16.12.2024 – on the next album

Warum es denn eigentlich das Format „Album“ überhaupt noch gäbe? – diese vollkommen verständliche Frage kam gestern noch bei mir an, nachdem ich ja ein bisschen gejammert hatte. Und mir fallen zwei Gründe dazu ein: Kunst und Kommerz.

Kunst:
Ich kenne es sowohl aus Interviews oder Gesprächen mit Künstlerinnen als auch aus der Beobachtung vieler Artist und auch meiner selbst: Ein Album ist mehr als eine zufällig Sammlung von 10 Songs, die gerade halt fertig waren. Also natürlich gibt es das – vor allem nach dem Finale einer Casting-Show – aber meist merkt man recht gut, was zueinander passt oder nicht; man stellt fest, dass diese Sammlung jetzt etwas mit einem selbst in den letzten Monaten zu tun hat oder sich sonst ein thematischer Faden heraus stellt. Dann fliegen auch vielleicht eines oder mehrere der Stücke, die gerade fertig sind, fix raus und es entsteht ein Ganzes was – Achtung, Allgemeinplatz-Alarm! – mehr ist als die Einzelteile.
Die üblichen 35-50 Minuten, die ein Album so lang ist, scheinen auch eine ganz gute Dauer zu sein, um eine Geschichte zu erzählen. Sein wir ehrlich: Die meisten Doppelalben der Rockgeschichte bestehen aus höchstens 45 Minuten Killern und mindestens 45 Minuten Fillern (und von „Use Your Illusion“ I & II wollen wir doch erst gar nicht reden).

Ob das im Stammhirn verankert ist oder wir uns nicht einfach an die Dauer gewöhnt haben, was also Henne und was Ei ist – ich wage es nicht zu sagen.
Ein Indiz für Henne könnte aber sein: Eine Vinyl-Platte dauert ca 45 Minuten, weil auf eine Seite ohne große Klangverluste ca 23 Minuten passen. Vielleicht – würde ich diesen Artikel also zu Grammophon-Zeiten schreiben, dann würde wir uns eventuell über komplett andere Zeiten unterhalten – und darüber, was sich „richtig, natürlich und gottgegeben“ anhört.

Angeber-Nerd-Wissen um auf der nächsten Party potentielle Sexualpartner für die Nacht abzuschrecken: Peter Gabriels „So“ hat auf CD und auf Vinyl eine unterschiedliche Song-Reihenfolge, weil’s auf der LP eben nur in einer bestimmten Reihenfolge passte. Deswegen klingt die LP jetzt besser, hat aber den falschen Spannnungsbogen und die CD ist „richtiger“, klingt aber halt nicht so schön nach Vinyl.

Rein persönliche Anekdote ohne jeden Flirt-Wert für Sie: Die Liebste und ich bekamen (bevor wir uns kannten) Peter Gabriels Album „plays live“ von dem gleichen Freund auf Cassette aufgenommen. Der packte die vier Schallplatten-Seiten in verkehrter Reihenfolge auf die 90er Maxell XLII Cassette, weil sie sonst nicht gepasst hätten. Wir kannten also beide viele Jahre lang nur die falsche Reihenfolge, hörten die aber (beide zusammengerechnet) ein paar tausend Mal an. Und sind heute noch irritiert, wenn wir das Album in der richtigen Reihenfolge hören.

Kommerz:
Wenn Sie nicht gerade TayTay oder Beyonce oder halt in dieser Liga unterwegs sind, dann verdienen Sie mit Streaming nicht genug bzw zu wenig bzw nichts. Geld gibts noch* über: Live-Auftritte, Verkauf von physikalischen Tonträgern (und Merch) und Airplay (was dann auch wieder Leute in den Laden oder auf Konzerte lockt – dort wiederum kauft die treue Fan-Frau dann das hybsche Stück Vinyl oder Plastik im Jewelcase und alles ist gut.)
Also brauchts physikalische Tonträger.

*) Auch das ändert sich meines Wissens nach gerade. Zu viele Venues schießen, zu viele Festivals geben auf, es gibt zu viele Artists für zu wenig Kulturförderung und vermutlich beginnt bald wieder(?) eine pay to play-Phase.


Wenn Sie es also so richtig richtig machen wollen mit der Kohle als Musiker, dann (lernen Sie 20 Jahre lang, verdammt gut Geige zu spielen*) (und lassen sich die Haare wachsen, damit die kaufkräftige Zielgruppe sie ein bisschen, aber nicht zu wild findet), nehmen Sie für das Herbst-/Winter-/Weihnachtsgeschäft ein Album mit gecoverten Popsongs aus den 80ern, den 90ern und mit dem Besten von heute auf und gehen danach in jede TV-Show, die nicht schnell genug „nicht schon wieder dieser Geigenheini, der will doch dann auch immer was fiedeln“ ruft.
Sie sparen sich die Mühe mit dem Komponieren, die wenige Kohle fürs Streaming teilen Sie eben mit den Komponisten der Originalversionen, aber danach ist Ihre große Tour 2025 quasi automatisch ausverkauft und am Merchandising dort verkaufen Sie dann ihre eigenen Platten („ach Karin, wollten wir nicht immer schon mal diesen Beethoven hören?“ — „Ja richtig, Dieter, wenn Du nicht immer an alles denken würdest“ — „Bussi!“ — „Bussi!“).

