11.8.2020 – thoughtrain or no throughtrain. That should be no question

Schlecht geschlafen. Zu heiß. (Ach was).
Aber im Ernst, das sind jetzt die Temperaturen bei denen mein Körper zum Ausdruck bringt, dass er an den Grenzen seiner Betriebstoleranzen unterwegs ist.

Den Tag begonnen mit der Erinnerung an heute vor dreiundzwanzig Jahren. Also: An den Abend, heute vor dreiundzwanzig Jahren. Ein Abend mit den allerbesten Folgen, die ich mir je hätte ausmalen können.
Dummerweise ist es sogar zu heiß für irgendeine Form von angemessenem Feiern. Oder sogar unangemessen kleinem Feiern. Vielleicht holen wir uns ein Eis?

Mit einer Kundin telefoniert und in einem freundlichen Gespräch ohne jeden Ratschlag die Folgen des gekippten Privacy-Shield-Abkommens besprochen. Ratlosigkeit auf beiden Seiten.
Mit dem Anwalt des Vertrauens telefoniert und Detailfragen geklärt. Und nochmal nachgefragt, ob ich richtig verstehe, dass im Endeffekt das halbe Internet wie wir es kennen abgestellt werden müsste, wenn wir uns nicht alle in Grauzonen bewegen wollen.

Pixel geschoben. Ich hatte ja letztens mit Farben gespielt und jetzt entsteht daraus gerade ein Layout und das macht viel Freude. Bei der Gelegenheit bemerkt, dass der Betrieb von Websites und dem was dranhängt inzwischen so umfangreich geworden ist, dass ich meine Zeit teilweise nur mit dem Beantworten von Nachfragen und Detailänderungen verbringen könnte – ohne richtig mal einen Block Zeit für das Entwickeln neuer Projekte zu finden. Was sich aber weder lohnt noch Spaß macht. Ich muss nachdenken.


Den gestrigen Abend Revue passieren lassen. Für diejenigen, die mir nicht auf Twitter folgen – es geschah folgendes:
Ich schrieb, schon vor ein paar Tagen, dass ich trotz Hitze gerade auf einem Wärmekissen liege, da mein Nacken im Auto Zug bekommen hatte. Nein, „im Auto“ hatte ich nicht erwähnt – ist ja auch egal, macht die folgende Geschichte aber irgendwie noch seltsamer.
Dann bemerkte ich, dass jemand mir unbekanntes (für mich sinnlos) antwortete und dabei einen uns allen bekannten Wetterexperten mit einer Mention erwähnte. Und dass dieser Wetterexperte sich tatsächlich auch einmischte und einen Artikel verlinkte, den er mal irgendwo veröffentlicht hatte und in dem er die Existenz von Durchzug bezweifelt.

Zwischenstand.
Halten wir fest: Irgendwer (ich) benutzt, während er erwähnt, dass es ihm gerade nicht so dolle geht, das Wort „Zug“. Ein vollkommen unbekannter random dude sieht das und weist einen (erfolgreichen Unternehmer mit nahezu Promi-Status aber ebenso random) darauf hin und der ruft tatsächlich, mit Link auf einen eigenen Artikel als Beweis: „Du hast nicht Recht!“
Tut mir leid, das kann ich keinem Menschen außerhalb von Twitter erklären.
Zwischenstand Ende.

Ich bedankte mich also – für Menschen mit funktionierendem Sarkasmus-Detektor – etwas zu überschwenglich für die Belehrung und erwähnte, ich würde es meinem Auto ausrichten, dass es bei offenem Fenster keinen Zug im Auto produzieren dürfe, da es den ja nicht gäbe.
Mr Wetterman antwortete etwas, dessen Sinn sich mir nicht erschloss.
Ich fragte nach, ob diese Unterhaltung gerade wirklich stattfinde und Mr Wetterman antwortete etwas, was manche meiner Bekannten als Beleidigung deuteten.
Ich verabschiedete mich höflich, blockte Mr Wettermann und seine Follower und schrieb einen launigen Tweet über die Absurdität dieser Situation und dass ich sie irgendwie für symptomatisch für Twitter halte.
Das hätte ich nicht tun sollen, denn jetzt wurden andere darauf aufmerksam. Sie sprangen mir bei oder mich an, Wetterman wurde immer herablassender und beleidigender (hab ich mir sagen lassen, ich seh ihn ja nicht mehr). Wieder andere erklärten, dass es Zug doch gibt / dass es wirklich keinen Zug gibt oder berichteten von ihren hervorragenden / schlechten Erfahrungen im Zug. Oder vor Ventilatoren und jetzt mal im Ernst: What. The. Fuck.
Das kann ich endgültig keinem Menschen mehr erklären.

Mich interessieren ja bei allem was Menschen tun die Beweggründe.
Was bringt also einen random dude* dazu, den Tweet eines ihm unbekannten an den Entwickler und Verfechter der „Durchzug ist ein deutsches Myth“-These zu „melden“?
Was bringt einen Unternehmer dazu, bei einem random dude* die ungeheuer wichtige Wahrheit darüber, dass es keinen Durchzug gibt, zu teilen und angepisst zu reagieren wenn sein Wissen nicht auf 100%ige Zustimmung stößt?

