Ich möchte kurz etwas festhalten, was heute in den Medien passierte. Nicht, weil es großen Nachrichtenwert hat, sondern weil ich mich erinnern möchte.
Angesichts des Anstiegs der Corona-Fälle hatte Gesundheitsminister Lauterbach erneut vor der Gefahr des Erregers gewarnt. Kassenärzte-Chef Gassen sagte nun in einem Interview, diese Appelle seien in der Dringlichkeit überzogen.
tagesschau.de
Der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen, hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach unverhältnismäßige Appelle angesichts der aktuellen Corona-Lage vorgeworfen.
„Karl Lauterbach kann nicht aus seiner Haut. Ich halte seine Warnungen und Appelle in der Dringlichkeit für überzogen. Wir haben schließlich keine pandemische Lage mehr“, sagte Gassen der „Rheinischen Post“.
Grob zusammengefasst: Der Chef der kassenärztlichen Vereinigung findet, man solle sich nicht so anstellen wegen dieses Corona.
Aufgaben der kassenärztlichen Vereinigungen sind übrigens …
[…] die Sicherstellung der flächendeckenden ambulanten ärztlichen, psychotherapeutischen und zahnärztlichen Versorgung […], die Vertretung der Rechte ihrer Mitglieder gegenüber den Krankenkassen […], die Überwachung der Erfüllung der den Vertragsärzten obliegenden Pflichten […] sowie die Honorarverteilung an die Vertrags(zahn)ärzte und Psychotherapeuten […].
aus der wikipedia,
(Ich habe jeweils die Paragraphen rausgekürzt, um die Lesbarkeit zu verbessern)
Grob zusammengefasst: Die KVen sind eine Organisation, die sich um die flächendeckende Versorgung mit Praxen, um rechtliches und um Abrechnungen kümmert. Orga halt, eher nicht fachliches, aber wer will kleinlich sein.
Werfen wir mal einen Blick auf die letzte zuverlässige Quelle auf der Suche nach der aktuellen Verbreitung des Virus (nachdem nichts mehr diagnostiziert oder gemeldet werden muss):
Die Viruslast im Abwasser ist von der letzten zu dieser Woche um 54% gestiegen und damit auf einem all-time-high seit Messbeginn.
Sieht diese Kurve da am Ende etwa aus wie damals diese … diese … Dings? Diese Wellen? Naja, das kann doch nicht sein, wir „haben schließlich keine pandemische Lage mehr“. Sagt der Chef des Abrechnungsverbandes.
Und das, das beleidigt mich fast am meisten. Dass es allen egal ist, dass je nach Quelle zwischen zehn und dreißig Prozent der Erkrankten Long-Covid-Symptome entwickeln – geschenkt. Dass jeder Bürokrat oder Hobby-Pferdedoktor seine Meinung kund tun darf, ohne dass seine Expertise eingeordnet wird auch. Ich habe mich daran gewöhnt und habe meine Position gegenüber Menschen, Behörden und Politik entsprechend feinjustiert.
Aber dass so ein Satz es schafft, in das größte deutsche Nachrichten-Medium zu kommen, ohne dass das eingeordnet wird, das erschrickt mich. Ich meine, Sie sehen das doch auch, oder?
„Pandemische Lage“ ist die menschliche Einordnung einer Situation. Ein Name für eine Situation. Eine Bennenung. Es gibt soundso viele Fälle, ab dann nennen wir es Pandemie – da gibt (oder gab?) es Regeln für – aber auf jeden Fall: Man-made Kriterien, man-made Wort.
Und das bedeutet: der Mann sagt: Die Situation ist doch gar nicht schlimm, schließlich nennen wir sie nicht mehr schlimm.
Nennen Sie mich naiv, aber das hinterlässt mich etwas leer guckend.
Aber wir wären ja nicht Deutschland, das Land der Ingenieur und guten Spaltmaße, das Land der stolz verfallen-gelassenen Überstunden, wenn nicht irgendwann dann doch mal jemand mahnen würde. Dass es ausgerechnet das Manager Magazin sein würde, kam zuerst etwas überraschend. Macht dann aber sehr viel Sinn in einem Land, das nicht mehr Mitarbeiterinnen, sondern human ressources hat:
Viele Unternehmen ignorieren das massive Long-Covid-Risiko. Das kann sich rächen. Dabei ließen sich Betriebe mit einigen wenigen Maßnahmen weitgehend coronasicher gestalten. Ein Plädoyer für mehr Prävention.
