Einen schönen Abend gehabt, der mal sehr aus der Pandenotonie heraus gerissen hat.
Die Montagsfrage Nummer acht bei Joël (ein Stöckchen, wie man früher gesagt hätte von Joël):
Wenn du dir ein teures, berühmtes Kunstwerk leisten könntest, mal abgesehen vom Preis und allen anderen Kosten, welches würdest du haben wollen?
Treue Leserinnen wissen vermutlich immerhin schon, welcher Künstler es vermutlich werden würde: Franz Marc natürlich (ausführlich hab ich über den ja schon vor ca. einem Jahr geschrieben, als Frau Novemberregen Kunst vorgestellt haben wollte). Bleibt die Frage: Fuchs oder Pferd? Katze oder Kuh oder sogar Hund? Und die ist schwer zu beantworten. Schon letztes Jahr hatte ich ja geschrieben, dass eigentlich alle dieser Bilder eine sehr starke Wirkung auf mich haben und daher – und das ist natürlich die bödestmögliche Antwort – ist es es eigentlich egal. Ich vermute allerdings, dass in dem Moment, wo sich die Möglichkeit wirklich eröffnen würde eine vollkommene Unegalheit einsetzen würde und ich in einen langen, komplizieren Auswahlprozess mit Pro- und Contra-Listen eintauchen könnte. Um dann am Ende aus dem bauch heraus etwas anderes zu wählen – so funktioniere ich da meist.
Also der Fuchs. Nee, die Pferde. Nein, halt, die Katze … Sie sehen, das wird hier nix mehr.
Aus Gründen sonst kaum was zu erzählen. Aber ich hab in der ganzen letzten Woche doch wenigstens ein paar Dinge in OneNote hineingeworfen und die kann ich ja mal hier gesammelt hin schreiben.
Zeugs:
Sie erinnern sich an die Doku über die beiden Prostituierten, die dann keine war? Ja, ich weiß, seitdem sind schon wieder ein paar Säue durchs Dorf getrieben worden. Aber gerade deswegen fand ich diesen Bericht sehr interessant. Auch er erschien erst, als schon die nächsten Tierchen die ersten Straßen des Dorfs schon gekreuzt hatten und die allgemeine Aufmerksamkeit sich dorthin wendete.
Jetzt hat der NDR die Sache also mit einer hauseigenen Investigativ-Recherche aus der Welt geschafft, ohne selbst Schaden zu nehmen. Das Vertrauen ist wiederhergestellt. Oder? Wir haben bei diesem Skandal die klassische Trias, die auch beim Reden über Prostitution immer auftaucht: Es gibt Täter, Opfer und Retter.
Berliner Zeitung: Ich gebe dir Geld, und du machst, was ich will!
[…]
Lehrenkrauss wollte eigentlich einen ganz anderen Film machen. Ein „Kaleidoskop“ der Vielseitigkeit der Sexarbeit, am kleinen Ausschnitt der Landstraße.
[…]
Was tut nun Lehrenkrauss, die Debütantin ohne Standing, ohne Produktionsfirma, der man ihren Debütfilm auf diese Weise kaputt machen will? Protestiert sie? Riskiert sie einen Konflikt? Weigert sie sich schlichtweg? Kann sie das überhaupt, wenn am Ende der Sender das letzte Wort hat? Sie ist vertraglich gebunden. Wenn der Film der Redaktion nicht gefallen hätte, wäre es ihr erster und letzter Film gewesen.
Sie erinnern sich vielleicht, warum es im Pandemie-Handling plötzlich nicht mehr um den R-Wert, sondern um die Inzidenz, einen irgendwie gerechneten Durchschnittswert ging? Richtig: Wenn die unter 35 liegt, dann können die Gesundheitsämter die Arbeit schaffen. Jaja, wenn man sich daran erinnert, dann ist alles, was jetzt passiert eh nur noch kompletter Wahnsinn.
Annette Kritzler schreibt in einem Gastbeitrag bei Christian de Vries, wie der bürokratische Teil einer Covid-Erkrankung in Dortmund aktuell so abläuft:
In Dortmund werden positive Abstriche nur stichprobenartig auf Virusmutationen hin überprüft! Warum auch von anderen lernen.
Annette Kritzler: Corona – Meine Infektion, Hilfestellungen und Irritationen
[…]
Sonntags meldet sich das Gesundheitsamt Dortmund. […] Nach meinen Kontaktpersonen werde ich nicht befragt.
[…] weist er mich darauf hin, dass ich zur Validierung des Schnelltests nun bitte meine Hausärztin für einen PCR-Test aufsuchen möchte. Nur zum Verständnis, man erwartete, dass ich mit einer noch nicht bestimmten Viruslast durch die ganze Stadt fahren sollte (wohlgemerkt mit dem ÖPNV oder dem Rad, ich habe weder Auto noch Führerschein!).
[…]
[Zum Ende der Quarantäne] Ich wende ein, ob nicht ein weiterer PCR-Test notwendig ist, um auf Nummer sicher zu gehen. Ja, sagt er, das kann ich auf freiwilliger Basis tun. Sollte dieser jedoch erneut positiv ausfallen, werde die Quarantäne verlängert.