Ich fang mal vorne an: Wenn jemand erwähnt, dass es ihm nicht toll geht gibt es imho exakt eine Möglichkeit der Reaktion: „Oh, das tut mir leid. Ich wünsche Dir, dass es besser wird
Online ist es noch praktischer: Man kann einfach schweigen, vor allem, wenn man diejenige gar nicht so richtig kennt.

Zweitens: Wenn ich mitbekomme, dass jemand irgendwo irgendwas sagt – dann kann(!) ich das als Anlass nehmen, in ein Gespräch einzusteigen. Höflich und respektvoll, so wie wir alle gern behandelt werden möchten. Vielleicht mit so einem Intro wie: „Entschuldigen Sie, wenn ich mich einmische, ich kam nicht umhin Ihr Gespräch zu hören …
Es gibt auch sicher Formulierungen, gerade in 280 Zeichen, die von sich aus nach Rückmeldung fragen, aber hey, wir sprechen über eine steifen Nacken und Durchzug???

Nennt mich altmodisch, aber so lange nicht jemand dazu aufruft, zu morden und zu brandschatzen oder jemanden beleidigt oder persönlich angreift, sehe ich keinen Grund, eine Überzeugungsdiskussion zu starten. Und was zum Teufel bringt es, sich vor jemanden zu stellen und zu rufen „Du hast aber nicht Recht“? Ich verstehe es nicht.

Ich meine: Ja, es gibt ein paar Themen, die nicht diskutierbar sind, wenn wir als Menschen zusammen leben wollen.
Aber bei den gängigen drölfzig Millionen Alltagsthemen kann die Welt doch gut damit leben, dass die einen mit Apple, die anderen mit Android, die einen mit Star Wars, die anderen mit Star Trek und die einem mit und die anderen ohne Durchzug leben.

Irgendwo sah ich mal eine Liste mit Fragen, die man sich selbst stellen könnte, bevor man auf „Antworten“ klickt, und es waren so Fragen wie „Hilft es dem ursprünglichen Autor?“ oder „Ist es allgemein nützlich?

Während ich tippe, erinnere ich mich daran, dass ich eine solche Diskussion aus Interesse mal bis zum Ende durchgezogen habe. Meine „Gesprächspartnerin“ fand, wie sich herausstellte, nicht mal meine Meinung sonderlich falsch, sondern befand, dass ich nichts zu einem Thema sagen dürfe – also als nicht betroffener (falsche Annahme) und als Mann (wohl richtig).
Sie beleidigte mich als erstes, holte mit einem zu dem Zeitpunkt hochgradig umkämpften Hashtag erstmal Beobachterinnen und potentielle Untersützung in die Diskussion – und ich wollte gerne einmal ausprobieren, ob Mann eine so aufgeladene Unterhaltung gesund überleben kann, wenn man auf die Provokationen nicht eingeht, sondern einfach konsequent freundlich bleibt und offene, interessierte Fragen stellt.
Nach ca. zwei nicht immer einfachen Stunden kamen wir zu einem friedlichen Ende und ich fragte sie abschließend, ob sie auch außerhalb von Twitter so Unterhaltungen beginne. Sie sagte sinngemäß: „Klar, Twitter ist wie eine Straßenbahn. Man setzt sich mal zueinander, streitet ein bischen und dann geht man wieder auseinander
Gut, ich bin länger keine Straßenbahn mehr gefahren aber kurz vorher hatte ich noch bei Twitter gelernt, was für eine unfassbare Unverschämtheit ist, jemand Fremdes im öffentlichen Raum überhaupt anzusprechen – und so war ich leicht verwundet. Aber nun.

An dieser Stelle ist jetzt ein schöner Punkt, um einen Schnitt zu machen. Ich werde die Beweggründe und das, was sich Menschen von so einem Verhalten erhoffen wohl nicht mehr verstehen.

Aber ich möchte noch drei Dinge mit in diesem Zusammenhang erwähnen:

  • Zum einen die Überlegung ob das, was „Coronakritiker“, neue Rechte, Pegida und alle anderen Ausprägungen der Wutbürgerschaft auf der Straße tun nicht exakt das selbe ist: Der unbedingte Glaube daran, dass mein! Wille! und meine Meinung! jetzt! sofort! nicht nur wahrgenommen, sondern auch umgesetzt! gehört!
  • Zweitens diesen Artikel heute bei Kiki – vor allem der Teil so ab dem siebten Absatz – der eigentlich das gleiche Problem und nur ein anderes Symptom beschreibt.
  • Und drittens die Erzählungen der Liebsten aus der Schule davon, wie sie alle vier Jahre den neuen Erstklässlerinnen beibringen muss, dass man z.B. mal auf andere warten muss. Dass sie morgen wieder kommen müssen, auch wenn sie es heute nicht so dolle fanden. Dass sie die Klasse nicht verlassen dürfen, auch wenn es gerade langweilig ist. Dass die andere auch ein Recht hat auszureden. Dass es überhaupt andere Menschen als sich selbst gibt und die nicht nur dazu da sind, sofort die eigenen Bedürfnisse zu stillen.
    Das hätten viele wohl vorher nicht gewusst und sie sagt, es werden jedes Jahr mehr.

Ach ja, mir ist die Ironie natürlich bewusst, dass ich random dude* meine Meinung hier ungefragt ins Internet schreibe.

*) „random dude“ ist übrigens ein Ausdruck von Rezo, der sich damit (kurzgefasst) emotional Hater vom Gemüt hält.

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