(Nachträglich eingefügte Vorbemerkung: Als ich diesen Text schrieb, hatte ich nicht im Blick, WIE grabenkampfig dieser Grabenkampf aktuell geführt wird. Ich schreibe hier weder pro noch Kontra alt-Text, sondern denke darüber nach, warum aus so einem Thema so ein Grabenkampf entstehen kann, warum der so eskaliert und ob wir alle daraus lernen können. Ich habe eine ironische Textform dafür gewählt und vielleicht war das unklug, vielleicht war das auch nur heute unklug – da müssen wir jetzt alle durch.)
Es war einmal das kleine Land Twitteristan, das leider erst von Barbaren überrannt und dann von einem bösen König übernommen wurde. Die guten Leute dort hatten schon beim verzweifelten Kampf gegen die Barbaren gemerkt, dass nicht jeder ihre guten Werte vertrat. Sie hatten sich dort zum Beispiel über Feminismus oder im Kampf gegen Rassismus und Ableismus ausgetauscht, aber den Barbaren war all das egal gewesen. Die braven Urbewohner hatten sich in Diskussion und Gegenrede, in Blockmarathon und Faktenweitwurf geübt – aber erst wurde die Situation immer hoffnungsloser und dann kam ja auch noch der böse König.
Zum Glück für die braven Bürger hatten ein paar mutige Entdecker und Erfinder schon neue Länder Mastodistan und Blueskydistan und so zog man dorthin um. Die mutige Vorhut hatte dort jeweils schon das Land bestellt und sich Mühe gegeben, dass Pöbelbarbaren und doofe Könige dort keine Chance haben würde; sie hatten technische Fallen aufgestellt und sich klügere Regeln gegeben, um dort ein für alle besseres Leben führen zu können.
Aber ach, aber ach, mindestens eine dieser Regeln passte den braven Bürgern von Twitteristan so überhaupt nicht. Gerne wollten sie wie immer schon gegen Misogynie und Rassisten, gegen Ableisten und die Vertreter der „es gibt nur Mann und Frau und nur die sollen sich lieben“-Fraktion kämpfen – aber nun hatten die Entdecker der neuen Länder auch gedacht, man solle doch auch für Menschen, die nicht gut sehen können, etwas tun.
Und die Vorhut hatte sich das nicht nur gedacht, sie erinnerte auch daran: Genau wie damals, als alle sich zusammen noch in Diskussion und Gegenrede, in Blockmarathon und Faktenweitwurf geübt hatten, forderten sie jetzt von den nachziehenden Siedlern diese Hilfe für schlecht sehende Menschen – immer wieder und vielleicht auch immer vehementer. Alles wie schon immer, denn als sie alle noch in Twitteristan lebten, da nannten man so ein Verhalten „Ally sein für benachteiligte Gruppen“ und alle braven Bürger fanden es gut.
Natürlich hätte man denken können, dass die im Kampf für das Gute erfahrenen Twitteristaner sofort den Nutzen einsehen und die neue Idee begeistert annehmen würden, aber – und jetzt beginnt der Teil, den ich nur vermuten kann – vielleicht ging es denen gar nicht um das Gute, sondern nur um das Gute, was ihnen genehm war. Denn der Kampf um ein kleines bisschen erklärenden Text – eben den sog. Alt-Text – den man Bildern hinzufügen kann um sie auch für sehbehinderte Menschen nutzbar zu machen, hat sich zu einem Grabenkampf entwickelt, in dem durchaus vernünftige Menschen erklären, sie hätten „diese Alt-Text-Nazis satt und würden das Netzwerk jetzt sofort verlassen“. Oder stolz vermelden, dass sie „keinen Alt-Text geschrieben haben, nicht schreiben und niemals schreiben werden und für sie die Diskussion beendet ist“ – im gleichen trotzig stolzen Tonfall, wie Söder ruft, dass er niemals gendern wird.
Will ich wohlwollend auf diese Absurdität blicken, dann könnte man aus überraschter Erfahrung am eigenen Leib lernen. Lernen, dass diese Form des Ally-seins, diese im social Web so beliebten „Du machst das falsch“-Kommentare sich vielleicht richtig doof anfühlen, wenn man sie bekommt, statt sie zu schreiben. Dass sie sogar Trotz hervorrufen.
Und daraus könnte man dann sogar lernen, dass diese Gegenrede vielleicht auch nicht gut ist, wenn man sie selbst anderen in die Replies wirft, weil sie halt nur Trotz hervorruft.
Blicke ich weniger wohlwollend darauf, dann sehe ich, dass Menschen zwar voll gerne Ally sind, aber nur für Themen, die ihnen genehm sind. Bei Themen, die sie langweilig und uninspirierend finden – oder die keinen Ruhm versprechen? – dann eben nicht und das wäre in meinen Augen bigotte Scheiße.
Ich weiß nicht, wie ich darauf gucken soll.
Ach ja, richtig: #tagebuchbloggen.
Wir waren heute in Venlo, ich habe einen neuen Lieblingsplattenladen und es war ein sehr, sehr schöner Tag.
Entschuldigung, das musste raus.
Vi ses.
Fußnote: Ich bin selbst der schlechteste alt-Text-Schreiber der Welt. a) ist das kein Argument gegen alt-Texte und b) geht es in meinem kleinen Rant nicht darum, ob man alt-Texte schreiben sollte oder nicht. Wenn Sie das so verstanden haben, lesen Sie’s vielleicht nochmal?
Sie haben Fragen? Sie wünschen sich ein Thema, über das ich mal bloggen soll?
Schreiben Sie’s auf!
Alle bisherigen Antworten finden Sie übrigens hier.
Die Leutchen, welche andere mies anpampen und sich dabei eben ein bisschen Selbstwirksamkeit abholen, wollen halt nicht verstehen, dass sie der Sache einen Bärendienst erweisen.
Es gibt sogar schon Alt-Text-Generatoren (habe ich allerdings noch nicht ausprobiert).
Ich bin sehr für Alt-text und bemüh mich immer drum, aber ich versteh auch die Leute, die guten Willens und inklusiv sind, wegem beständigen bösartigen Angepamptwerdens wegen mal vergessen oder „nicht gut genug“ aber mürbe geworden sind und den Alt-text jetzt weglassen oder – noch schlimmer – gar keine Bilder mehr posten, weil ihnen dazu jede Motiovation verleidet wurde. :(
Vor den Auswüchsen der Kommunikationskultur stehe ich dann auch immer fassungslos