anthroposophischen Mediziner*innen evidenzbasierte Medizin anwenden, dann ja.

    Allerdings ist das ja dann keine anthroposophische Medizin mehr.

    Wenn jemand für die Gesundheit des anderen betet, behauptet er ja nicht, das wäre ,,Wissenschaft“.

    Daher sind Homöopathie und Anthroposophie Etikettenschwindel.

    1. : Nun, wenn die anthroposophischen Mediziner*innen
      : evidenzbasierte Medizin anwenden, dann ja.

      Nebenbemerkung: So hab ichs bis jetzt auch gehalten, aaaber …

      Was ist, wenn ich bei einem Homöopathen oder meinem Anthroposophen aussuchen kann: Kügelchen oder Antibiotika
      Ich wähle immer brav evidenzbasierte Medizin und erfreue mich daran, dass die Praxis so eine schöne Innenarchitektur ohne rechte Winkel und Herr Doktor immer so viel Zeit für mich hat. Aber: Stütze ich dann nicht (mit meinem Geld, meiner Zustimmung) das schlechte System?

      Nebenbemerkung 2: Ich denke über diese abstrakte Fragestellung gerade wirlich viel nach. Denn ich glaube, sie kann uns sehr schön dahin führen, wo eigentlich die Probleme liegen:
      Wenn Menschen zum Homöopathen gehen, weil „der der mehr Zeit hat“, dann wollen die ja gar nicht die Kügelchen, sondern etwas anderes. Aufmnerksamkeit, Zuspruch, Ruhe, ene vertrauensvolle Atmosphäre vielleicht. Und das Problem sind dann vielleicht eher kassenärztliche Abrechnungsmodelle, die den Arzt zwingen, nach 6:30 Minuten mit den Gedanken abzuschweifen, weil er ab Minute 7 Geld verliert.
      Oder wenn Menschen zum Anthoposophen gehen, weil der den Menschen „auch mal als Ganzes anschaut“. Dann ist das Problem vielleicht auch eine extreme Fach-Ausrichtung der Fachärzte, die nie gelernt haben überhaupt mal wahrzunehmen, dass sie einen Tellerrand haben – geschweige denn über ihn zu schauen.
      Oder?

  4. Dass Menschen positiv darauf reagieren, wenn z.B. Ärztinnen und Ärzte sich für sie Zeit nehmen und dass dies zur Heilung beiträgt, ist ja evident.

    Dass Ärztinnen und Ärzte keine Zeit für ihre Patientinnen und Patienten haben, hat ja nichts mit evidenzbasierter Medizin zu tun, sondern mit dem Gesundheitssystem.

    Der Unterschied von Homoöpathie/Anthrophosophie und Religion ist weiterhin fundamental: Erstere Methoden sind Etikettenschwindel, denn ein Glaubenssystem wird als Faktum verkauft. Globuli unterliegen dem Apothekenzwang, obwohl sie teilweise keinerlei Wirkstoffe enthalten.

    Das *ist* Etikettenschwindel.

    1. Ich fürchte, wir gleiten ab, denn: Die Unwissenschaftlichkeit der „alternativen“ ist kein Thema, da sind wir uns einig.
      Die Frage über die ich nachdenke ist: Was sagt das über die Gesellschaft aus, wenn sie (bzw Teile) das ganz offensichtlich braucht und den Fakten vorzieht?

      Und: Wie gehen wir als Gesellschaft damit um? Wo ziehen wir Grenzen? Wo beginnen „die“, Schaden anzurichten?

      Und vor allem: Was bringt uns das Wissen und die Beschäftigung dmait für die nächste Pandemie? Oder für das Gesundheitssystem? Für unser Zusammenleben?

      Und, sorry, falls ich jetzt Deine religiösen Gefühle treffe, aber: Die Kirche, die ich kenne, tut nichts anderes als ihr Glaubenssystem als Faktum zu verkaufen.

  5. > Und, sorry, falls ich jetzt Deine religiösen Gefühle treffe, aber: Die Kirche, die ich kenne, tut nichts anderes als ihr Glaubenssystem als Faktum zu verkaufen.

    Keine Sorge: Ich habe mit den christlichen Kirchen nix am Hut und lehne gerade die kath. Kirche stark ab.

    > Die Frage über die ich nachdenke ist: Was sagt das über die Gesellschaft aus, wenn sie (bzw Teile) das ganz offensichtlich braucht und den Fakten vorzieht?

    Ich denke, es gibt bei sehr vielen (oder fast allen) Menschen ein Bedürfnis nach etwas metaphysischem. Da in einer (mehr oder weniger) aufgeklärten Gesellschaft die ,,großen Wahrheiten*“ verschwinden, sucht sich dieses Bedürfnis ein anderes Ventil: Esoterik, Verschwörungsmythen, aber auch Kunst und Phantasie usw. ausdrücken.

    Meiner Meinung nach eher ein menschliches Grundbedürfnis denn eine gesellschaftliche Entwicklung.

    * ,,Große Wahrheiten“: Vertrauen in Religion, Institutionen, Persönlichkeiten …

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