22.9.2021 – wenn Ihr nicht für mich seid …

Ich war vollkommen unerwartet schon um viertel nach zwölf wieder zu Hause, schlief schon um eins – dazu hatten viel Rückenwind zwischen Griechenland und hier, der zufällig bestmöglich gewählte Parkplatz im Flughafenkomplex (knapp dreißig Schritte und eine Aufzugfahrt vom richtigen Ausgang entfernt) und diverse echt leere Autobahnen zwischen Düsseldorf, Bonn und hier beigetragen.
Trotzdem reichlich müde aufgewacht und beschlossen, den Tag erstmal langsam angehen zu lassen. Und mit einer langen Nacken- und Schulterübungseinheit angefangen.

Trotzdem später Migräne bekommen und den tag hinter herunter gelasenen Jalousien verbracht. Im Moment zu oft, ich komm da gerade nicht so super gut drauf klar. Hm.

Aber: Heute in eine wirklich schöne Koinzidenz geschliddert. Beim Internetlesen bei Little B. erinnert worden, dass es ja eine öffentlich rechtliche Doku über deutschen HipHop geben sollte – die wollte ich eh gucken. (Merci für den Reminder!)
Wann, wenn nicht jetzt, um langsam in den Tag zu kommen?

Und parallel fand ich bei der Kaltmamsell diesen Thread über „Selbstverstrohmannung“ von Florian Aigner. Er fragt sich

Man muss über radikale Extremisten reden können, ohne dass sich gemäßigtere Gruppen gleich mitgemeint fühlen. […] Man spricht zum Beispiel über „Coronaleugner“ und meint damit genau das, was dieser Begriff aussagt, nämlich Leute, die nicht an die Existenz des Virus glauben. […] Ich verstehe aber nicht, warum sich Leute, die gemäßigte, rational argumentierbare Meinungen vertreten, getriggert fühlen, wenn man Extremmeinungen kritisiert. Warum werfen sich solche Leute oft völlig unnötigerweise in die Schusslinie, wenn man Radikal-Querdenker kritisiert?

Florian Aigner (Thread):
Man muss über radikale Extremisten reden können, ohne dass sich gemäßigtere Gruppen gleich mitgemeint fühlen.

… und während im Trailer zu der Doku im HR (Mediathek) Moses P. über den Bildschirm flimmert, erinnere ich mich daran, was ich damals, in den frühen neunzigern schon nicht am Frankfurter HipHop verstanden habe:

Ich war, was deutschsprachigen Sprechgesang anging, neben dem Spaß-HipHop der Fanta Vier hauptsächlich aus Hamburg sozialisiert. Dadurch dass ein Freund von mir hier im Kaff zusammen mit Majubiese und Dendemann die Armen Ritter gegründet hatte und ich nicht nur den Probenraum und ein paar lustige gemeinsame Jams mit den Rappern verbracht, sondern sie auch auf ihren ersten paar Konzerten begleitet und gemischt hatte, hatte ich früh auch schon die Brote, das Bo und die anderen aus dem Norden kennen gelernt* und gehört. „Früh“ bedeutet in diesem Zusammenhang: „Schon vor »Nordisch bei Nature«“, was natürlich damals in dieser schnell explodierenden kreativen Zeit gefühlte Dekaden waren. Aber ich gleite ab.

*) Es gibt da eine sehr lustige Geschichte über die Liebste und Fettes Brot – erinnern Sie mich, wenn ich mal nichts zu schreiben weiß da ruhig mal dran)

Jedenfalls hatte Moses schon damals etwas, was ich nicht verstand: Nämlich die Atitüde „Wenn Ihr alle gegen mich seid, dann muss ich mich halt wehren.“ Er trat – für famalige Verhältnisse – extrem aggro auf, begründete das aber immer damit, sich ja schließlich verteidigen zu müssen.
Natürlich gehörte es schon damals zum HipHop, sich möglichst kunstvoll gegenseitig zu dissen. Aber der Ansatz, mit dem dies in den beiden Städten geschah, war halt extrem unterschiedlich: Stuttgart und Hamburg versuchten es mit möglichst lustig unerwarteten Reimen (Fanta Vier – Was Geht:„War nur Spaß … ich wollte Dich nur foppen, denn in Wirklichkeit will ich Schwester S. poppen“), während Frankfurt grundsätzlich in eine immerwährende Verteidigungshaltung geriet (RHP Höha, Schnella, Weita: „Ihr habt uns 20 mal gesteinigt und wir sind nicht gestorben“).
Noch heute beschwert sich Moses – den ich übrigens nach all den Jahren inzwischen extrem schätze – darüber, dass man seine Kunst nicht richtig beachtet habe.

Ohne jetzt Küchenpsychologie über mangelndes oder zu viel Selbstbewusstsein auszupacken halte ich das vor allem für eine sehr wirkungsvolle Taktik, um sich selbst und seine Fangemeinde einzuschwören: Ein äußerer Feind schweißt eine Gruppe immer zusammen. Ob bewusst oder unbewusst eingesetzt – eine Gruppe, die von außen angegriffen, verhöhnt, gedisst wird, wird ihre eigenen internen Unterschiede besser übersehen können und nach außen gemeinsam und stark auftreten. Innerhalb der Gruppe fühlt man sich einfach stärker, vielleicht ist man sogar etwas besseres oder man kann oder weiß gefühlt etwas, was „die anderen“ nicht haben oder können.
Und selbst ohne allzuviele eigene Inhalte – immerhin hatten auch die Rödelheimer da auch erst exakt ein Album draußen – kann man so eine starke Gruppenidentität schaffen.
Dazu ist es aber natürlich wichtig, die Unterschiede zwischen „uns“ und „denen“ immer wieder zu betonen – selbst wenn heimlich alles HipHop ist und gesampelte Beats halt gesampelte Beats.

