18.5.2022 – Über die Bequemlichkeit

Wissen Sie, was mir – um diese ungeplante Blogpause mal ungeplant zu unterbrechen – so richtig auf den Senkel geht? Wenn Menschen bequem sind. Also im Allgemeinen und konkret denke ich gerade über diese ganz spezielle Form der Bequemlichkeit nach, sich nicht mit der Idee eines anderen zu beschäftigen, sondern sich fix ein eigenes Bild zu machen und das dann doof zu finden. Ein Bild zu machen, das vielleicht falsch, aber eben bequem abzulehnen ist. Und danach mit Hinweis auf dieses eigene Bild jeden weiteren Gedanken zu verweigern.

Nehmen wir an, Sie arbeiten bei einem Chemieladen und Ihr Gegenüber sagt pauschal „Chemiekonzerne sind böse und überall ist Mikroplastik drin und der Rhein, der schöne Rhein!“ und sie erklären, dass das Bild von Chemiekonzernen auf der Strasse etwas verzerrt ist und erzählen ihm von Qualitätssicherung und Fortschritt und dass der Rhein längst wieder sauber ist und von allem, was Sie aus Ihrer Arbeit so wissen und differenzieren vielleicht auch, weil es ja kompliziert ist und er hört sich das alles an und sagt „Ja aber in der Fernsehzeitung stand letztens auch das mit dem Mikroplastik und wir wissen doch alle noch: Bhopal“.

Stellen Sie sich vor, Sie haben Pädagogik studiert und sind seit zwanzig Jahren im Beruf und Ihr Gegenüber sagt pauschal „Ach, Pädagogen sind doch alle Schnullis und ihr Heititei ist ja ganz nett für Freistunden und Projektwochen, aber wenn man nur genügend Druck macht und die Blagen sich mal über die Bücher setzen, dann klappt das auch und wenn es nicht klappt, dann waren die halt faul. Wie alle Kinder.“ und Sie erklären, dass das Bild von Pädagogen auf der Strasse etwas verzerrt ist und erzählen ihm von etwas moderneren Konzepten und von verschiedenen Lernformen und bringen psychologisches Grundwissen ein und differenzieren vielleicht auch, weil es ja kompliziert ist und er hört sich das alles an und sagt „Ja, aber uns hat es ja auch nicht geschadet und aus uns ist auch was geworden

Oder denken Sie mal, Sie sind seit Jahren in Therapie und eines der Konzepte, die Ihnen wortwörtlich den Arsch gerettet haben nennt sich „Achtsamkeit“ und Ihr Gegenüber sagt pauschal „Ach, diese Achtsamkeitsbubble, der geht es doch nur um der ihr eigenes Yoga, Tee und Duftkerzen-Heil und wenn wir auf die hören, dann wird unsere Welt egoistisch aber hygge untergehen“ und sie erklären, dass es das gibt, aber dass auf Instagram nur ein Teil, vielleicht sogar nur ein falsch verstandener zu sehen ist, weil das Bild von Achtsamkeit auf der Strasse etwas verzerrt ist und Sie differenzieren vielleicht auch, weil es ja kompliziert ist und er hört sich das an und sagt „Ja aber ich kann nicht ernst nehmen, wenn mir ein Teebeutel sagt, ich solle mich nicht sorgen, sondern lächeln und deswegen mag ich das nicht

Oder stellen Sie sich vor, Sie haben jahrelang fächerübergreifend in Geschichte, Politologie und Soziologie geforscht und dort Pazifismus-Konzepte entwickelt und dann ist plötzlich Krieg so nah, dass er sich nicht ausblenden lässt und Ihr Gegenüber sagt pauschal „Jaja, diese Pazisfismus-Schnullis – ich verstehe nicht, wie die jetzt finden können, dass die Ukraine sich nicht wehren darf, das ist doch menschenverachtend“ und Sie erklären, dass das Bild von Pazifismus auf der Straße etwas verzerrt ist und berichten von Forschung und Erhebungen und Konzepten und vom Pazifismus im Krieg und von dem in Friedenszeiten und weil es kompliziert ist, differenzieren Sie auch und dann sagt er „Ja aber diese dreckigen Hipster mit ihren Friedenstauben auf dem Jutebeutel, die sollte man alle da rüber schicken – direkt in die erste Reihe

Diese Art von Bequemlichkeit, die meine ich, wissen Sie. Ist übrigens weit verbreitet auch unter denen, die den Querdenkern immer vorgeworfen haben, sie wären halt nicht zu einem differenzierten Weltbild fähig und hingen lieber einer falschen, aber einfachen Erklärung an, statt mal zu denken.

Es gilt übrigens: Ich bin natürlich nie so. Und Sie natürlich auch nicht.

Twitterbild: Foto von Alena Zadorozhnaya von Pexels.

2 Kommentare

  1. Differenzierung is‘ ja auch anstrengend, genau wie Reflektion – aber faul und bequem sind immer die Anderen.

    Wahlweise die Blagen, die Heititeis und sonstigen Schnullis.

    Und so schließt der Kreis sich.

    Ich wurde auch verhauen und das war nicht gut für mich, definitiv. Die was Anderes sagen, wurden vielleicht doofgekloppt … ?!

  2. Aus Schreibtischüberforderung hier herumgeklickt, zum ersten Mal. Sehr großartiges Beispiel, das letzte, mit dem Pazifismus.

    Und überhaupt: Möge das Leben Ihnen am langen Wochenende mal eine Pause zum Durchatmen geben. Alles Gute!

Kommentare sind geschlossen.

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