Sie wissen ja, dass ich besonders interessiert beobachte, wenn es in unserem Zusammenleben irgendwo knirscht, wenn Veränderungen beginnen und sich Seiten bilden, die einander mit Unverständnis gegenüber stehen. Oft liegt das schon daran, dass sich auf einer Seite Sprache geändert hat und schon ab dem ersten Satz Menschen von verschiedenen Dingen sprechen.
ich beobachte, dass sich unser Verständnis von einer bestimmten Art von Begriffen auffallend verändert hat. Das sind Begriffe, die Verletzungen und Verletzlichkeiten betreffen. Trauma oder Depression etwa. Oder Gewalt, Hass, Mobbing. […] Eines Tages rief uns die Lehrerin an und erzählte, unser Sohn sei gewalttätig. Mir wurde gesagt, er hätte eine Waffe eingesetzt. Ja, und dann stellte sich heraus, dass er vor der Stunde seinen Schal genommen und versucht hat, mit den Schalenden den einen oder anderen zu erwischen […]
Theresa Bäuerlein auf krautreporter.de: Sprache und Missverständnisse – „Leute gelten schon als traumatisiert, wenn sie einen Autounfall beobachten“
Ich beobachte mittlerweile überall, dass Begriffe wie zum Beispiel Gewalt auf neue oder schwächere Phänomene ausgedehnt werden, die vorher gar nicht davon erfasst wurden. Der australische Psychologieprofessor Nick Haslam nennt das „Concept Creep“. Das „Creep“ steht für „schleichend“, der Begriff weitet sich also ganz allmählich und umfasst neue Bedeutungen. Haslam unterscheidet dabei zwischen einer vertikalen und einer horizontalen Dehnung. Horizontal bedeutet, dass Begriffe sich über neue Phänomene ausdehnen, die davon vorher gar nicht erfasst wurden. Zum Beispiel dehnt man den Gewaltbegriff auch auf ungleich verteilte Bildungschancen oder Einkommen aus, das ist dann „strukturelle Gewalt“. Vertikale Ausdehnung bedeutet, dass die Begriffe auf immer schwächere Phänomene angewandt werden.
Vermutlich ist es bei Ihnen ähnlich: In vielen Gesprächen geht es momentan darum, wie es „danach“ sein wird. Der erste Kinobesuch, die erste Umarmung, das erste Konzert, das erste Mal, wenn wir nicht mehr zusammenzucken, wenn uns jemand zu nahe kommt. Das erste Mal, dass wir wieder etwas „normal“ finden werden.
Laurie Penny hat diesen Schritt bereits von Null auf hundert gemacht und ist aus Amerika nach Australien gezogen – dorthin, wo Covid quasi Geschichte ist.
For me, the after times came all at once. I’m one of a small number of people who got to step from one reality right into the other. Two weeks ago, after a year of lockdown in one of the most infected cities in the world, after a year of wildfires and civil collapse and police riots, I got out of quarantine in Australia. I came here to re-unite with my partner. I’m now in Melbourne, where there’s no COVID at all. For me, there was a specific hour, a specific second, when the after times began.
Laurie Penny: A Report from the After Times
[…]
And now, here I was.
And something was wrong.
Gelegentlich spreche ich auch hier über meine kleine Schwester. Wer mich kennt, weiß aber, dass ich Einzelkind war. Diese Formulierung ist entstanden, weil wir in unserer Gesellschaft keine Begriffe dafür haben, jemanden zu lieben, mit der man nicht zusammen / verheiratet ist, kein Wort dafür, wenn man nur befreundet ist. Und das finde ich sehr schade.
Und doch gibt es keine Begriffe oder Kategorien, die beschreiben, was wir füreinander sind. Begriffe oder Kategorien, deren Abwesenheit uns auffällt, weil wir uns ständig erklären müssen, er mich und ich ihn. Weil es in unserer Gesellschaft letztlich doch sehr klare Platzanweiser für die Liebe gibt.
Sabrina Dittus auf zeit.de: Mina, was bist du für mich?
[…]
Dass das so ist, hat auch – und sogar viel – zu tun mit den Formen der Liebe, die in unserer Gesellschaft primär gelebt und repräsentiert werden: familiale oder verwandtschaftliche Beziehungen und die romantische Liebe. Dagegen sind die Filme, Bücher und Werbebilder, die von anderen Formen der Liebe erzählen, marginal. Was erstaunlich ist in einer Gesellschaft, in der so viele Menschen ohne feste Partner*innen und ohne Kinder oder andere Verwandte leben.
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Das mit deiner Schwester gefällt mir. Mein bester Freund ist auch mein kleiner (jüngerer) Bruder weil sein leiblicher Bruder und er nicht so den Draht füreinander haben. Und manchmal ist er der ältere Bruder für mich; das wechselt. Und ich nenne ihn Brüderchen. Familie hat man, Freunde sucht man sich aus. :) Schön dass Du Ähnliches kennst. 💚
… und wenn man keine Familie hat, dann kann muss man sich eine suchen :)
Es ist wirklich erstaunlich, wie lückenhaft bzw wenig nachvollziehbar die Gesundheitsämter arbeiten:
Wechselunterricht in der dritten Klasse meiner Tochter. Acht Kinder sind anwesend. Ein Jung wird positiv getestet. Meine Tochter muss aus der Schule geholt werden. Nachmittags dann der Anruf vom Gesundheitsamt (Hilfskraft der Bundeswehr): „Nein, sie braucht in in Quarantäne, ja, sie kann ab Montag ganz normal wieder zur Schule gehen, weil konsequent AHA, Lüften….“
Überaschung am Montag: Zwei Kinder stehen vor der Schule, die anderen Kids sind in Quarantäne gschickt worden. Wir wissen bis heute nicht warum.
Ich würde so gerne etwas antworten aber mir fällt nichts mehr dazu ein. Man weiß ja nicht einmal mehr, was jetzt richtig und falsch ist – aber die fehlende Stringenz – die ist garantiert nicht gut.