Im Städtchen hat ein Jugendlicher einen jüngeren Jugendlichen erstochen und einen zweiten verletzt. Abgesehen von meinem tiefen Mitleid mit allen Beteiligten und deren Angehörigen schießen mir zu viele Gedanken durch den Kopf.
Sie werden davon vermutlich nicht gelesen haben, denn es war ein deutscher Jugendlicher. Oder Sie werden davon gelesen haben, denn missverständlicherweise trägt er einen Namen, den man gut für nicht biodeutsch halten kann. Schon dieser Gedanke macht mich wahnsinnig.
Spontane Gedanken an Adolescence, die Erinnerungen an die Serie sind zu frisch.
Verstehen, warum Käffer wie dieses tagelang so steil gehen, wenn so etwas passiert – wenn man keinen der direkt Beteiligten nicht sogar persönlich kannte, dann doch mindestens jemanden, der einen kennt. Und spätestens mit der Formulierung „jemand, der jemand kennt, der jemand persönlich kannte“ haben wir endgültig garantiert das ganze Städtchen abgedeckt. Selbst ich, der hier im Kaff wirklich wenig Bezüge hat, kenne den Täter mit nur einer Person dazwischen.
Die Liebste hat sich in die Untiefen der örtlichen facebook-Gruppe gewagt. Man ist sich dort größtenteils einig: Das war kaltblütiger Mord, der gehört weggeschlossen bis er verreckt oder gleich an die Wand, aber diese Kuschelpädagogik wird ja wieder nix tun und am Ende fährt dann irgendwer mit ihn Delfine kuscheln. Aber was hat der jüngere denn auch abends noch draußen gemacht? Die Eltern gehören auch weggeschlossen. Und bevor die 2015 hier alle ankamen wäre so etwas nie passiert.
Manche wissen mehr und haben gehört, dass der mit siebzehn gerade versuchte, seinen Schulabschluss woanders nachzuholen – am besten gleich alle, die so sind, wegsperren.
So furchtbar ich diese Sätze finde, sehe ich sie als Folge einer Gesellschaft, in der wir alle seit Dekaden alleine gelassen werden. Schon vor zwei Jahren waren zum Jahresende noch 20% der Verfahren offen, weil die Justiz so überlastet war* und aus der Bild kennen wir ja alle, dass die besonders schlimmen Fälle mit Einzelbetreuung und Campingnach Schweden belohnt werden, jaja. „Ich kann mir kein Camping in Schweden leisten, muss ich wohl erst die Schule anzünden haha!“
Es müsste so vieles, es müssten diese Kinder besser betreut werden, es müsste vielleicht doch wieder mehr Sozialarbeiter im Städtchen geben und mehr Inklusions-fortgebildete Lehrkräfte an den Schulen sowieso, es müsste überhaupt mehr Geld für die Bildung geben, es müsste der Bild mehr Probleme bereiten, wenn sie solche Stimmungs-verzerrende hart rechte Meinungsmache verbreitet, es müsste, es müsste, es müsste aber nichts davon macht den Jungen wieder lebendig, nichts davon hilft dem anderen Jungen wenn er begreift, dass es diesmal kein STRG-Z gibt.
Nichts davon wird aber passieren, weil auch die, die jetzt in Berlin sitzen finden, dass eine Datei mit allen psychisch Kranken sinnvoller ist als eine echte Beschäftigung mit all diesen komplizierten und teuren Problemen, wo man ja nicht mal noch innerhalb der Legislaturperiode eine schicke Excel-Liste als Erfolg veröffentlichen kann.
Und ganz garantiert werden sie niemandem den Glauben nehmen, dass das alles seit die da 2015 gekommen sind so schlimm geworden ist, denn das lenkt von ihren Fehlern ab und nun ja.
Aber Hauptsache wir haben kein Nazi-Problem; also so eins, wo aussortiert wird und in Lager gesperrt und wo Menschen sterben.
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Mal ganz abgesehen davon, dass das eine schlimme Tragödie ist: Überraschenderweise habe ich davon gelesen, sowohl im Express in Köln, bei denen ist es aber auch nicht verwunderlich, da Krawallblatt, und bei der FAZ. Namen oder Vornamen wurden bei beiden nicht genannt.
Die BLID war heute morgen auch da. Vermutlich haben Jugendliche, wenn nicht aus gutem Hause, dann auch genügend Nachrichtenwert :(
Achja, die BLID, die kommt natürlich auch, wenn es genug Blut, Schweiß und Tränen gibt. :(
Furchtbar. Die Tat. Und deine (zutreffende) Beobachtung.