[…] was ein interdisziplinäres Team des Universitätsklinikums Jena da aus einer Studie mit 40 Long-Covid-Patientinnen und -Patienten berichtete, sollte Arbeitgebenden eigentlich den Schweiß auf die Stirn treiben. Denn die Wissenschaftler stellten fest, dass die Corona-Infektion die kognitive Leistungsfähigkeit von Betroffenen erheblich verringert: Die Probanden verarbeiteten visuelle Informationen langsamer und fühlten sich schneller erschöpft als die gleich große Kontrollgruppe.
Ach was. Blicke ich auf die erste Jahreshälfte 23 kann ich das bestätigen. Und ich habe da sehr viel Glück gehabt – blicken wir zu Frau Mutti und Margarete Stokowski um mal zwei beliebige weitere mir bekannte Opfer, dann geht das alles schlimmer. Und dann tatsächlich: Eine Eiordnung! Später (ganz lesen lohnt) Ideen!
Zu Beginn der Pandemie war es ein oft gehörter Satz: „There is no glory in prevention.“ Womit man sagen wollte: Wenn Präventionsmaßnahmen wirken, gibt es dafür keinen Applaus. Die Menschen bleiben gesund, die befürchtete Krankheitswelle rollt erst gar nicht an. Für Unternehmen – so viel wissen wir heute – müsste dieser Satz umgeschrieben werden: „There is money in prevention.“ Denn wer jetzt einen mittleren Betrag in Schutzmaßnahmen investiert, kann damit langfristig hohe Summen sparen.
Beide Britta Domke im Manager-Magazin:
[…] Professor für Gesundheitsökonomie an der Frankfurt School of Finance & Management geht in seiner Untersuchung zu den volkswirtschaftlichen Kosten von Long Covid in Deutschland von 84 Tagen Arbeitsunfähigkeit pro Person und einem Produktionsverlust von 124 Euro pro Tag aus […]. Dadurch summiere sich der jährliche Produktionsverlust allein für Unternehmen in Deutschland auf 3,4 Milliarden Euro. […] Da Gandjour allerdings Daten aus dem Jahr 2021 nutzt und die Zahl der Long-Covid-Fälle seitdem weiter gestiegen ist, dürften seine Berechnungen eher zu niedrig ausfallen.
Was Unternehmen gegen Long Covid tun können
Stellen Sie sich jetzt hier bitte einen von diesen Achsel-zuckenden Emojis vor; mein Kopf ist nämlich jetzt schon von meiner normalen Bronchitis vollkommen dulle und eigentlich wissen Sie ja den Schluss aus all dem eh.
Nur eins: dass einer der umfassendsten und vernünftigsten Artikel über unseren aktuelle Stand zur Pandemie* ausgerechnet vom Manager Magazin kommen muss, das ist spooky.
*) Ups. jetzt hab ich’s so genannt.
Sie mögen das, wenn ich auch mal aus dem täglichen Alltags-Einerlei ausbreche und über Gott und die Welt nachdenke? Hier steht eine virtuelle Kaffeekasse!
Oder – wenn Ihnen Geld zu unpersönlich ist – hier ist meine Wishlist.
„Ich meine, Sie sehen das doch auch, oder?“ Na klar. Ist ja auch schwer zu übersehen.
Ich kämpfe gerade in der vierten Woche mit den Corona-Symptomen – ist das erste Mal – und das reicht mir als Selbstständige schon völlig aus an Geld- und Produktivitätsverlust, vom kranken Gefühl ganz zu schweigen. Und das ist bisher ja noch nicht mal eine besonders schlimmer Verlauf. Das kann ja ganz anders aussehen. Und ich weiß genau, warum ich weiterhin sehr viel versuchen werde, weitere Infektionen zu umgehen – wie bereits durchgehend seit 2020.