*) Ich will die künstlerische Leitung des hier grob karikierten Geigenspielers gar nicht runtermachen. Er spielt halt aktuell nur die Blaupause für „so gehts vermutlich noch“ verflixt gut durch und darf deswegen hier als Beispiel dienen.


Ach ja, Tagebuchblog: Nichts nennenswertes. Der letzte unangenehm größere Batzen Arbeit ist vom Schreibtisch zur Kundin geglitten und jetzt stehen nur noch ein paar Zooms und zwei oder drei Kleinigkeiten an. So wie die Arbeit aus dem Blick glitt, nahm eine gewisse Entspannung und ein Vor-Ferien-Gefühl den Platz ein. I liked that.
Mal sehen, was morgen hier noch so explodiert.
Ich Unke, ich.

Einen Bass leiser gemacht. Als ich’s mir in „heute lernen die Nachbarn meine Musik kennen“–Lautstärke anhörte wars dann doch etwas heftig untenrum.
It’s gonna be awesome.

Sie haben Fragen? Sie wünschen sich ein Thema, über das ich mal bloggen soll?
Schreiben Sie’s auf!

Alle bisherigen Antworten finden Sie übrigens hier.

5 Kommentare

  1. Stimme in jedem Punkt zu! Für mich außerdem wichtig: Auch wenn es kein ausgesprochenes Konzeptalbum ist, wo musikalische und textliche Ideen über mehrere Stücke hinweg verwoben werden, ineinander übergehen, wieder aufgegriffen werden usw., so folgt ein gutes Album trotzdem immer einer Dramaturgie im Ablauf von schnellen und langsamen Stücken, verschiedenen Emotionen, Lautstärken, Instrumentierungen usw. (Kann man z. B. hervorragend an Peter’s „i/o“-Album studieren.) Die Reihenfolge gibt den Songs eine zusätzliche Bedeutung und Beziehung untereinander (kommt z. B. der aufrüttelnde Schocker zuerst und danach der tröstliche Seelenstreichler oder umgekehrt?), und auf diesen Bogen und die zusätzliche Ebene verzichte ich, wenn ich nur eine Liste von Einzelsongs raushaue bzw. als Hörer*in alles auf Shuffle höre.

  2. Ich bin hauptsächlich im Konzertfeld um die 200 Leute (und kleiner) unterwegs und stimme in vielem zu. Das Problem, das ich sehe, ist aber vor allem, dass viele Bands nur noch durch Konzerte/Tourneen/dortige Merchverkäufe Geld verdienen können und daher viel häufiger touren. Carnivore AD waren im November bereits zum 3. Mal dieses Jahr in Europa. Jedes Mal toll, die eingefleischten Fans freuen sich, aber es nutzt sich etwas ab. Es kommen weniger Leute und wer etwas kaufen wollte, hat das beim letzten Mal schon getan und kauft jetzt nicht nochmal (bzw. gibt es auch kein neues/anderes Merch als beim letzten Mal).
    Wenn man das Geld, die Zeit und die Energie dazu hätte, könnte man jede Woche auf mindestens ein Konzert namhafter Bands gehen. Für Nachwuchs und ganz undergroundigen Underground bleibt umso weniger übrig. Diese Übersättigung der Kundschaft wird vielen Musikern das Genick brechen.

  3. Noch mehr Nerd-Wissen: Bei Dr. Pop lernte ich letztens, dass zu Schellack-Zeiten Alben tatsächlich noch Alben waren, also ähnlich wie Briefmarken- oder Fotoalben, nur mit Plattenhüllen zwischen den Pappdeckeln:
    https://www.youtube.com/shorts/nRpsxsDx-u4
    Wie das da allerdings mit der Reihenfolge der Songs war, ob die wenigstens irgendwo notiert war, oder es doch eher eine Ansammlung an Songs war, die halt gerade fertig geworden war, ergibt sich aus dem Video leider nicht.

  4. Weil ich nicht ganz sicher bin-welchen Geiger meinen Sie denn? Den belgischen etwas älteren mit dem Orchester? Oder den mit dem amerikanisch klingenden Namen?Der erste schafft es ja ein eigenes Orchester zu finanzieren, was ich auch beachtlich finde.
    viele Gruesse
    Rina

    1. Oh Entschuldigung, der Kommentar ist mir doch glatt durchgegangen. Nein nein, ich meine den mit dem amerikanisch klingenden Namen und bin beindruckt, denn dem konnte man in den letzten Wochen doch nur mit total nicht vorhandenem Fernsehkonsum entgehen :)

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