Und da schloss sich in meinem Kopf der Link zu den (ich nenne sie jetzt mal) Impfzweiflern. Ich las den Tweet von Florian, sah dabei Moses darüber jammern, wie unfair die anderen sind und es machte klick: Vermutlich ist es gerade in einer so unsicheren, zweifelnden Phase des Lebens einfach leichter, sich einer Gruppe anzuschließen, die stark wirkt. Und dann muss ich mich – nur um die Gruppenzugehörigkeit und Stärke nicht zu verlieren – schon angegriffen fühlen, wenn „die anderen“ überhaupt auch nur den Mund zum Thema aufmachen.
Ich denke, dass unter anderem so von Pegida über AFD und Querdenker alle diesen Gruppen ganz gut funktionieren.

By the way: Wenn wir ehrlich sind, tun wir ja übrigens auch wenig anderes, wenn wir frohen Mutes unsere Followees durchfeudeln, weil wir diese Impfzweifler und Coronaleugner nicht mehr ertragen. Und die abendlichen Talkshows nicht mehr gucken weil uns das Geschwurbel auf den Senkel geht.
Aber das natürlich nur am Rande – grundsätzlich haben wir natürlich Recht.

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4 Kommentare

  1. Ich glaube, die Jungs aus Pinneberg ;-) und die Jungs aus Stuttgart hatten mit Moses und seiner Gang außer der Liebe zu HipHop und aus den Vororten in der Provinz zu stammen, herzlich wenig gemeinsam. Weder Hautfarbe noch Herkunft, das ist m.A. mehr so’n Klassending. (Gilt z.B. auch für die Jungs vom Müncher Blumentopf.) Moses und seine Crew stammen aus einer anderen Schicht, so böse das klingt. Natürlich ist der sein Leben lang auf Aggro und kein Spaßhiphopper und natürlich machten sich alle anderen über ihn lustig, was den Teufelskreis nur anheizte.

    Die Parallele zu den anderen Berufsopfern sehe ich auch, allerdings kann ich bei Deinem letzten Absatz für mich nur den Kopf schütteln. Ich feudele da zwar durchaus durch, weil ich die Schwurbler nicht ertrage, aber sicher nicht, weil ich mich einer Gruppe zugehörig fühle oder fühlen möchte. Ich kann nur so viel Blödheit nicht ertragen. Oder habe ich da etwas falsch verstanden?

    1. Ja sicher, ein kleines bisschen hab ich die Geschichte des deutschen HipHop da schon vereinfacht – da steh ich aber auch zu. Die Mechanismen nach außen und innen sind ja da, egal, was für Gründe dahinter stecken.
      Was nicht heißt, dass es nicht furchtbar interessant sein kann, sich die Gründe mal anzusehen …

      Zum letzten Absatz: Afaik ist es vollkommen normal, dass wir uns einer Gruppe zugehörig fühlen möchten – ob es die der HardcoreRapper oder der Schwurbler oder der, derer, die keine Gruppe sein wollen ist.
      Soweit ich das verstanden habe, ist das im Stammhirn irgendwo angelegt und das bestimmt uns mehr, als wir eigentlich wollen, schon klar.
      Aber mir tut es gut, da gelegentlich dran zu denken – das hilft mir, mich nicht was besseres zu fühlen, nur weil ich in der richtigen Gruppe gelandet bin.

    2. Danke, dann brauche ich das nicht aufzuschreiben. Ich bin so weit weg von hiphop wie die Erde vom Mars, aber was Moses Pelham da machte, fand ich sehr stark. Finde ich auch immer noch. Inklusive „Nicht von dieser Welt“ in der 3p-Fassung. Mag Xavier Naidoo hinterher abgedreht sein, das ist mir egal.
      Es ist ein Unterschied, ob deutsche Bürgerkinder hiphop machen oder Leute aus dem Plattenbaughetto (war das plattenbau im Westen? Diese Wohnmaschinen der Moderne meine ich.)
      Was die Identitäten- Bildung angeht, ja isso. Ich halte das aber für keinen bewussten Prozeß. Bzw Leute, die das als bewußte Manipulation einsetzen, denen muß man auf die Finger schauen.
      Ich feudele selten durch. Ich mute manchmal, wenn es mich nervt. Ich will sie sehen. Die Seher, Aussprecher (und damit Scharfmacher) aller Lager und die, die begeistert retweeten. Es ist ein bißchen wie beim Engel der Geschichte, es prasselt alles auf mich ein. Leute, die vom grünen Bullerbü faseln und noch nicht mal eine Gemüsesuppe kochen können, Besorgte, die sich von fremdländischen Pädophilen umgeben wähnen, Leute mit magischen Weltempfinden, für die grade jeder der plötzlich stirbt, an der Impfung stirbt.
      Sollen sie. Germany. Today. Und wir waren dabei. Auch wenn es manchmal anstrengt.

    3. : Ich halte das aber für keinen bewussten Prozeß.
      Aber nein!

      : Bzw Leute, die das als bewußte Manipulation
      : einsetzen, denen muß man auf die Finger schauen.
      Aber ja!!

Kommentare sind geschlossen.

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