Wisen Sie, was ich ganz erstaunlich finde? Mit was für einem Kenntnisstand Menschen da draußen „Webdesign“ verkaufen. In den letzten Monaten und Jahren schlagen immer wieder Menschen bei mir auf, die „eine Website“ haben, die aber jetzt einen Wunsch hatten, die ihnen „Ihr Webdesigner“ nicht mehr erfüllen konnte.
Also, verstehen Sie mich nicht falsch, ich freue mich über Kunden. Ich freue mich auch, weil viele dieser Menschen über Empfehlungen dritter zu mir kommen. Aber: Im ersten Gespräch stelle ich dann oft fest, dass die ursprünglichen Webdesigner nichts anderes getan haben, als ein WordPress und dann ein Theme zu installieren. Vielleicht noch ein paar PlugIns, aber das wars. Und wenn die Kundin dann auch nur den Zeilenabstand geändert haben möchte oder statt eines Textes ihr Logo oben auf der Site sehen möchte, dann ist schon Holland in Not.
In meiner Definition ist Webdesign ja etwas anderes: Das Gespräch darüber, was $kundin im Netz erreichen möchte, die Beratung darüber, wie und mit welchen Mitteln das möglich ist, dann eine Website-Gestaltung auf Basis von vorhandenem Corporate Design (oder Logo oder Flyer oder …) und dann eine Programmierung, die die Ansprüche und das Design zusammenführt.
Aber naja, man kann das offensichtlich anders sehen.
Ich bin ja übrigens wirklich gerührt, wenn Menschen mir zutrauen, das ich alles, was irgendwie am Internet hängt, reparieren kann und auch immer alle Passwörter für alles weiß – aber das ist nicht so. Bin aber zuversichtlich, dass es nicht mehr lange dauert bis mich jemand anruft, weil sein Thermomix nicht mehr auf die Rezeptseite für den Kartoffelpürree kommt.
Was anderes: Die meisten von Ihnen wissen vermutlich, dass ich sehr viel darüber nachdenke, wie und wann und warum dieses Internet so vor die Hunde gegangen ist.
Aktuellster Gedankengang:
- Schritt eins: Werbung und Privatfernsehen haben uns daran gewöhnt, dass wir mit Nichtigkeiten überflutet werden. Um ihre eigenen Existenz zu rechtfertigen, hat vor allem die Werbung begonnen, jeden Dreck anzukündigen wie früher den Besuch des Königs. (JETZT 2% MEHR INHALT). Auch die endlos vielen Privatsender merkten schnell, dass es überhaupt nicht genug Inhalt für ihre ganze Sendezeit gibt und so muss auch da der letzte Mist mit Pseudo-Wichtigkeit künstlich erhöht werden, damit die Zuschauerin nicht merkt, dass es zB einen guten Grund hatte, warum manche Filme einfach vergessen waren.
- Schritt zwei: Durch diese ständige Berieselung verlernt die Bürgerin die Unterscheidung zwischen wirklich Bedeutsamem und zwischn aufgeblasenem Dreck. Ist ja auch nicht leicht, wenn einem der Klimawandel in 30 Sekunden trockenem Tagesschau-Tonfall kurz erklärt wird und man vor- und nachher dreißigmal gebrüllt erzählt wird, dass Heidi Klum gepupst hat.
- Schritt drei: Das Web, vor allem, das was mal „Social Web“ oder auch „Mitmachweb“ hieß bot uns allen genau diese Möglichkeit: Mitzumachen. Und zwar mit jeder Unwichtigkeit, denn wenn Heidis Flatulenzen eine Meldung wert sind, warum dann nicht meine auch? Aber wie auch in den klassischen Medien stellte sich schnell heraus: Ab einer bestimmten kritischen Menge hört man nur noch die, die am lautesten brüllen.
Tja. Und nun haben wir den Salat.
Dazu beobachte ich oft, dass das öffentliche Format uns auch alle dazu zwingt, so zu sprechen, als ob uns die halbe Menschheit zuhört (tut sie ja potenziell auch). Ein Tweet oder Post muss auf den Punkt und vor allem unangreifbar sein wie ein Politiker-Statement, denn wir alle wissen: Im Zeifelsfall drück ich mich jetzt hier doof aus und dann hab ich die gesamte Horde* an der Backe. Dann muss ich nicht nur einem gegenüber erklären, dass ichs anders meinte, sondern hunderten, die mich derweil aus allen Rohren befeuern.
Das ist dann nicht mehr Dialog, sondern so etwas ähnliches wie Leserbriefschlachten früher in den Zeitungen; oder auch wie Podiumsdiskussionen. Es geht nicht mehr um Unterhaltung, es geht um das Platzieren von Statements.
Es ist also logisch, dass Tweets und Posts alle immer etwas drüber erscheinen. Ich denke, das Medium ist im öffentlichen Raum für echten Austausch versaut – außer man befindet sich in einer kleinen, deutlich definierten und nicht vollkommen öffentlichen Blase.
Und es ist auch logisch, dass so beim geringsten Anlass Grabenkriege entstehen. Über alles und jedes.
Ja, die Ironie, dass ich das hier gerade öffentlich in meinem Blog ins Internet schreibe, ist mir bewusst.
*) Auch schon mehrfach beobachtet: Dass jemand, mit der man – ob aus Versehen oder absichtlich – in eine Diskussion gerät, durch das geschickte Fallenlassen eines Hashtags mit Empörungspotentials schon mal die Leute an Bord holt, die diesen Hashtag beobachten. Konkret habe ich schon mehrfach mit Frauen diskutiert, die misogynes in einem meiner Tweet vermuteten und die dann in der zweiten Antwort mal eben #mansplaining hashtaggten. Ich fühlte mich jeweils selten so wohl wie da.
Ach ja, #tagebuchblogen. Ich hab mich heute etwas ein bisschen über Twitter und bisschen darüber aufgregt, was Menschen so als Webdesign verkaufen. Aber das hatten Sie sich vielleicht schon gedacht.