15.3.2023 – Baby, baby, baby

Erst mit Kopfweh aufgewacht und nachdem ich gestern sogar Fieber hatte, wollte ich schon Sorgen haben – stattdessen erstmal mit Aspirin und nochmal Schlafen probiert und das half.
Dann sofort in die Stadt, ich hatte eine Unterschrift auf einem wichtigen, wichtigen Vertragdingsi vergessen und auf einmal wird mein gesamter Zeitplan eng. Beim Verlassen der Bank rennt jemand mit gesenktem Kopf direkt auf mich, da ich gerade in der Tür bin, kann ich auch nicht gut ausweichen – aber er bleibt direkt vor mir stehen, schaut hoch, guckt erschrocken und ruft „Das ist doch alles kompletter Blödsinn!“, dreht sich um und rennt wieder weg.
Ich konnte das gut fühlen, wie man heute so sagt.

Dann Vitamine, denn Saft schafft Kraft! (Na, sind Sie alt genug sich zu erinnern, woher dieser blöde Spruch kommt und wie empörend er war?)
Ja, das war jetzt vollkommen unwichtig, aber ich wollte so gerne auch einmal instagrammable Fotos posten – denn manchmal, da tut mir diese Ästhetik gut: Richte ein paar gesunde Dinge schön aus und mach ein Bild und die Welt ist ok. Sogar, wenn Dich daneben ein überquellender Müll daran erinnert, dass Du zum dritten mal die Stadt anrufen muss, um endlich Ersatz für die geklaute Mülltonne zu bekommen.

Am Schreibtisch beginnt jetzt offensichtlich die Phase, wo mir die vergessenen Dinge der erste Wochen des Jahres auf die Füße fallen. Es ist so schön, wenn für alle anderen Corona vollkommen vorbei ist und man selbst dann damit argumentieren muss. Nicht.

Höchstens zweimal die Stunde aktualisiere ich mein Polestar-Konto, um zu sehen, ob die Bestellung den Status geändert hat und ein Übergabedatum aufgetaucht ist. Höchstens zweimal die Stunde hat sich nichts geändert.

Zeugs

Weiter geguckt: Daisy Jones And The Six. Bin von meiner ersten Wertung „beginnt ganz gut“ vor drei Tagen zu einer kritiklosen, schmetterlingsbauchigen Verliebtheit gewechselt, wenn ich nicht gucke, läuft der Soundtrack im Kreis und macht mich tanzen und breit grinsen und im Kopf am Pazifik entlang cruisen. Jetzt schon Angst, dass es das Merkmal von Serien ist, dass sie zu Ende gehen.
Die Musik des Tages also folgerichtig:

Hier klicken, um den Inhalt von YouTube anzuzeigen.
Erfahre mehr in der Datenschutzerklärung von YouTube.


Wie immer am Ende ihrer Alltags-Dokumentation fand ich bei der Frau Kaltmamsell einen Hinweis auf einen Text, der mich sehr beeindruckt hat – Ein Essay über den Rassismus alter linker Männer. Wenn Sie heute einen langen Text lesen wollen, dann lesen Sie den:

Außer wenn jemand im hohen Alter oder wegen einer Geisteskrankheit den Verstand verliert, hören wir oft nicht, was die Linken wirklich denken. Wir nehmen, da es viele Beispiele für unverhältnismäßige Repräsentation gibt, an, dass das liberale Patriarchat rassistisch und sexistisch sei. Aber wir haben keinen Beweis dafür, weil die meisten Männer in Machtpositionen (und es sind fast immer Männer) schlau genug sind, sich nicht zu outen
[…]
Das Problem mit der 1960er-/1970er-Generation der Linken besteht darin, dass es damals sehr leicht war, radikal zu sein: mit dem Geld der Eltern um die Welt zu reisen, kulturelle Artefakte aus den entlegensten Orten zu sammeln und nach einem halben Jahrzehnt des Kiffens und Haare-wachsen-Lassens in gut bezahlte Jobs zurückzukehren und jene Artefakte an die Wände ihrer teuren Häuser zu hängen, als Erinnerung daran, dass man früher einmal wirklich radikal war.
[…]
Aber anders als die Generation, die den Zweiten Weltkrieg überlebt hatte, die der Radikalismus ihrer Kinder in den 1960er- und 1970er-Jahren empört hatte, will die jetzige Generation der „weisen Alten“ nicht zugeben, dass sie in der Vergangenheit lebt. Sie geht davon aus, dass sie das Rad neu erfunden habe und dass die Revolution in ihrem Namen erfolgreich über die Bühne gegangen war. Jede weitere Innovation ist für sie nicht nur unergiebig, sondern beleidigend. Wenigstens hielten unsere Großeltern stoisch an ihrem Konservativismus fest. Sie feierten ihn als altbewährtes Prinzip. Man wusste, woran man mit ihnen war. Unsere Eltern und ihre Kumpels sind absolut davon überzeugt, dass sie ihre Finger noch immer am Puls der Zeit haben. Und wer etwas anderes behauptet ist in ihren Augen ein Scharlatan.
[…]
So funktioniert das Patriarchat. Es ist charmant, einladend; wickelt dich ein in Gefühle deines Selbstwerts. Solange du das Urgestein seiner Existenz nicht hinterfragst. Tust du es doch, wendet sich das Blatt sehr schnell. Denn das Patriarchat hatte schon immer Angst, tat seit seinen Anfängen so, als ob ihm ständig die Auslöschung drohe.

