Weil ich eh den ganzen Tag mit Migräne rumlag gibts heute was zum Thema Lokalpolitik, was im besten Fall etwas erklärt, warum Politiker eben wie Politiker sind.
Es ist Mai 2009. Wir stehen in Berlin auf der Terrasse vor dem Radialsystem und haben gerade Pause zwischen zwei Sessions beim ersten Politcamp – einem Versuch, eins dieser neumodischen Barcamps zum Thema Politik zu machen.
Wir, das sind außer mir noch ein alter Freund, ganz alten Leserinnen als „der Offliner“ bekannt und eine weitere Freundin. Der Offliner und ich sind lokalpolitisch recht aktiv: wir haben vor knapp zehn Jahren zusammen ein Bürgerbegehren gegen den Rat der Stadt geführt und haben dabei ein paar soziale Einrichtungen gerettet, denen nach dem Willen der alleine regierenden* CDU die Gelder gestrichen werden sollten.
Wir haben zweimal versucht, eine Grüne Jugend in der Stadt zu gründen (beim zweiten mal erfolgreich) und arbeiten beide in der lokalen Fraktion mit. Er wird später Fraktionssprecher werden (und lange bleiben) und ich bin eine Zeit lang Mitglied der „Landesarbeitsgemeinschaft Medien“, einer Denkfabrik beim Landesverband in Düsseldorf.
Außerdem mache ich überraschenderweise die Website, Wahlplakate, Broschüren, Flyer usw.
Die Freundin, zehn Jahre jünger als wir, ist bislang vollkommen unerfahren, was politische Arbeit angeht; sie hat aber – man merkt es deutlich – so richtig Bock, ihre Stimme mal zu erheben und was zu bewegen.
Die beiden kannten sich vorher übrigens nicht.
„Offliner“, sagt sie, „Du bist doch richtig aktiv in der Tagespolitik. Erklär mir doch mal, wie ich mal aktiv werden kann, ich hab so richtig Bock“
Sie strahlt bei der Idee, jetzt zu erfahren, wie sie ihre Ideen in die Öffentlichkeit bekommen kann. Die Diskussionen rund um die Vorratsdatenspeicherung sind noch nicht lang her und die Internet-Menschen wurden das erste Mal politisiert.
Außerdem haben wir gerade Obamas Wahlkampf erlebt und alle Politiker sind vollkommen gallig auf dieses Internet, weil: das wollen sie auch.
„Och, das ist eigentlich ganz einfach“, sagt der Offliner. „ich erzähl mal, wie das bei uns Grünen geht“
„Ja, super!“, ruft sie.
„Du schaust einfach aufmerksam in die Tageszeitung, da sollte drin stehen, wann Fraktionssitzungen und auch wann OV* [=Ortsverband]-Treffen sind …“
Bei dem Wort „Tageszeitung“ geht ein leichtes Zucken durch ihr und auch durch mein Gesicht. Durch meins, weil ich zu dem Zeitpunkt seit elf Jahren die Website der Partei vor Ort betreibe – naja, aber es hat ja seinen Grund, warum er der Offliner heißt – und durch ihr Gesicht, weil … nun ja. Es ist 2009 und natürlich liest sie keine Tageszeitung.
„… Bei uns kannst Du eigentlich zu beiden einfach hingehen. Dann schaust Du mal, gehst ein paar Mal hin. Fraktionssitzungen sind ja wöchentlich, OV-Treffen bei uns zweimal im Jahr aber das kann woanders ja auch öfter sein. Gehst Du halt hin und guckst mal, worüber die so reden und was so die Themen sind und lernst die Leute kennen.“
Ihr Strahlen gefriert etwas.
„Und wenn Du mit den Leuten klar kommst, dann kannst Du ja eintreten und bei der nächsten Mitgliederversammlung auch mal für einen Posten im OV kandidieren. Gerade bei kleineren OVs hast Du da auch schnell gute Chancen“
Ihr Gesicht ist etwas leer; ich hingegen muss mir arg mein Grinsen verkneifen, weil er nicht merkt, was gerade passiert.
„Und wenn dann mal Wahlen sind – die sind ja alle fünf Jahre – dann kannst Du Dich für einen Listenplatz bewerben – auch da hast Du in kleinen OVs natürlich bessere Chancen. So als Neuling wirst Du vermutlich trotzdem nicht auf einen vorderen Listenplatz kommen und keinen Platz im Rat bekommen, aber vielleicht ist ein stellvertretender Ausschuss-Sitz drin und dann bist Du schon ziemlich richtig an der Stelle, wo die Politik gemacht wird. – das ist dann super spannend“
Nach einem Blick auf ihre Gesichtsfarbe befürchte ich kurz, dass sie inzwischen gestorben ist, aber ich kann noch einen flachen Atem erkennen.
„Wenn Du so einen Ausschuss hast, dann bekommst Du wöchentlich die Unterlagen mit den Anfragen und Anträgen und montags ist dann Fraktionssitzung, wo die Ausschüsse vorbereitet werden. Da stellst Du dann die Themen aus Deinem Ausschuss vor und Ihr erarbeitet, wie Eure Position dazu ist und dann kannst Du gut vorbereitet in den Ausschuss gehen und da richtig abstimmen: Wir sind halt Opposition in der Stadt, aber in den Diskussionen kann man ja auch was rüberbringen …“
„Also, Ihr reagiert nur? Und Eure Ideen werden alle abgelehnt??“ stammelt sie aus blassen Lippen.
„Aber nein“, beruhigt er sie. „Zum Jahrestag von Tschernobyl zum Beispiel haben wir Atomfässer durch die Fußgängerzone getragen und zu Ostern verteilen wir immer Blumen – wegen der Ostermärsche, weiß Du? Und bei der neuen Kita haben wir auch eine eigene Idee mit einbringen können, die die anderen Fraktionen ok fanden. Und die Idee zur Begrünung des neuen Parkplatzes, die ist auch quasi nur von uns und … “
Eine Glocke erinnert uns, dass die nächsten Sessions anfangen. Ich hänge mich an sie und versuche die nächste Stunde, ihr die Idee von außerparlamentarischer politischer Arbeit nahezubringen.
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