Wissen Sie, eigentlich kann ich dieses „endlich wieder“ gar nicht so gut hören, vor allem in der Häufung. Jede zweite Werbung, jeder Kommentar eines Menschen auf der Straße, dem man ein Mikro ins Gesicht hält, jeder zweite Instagramm-Post stimmt ein mit in diesen Seufzer.
Und natürlich versteh ich das, ich möchte auch endlich wieder – aber anders herum nährt das so sehr dieses Framing, dass uns irgendetwas von dem (Kneipe? Urlaub? Eimersaufen? Theater?) in irgendeiner Art und Weise zustände.
Und es blendet so sehr aus, was wir getan und geschafft haben mit unserem Verzicht – nämlich Menschenleben zu retten und (aktuell) eine Pandemie auf (heute hier im Kaff) null Fälle nieder zu ringen. Mir fehlt einfach die positive Wertung der letzten 15 Monate. Nun denn.
Nach diesem schwer-moralischen Einstieg jetzt eine kleine Herausforderung an unsere Ambiguitätstoleranz: Wir waren heute endlich mal wieder im Museum.
Eigentlich hatten wir in den Garten gewollt, aber als die Liebste den ersten Fuß auf den Rasen setzte, bekam sie auch den ersten Tropfen ab. Und dann überlegten wir, was wir denn heute mal tun könnten. Erinnerten uns, dass das Folkwang Museum in Essen sowohl wieder auf als auch ein plausibles Hygienekonzept hatte, buchten uns einen Zeitslot und fuhren los.
Wir teilten uns die 16.000m² Ausstellungsfläche mit ca 20 anderen Besucherinnen und nochmal 20 Menschen in Museumsuniformen und das war sehr überschaubar. Und es war wirklich sehr, sehr schön, mal wieder Bilder zu sehen, einen neuen Franz Marc kennen zu lernen und überhaupt: Etwas anderes als die bekannten Wanderwege vor den Augen zu haben.
Außerdem war es so ungewohnt und anstrengend, dass wir beide nach einer knappen Stunde gen Ausgang strebten. Und dann haben wir noch was ganz wildes gemacht und haben uns ins vors Museumscafé gesetzt und einen Kaffee getrunken. Da waren wir dann komplett alleine.
Vielleicht doch ganz klug, wenn man sich nicht an Sangria, sondern an Kunst betrinkt.
Wieder zu Hause dann noch fix den Rasen gemäht, mich am bezogenen Bienenhotel erfreut und jetzt Fuppes. Ja, wir sind EM- und WM-Gucker.
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Danke für die Überlegungen zum „endlich wieder“. Nein, es steht uns nicht zu, und ich höre das „Endlich wieder“ nur in den Medien. Bei den armen Menschen, denen ich täglich begegne, gibt es – außer den Einkaufmöglichkeiten im Einzelhandel ohne Test – noch kein Endlich wieder. Bei den Essensausgabestellen gibt es nach wie vor Essenspakete und keine Möglichkeit zum Hinsetzen. Die Tagesaufenthalte sind – wenn überhaupt – „auf kleiner Flamme“ geöffnet. Stadtteilbibliotheken bieten Ausleihe an, aber keine Lesesaalnutzung und Internetnutzung nur unter Bedingungen, die arme Menschen nicht erbringen können … Einzige mir bekannte Ausnahme: Das Dusch-Mobil für wohnsitzlose Frauen von Evas Haltestelle ist seit letzter Woche wieder unterwegs und in der Thomaskirche gibt’s mittwochs am Mittag Orgelkonzert für alle – unter Pandemiebedingungen „Orgelandacht“ genannt.
Ja, dieses „Endlich wieder!“ wird allzuoft verwendet. ‚Nach all den Entbehrungen (!) nun endlich wieder“ heisst es auch sehr gerne.
Den fast 90.000 Toten ist offenbar mit der nationalen Gedenkfeier genüge getan.
Und dass viele in diesem Sommertaumel garnicht dabei sind, weil finanzielle Regelsätze ihren Alltag bestimmen, dass kommt in der allgemeinen Happiness eher am Rande vor. Man liebt den Weichzeichner und vergisst (verdrängt?) so schnell.
Museum: letzten Montag kurzentschlossen nach Köln zur Andy Warhol Ausstellung. Hatte dort ähnliche Erlebnisse wie Du in Essen; dass tat auch meiner Seele gut. Und anschließend draussen gesessen, nebenan bei Milchkaffee, schönem Wetter im „Ludwig am Museum“. Ein Tag, von dem sich zehren lässt. ☘
Pandemiezeit ist eben auch Lebenszeit, klar.
Ich konnte „ganz normal“ weiterarbeiten, nix mit Homeoffice und dank erwachsener Kinder auch nix mit Homeschooling. Keine unmittelbaren, existenziellen Sorgen für mich.
Trotzdem bin ich froh, nicht mehr bangen zu müssen um die eine oder andere kulturelle Einrichtung in meiner Hood – weil sie „endlich wieder“ am Start sind, weil sie überlebt haben.
Trotzdem bin ich froh, „endlich wieder“ die örtlichen Saunatempel aufsuchen zu können für ein Auftanken zwischendurch.
Trotzdem bin ich froh, „endlich wieder“ Leben in den Straßen zu sehen.