profil.at: Bring mich doch gleich um. Ein Essay von Simon Stone

Entgegen einem weit verbreiteten Missverständnis ist Digitalisierung an Schulen ja nicht, Tafeln ab- und Whiteboards aufzuhängen, sondern Kompetenzen zu vermitteln, die den Dingen entsprechen, die uns auf diesen neumodischen Bildschirmen dann begegnen. Das ist schwer, denn es bedeutet auch, sich mit den eigenen Sichtweisen und Werten auseinanderzusetzen, vielleicht zu bemerken, dass die Welt sich weiter gedreht hat oder sogar zu sehen, was man vorher gut ausblenden konnte. Ich persönlich verweigere ja übrigens Unterhaltungen im Bekanntenkreis zu dem Thema inzwischen, denn meist beginnen sie mit „wie können wir dies kontrollieren“ oder „vor jenem schützen“. Und Volker hat da auch was gefunden:

Ein Gymnasium am Niederrhein schickt einen Brief an die Eltern, der exemplarisch zeigt, wie Schulen heutzutage Kindern Medienkompetenz beibringen: Nicht so wirklich.
[Meinungen zu einem Brief der Schule, in der die ein Handyverbot ankündigt]:
»Ich finde es sehr gut! Wir hatten früher überhaupt keine Handys. In den Pausen starren nun alle nur dumm auf ihr Handy anstatt sich zu unterhalten oder spazieren zu gehen.«
»Welchen Sinn haben Handies auf dem Schulhof überhaupt?«

Volker König: Schule vs. Digitalisierung

Oben schrieb ich ja „Es ist so schön, wenn für alle anderen Corona vollkommen vorbei ist und man selbst dann damit argumentieren muss. Nicht.“ Und dafür gibts mehrere Gründe – einmal den Unglauben, dem man ausgesetzt ist, aber auch, dass man mit Corona-Symptomen länger als 4 Tage Grippe sofort in eine Schublade rutscht. Eine Schublade, mit viel Mitleid die gar nicht unbedingt passt – ebenso wie übrigens mit psychischen Krankheiten, oder mit einer Behinderung; der Mechanismus ist ähnlich, wie ich beim Lesen von Raul Krauthausens Artikel begriff:

Ich werde die Vermutung nicht los, dass mancher Blick zwischen Bedauern und Bemitleiden, der mich auf der Straße trifft, etwas mit dem Rollstuhl und meiner Körpergröße zu tun hat. Finden Passant*innen diese Dinge etwa traurig? Mir geht es doch gar nicht schlecht und griesgrämig fahre ich auch nicht umher.
[…] welch ein Zwiespalt sich in den Wahrnehmungen auftut: Auf der einen Seite die Realität eines Lebens mit Behinderung und andererseits der Blick von außen darauf. Der geht nämlich strukturell davon aus, dass mein Leben viel weniger lebenswert wäre, als ich es selbst empfinde.

Raul Krauthausen: Warum wir Amateure im Einschätzen sind: Das Behinderungs-Paradoxon

Noch einmal zurück zu etwas, was ich oben schrieb: Instagrammable Fotos: Seien Sie vorsichtig, was Sie fotografieren:

Eine Deutsche vermietet eine Ferienwohnung. Fotos davon stellt sie online. Im Bildhintergrund pickt Tapete an einer Wand. Auf der Tapete ist unter anderem eine Tulpe aufgemalt. Und das macht die Vermieterin zur Rechtsbrecherin. Denn die Tulpenmalerei ist einem Foto nachgeahmt. Dessen Fotograf hat den Abdruck auf der Tapete zwar genehmigt, nicht aber die Vervielfältigung der Abbildung durch die Ferienwohnungsvermieterin. Für sie wird das richtig teuer.

heise.de: Foto von Fototapete verletzt Urheberrecht des Fototapeten-Fotografen

Sie haben Fragen? Sie wünschen sich ein Thema, über das ich mal bloggen soll?
Schreiben Sie’s auf!

Die Website setzt 1 notwendiges Cookie. Ich nutze Matomo, um zu sehen, welche Artikel Sie interessieren. Matomo ist lokal installiert es werden keine Cookies gesetzt, so dass Sie dort vollkommen anonym bleiben. Externe Dienste werden erst auf Ihre Anforderung genutzt.