Aus Gründen eine komplette Nacht wach gewesen. Aus glücklichem Zufall auf netflix in „Black Doves“ rein gerutscht und da kann ich ja endlich mal wieder eine echte Empfehlung ausspechen. Durchaus spannend, sehr angenehm britisch, leicht Tarantino-esk und da dann auch durchaus lustig. (Wie so oft: Wenn Sie spritzendes Blut auch in überhöht skurrilen Kontexten nicht lustig finden können, sollten Sie’s aber sein lassen).
Beim Mastern einen weiteren Endgegner besiegt. Ein paar Lieblinge rausgeschmissen; insgesamt also auf einem guten Weg. Ein Cover-Entwurf entstand auch zwischendurch und ich schaue mit Wohlgefallen darauf, wenn ich zwischendurch mal nachsehe, was ich da gemacht habe.
Was natürlich vollkommen egal ist, denn als Hobbymusiker habe ich im neoliberalistischen Zeitalter weder Bedeutung noch Rechte:
Offener Brief an Frank Briegmann (Universal)
Wolfgang Müller:
Oh Frank Briegmann! Normalerweise würde ich einen offenen Brief mit “Lieber” oder mit “Sehr geehrter” beginnen, aber das erscheint mir angesichts Ihrer offenkundig gottgleichen Selbstwahrnehmung als unangebracht. Daher nun also “Oh”. “Oh” war auch das was ich dachte, als mir die Überschrift ihres FAZ-Interviews in die Augen sprang. Er lautete: “Woher kommt der Anspruch, dass ich als Hobby-Musiker Geld erhalte?”. Wow. Was für eine Punch-Line. Ohne auch nur eine weitere Zeile des Interviews gelesen haben zu müssen, gleich ein Wirkungstreffer auf den Selbstwert von Millionen begeisterter “Hobby”-Musiker. Das muss man auch erstmal hinkriegen. Glückwunsch dazu. Es scheint, dass Sie und Christian Lindner dasselbe Rhetorik-Seminar besucht haben.
Offener Brief an Frank Briegmann
Je mehr ich bemerke, wie unwichtig tausende von Menschen wie ich und ich genommen werden, desto wütender werde ich und desto ernster möchte ich genommen werden.
Weniger Wohlgefallen macht mir der Entwurf für meine dringend renovierungsbedürftige berufliche Website. Ich hatte da eine Idee gehabt und da ich dafür eine bisher von mir sträflich vernachlässigte gar nicht mehr so neue Technik einsetzen musste, hatte ich gleich losprogrammiert. Die Technik ist toll, alles funktioniert, es sieht nur leider vollkommen doof aus. Yes, yes – part of the creative process this is, young padawan.
Am Schreibtisch knapp an einem Worst-Case-Event vorbei geschrappt, als sich die Kundin einer Kundin erst nach dem Domainumzug erinnerte, dass sie ja seit 10 Jahren eine E-Mail-Adresse unter eben dieser Domain betrieb – und nicht vor dem Umzug, als wir sie fragten ob auch Mails umgezogen werden müssten.
Daher: Wenn Ihre Webdesignerin Sie etwas fragt und Sie es nicht verstehen: Fragen Sie nach. Erwähnen Sie auch Dinge, die Sie vollständig normal, üblich, unspektakulär finden, denn vielleicht war es nur normal für Ihren Neffen, der Ihnen das damals so eingerichtet hat.
Im Timehop auf ein Bild aus dem September 2002 gestoßen. Ich erkenne mich nicht mehr. Irre.
Viel, viel, viel über Krankheit in unserer Gesellschaft nachgedacht. Darüber wie Krankheit es uns erlaubt, einen Menschen sofort in eine Schublade zu stecken. Gehe ich zB ins Krankenhaus und erwähne dort, dass ich eine PTBS habe und mich Krankenhaus-Situationen hart triggern, so wird die Ärztin gegenüber alles andere was ich sage auch durch die „aha, Psycho-Issues“-Brille sehen. Das kann ein Nach- oder auch ein Vorteil sein, es kann „ach der übertreibt eh“ oder „oh, da nehme ich mir eine Minute mehr Zeit“ nach sich ziehen – aber es wird mehr Folgen haben*.
Noch krasser, wenn man dummerweise eine von diesen sogenannten „Modediagnosen“ mitbringt: „Ach Gottchen, noch eine mit ADHS, noch ein Hochbegabter, noch jemand, der hochsensibel ist und Autist darf man ja nicht mehr sagen, die sind ja jetzt alle im Spektrum, neumodischer Kram, soll sich nicht so anstellen, als ich jung war hatten wir das auch alles nicht“.
Wenn Dein Gegenüber mit solchen Vorurteilen in den Raum kommt, hast Du nicht mal den Hauch einer Chance, noch eine neutrale Reaktion zu bekommen.
*) Ich hatte zB mal einen genervten Bauch-Arzt, der mich – die MFAs habens bestätigt – mit der dreifachen Dosis Ultraschall-Gel und doppeltem Druck auf, nein: in den wehen Bauch beglückte. Vielleicht hatte ich seinen Ablauf mit der Erwähnung der PTBS schon gestört und auf sein genervtes „Und was soll mich das interesieren? Ich denke, Ihnen tut der Bauch weh?“ auch nicht passend oder demütig genug geantwortet – und so konnte er mich wenigstens ärgern?
Wo wir dabei sind: Menschen mit Behinderung kennen das natürlich alles besser als es jemand kennen sollte und damit sind wir in einem Schritt bei der aktuellen und viel-empfohlenen ZDF-Doku über den Fall Jule Stinkesocke. Die haben wir auch geguckt und ich muss gestehen, sie hinterließ mich etwas ratlos. Gut, um jetzt den Doku-Charakter einzuschätzen, war mir der eigentliche Fall als solcher zu bekannt und über den will ich auch gar nicht reden, der ist eindeutig und klar. Aber vielleicht gab mir gerade dies Vorwissen den Raum, um mich zum einen über das etwas reißerische Storytelling zu wundern und zum anderen darüber nachzudenken: Wer gab eigentlich den drei Frauen den Auftrag, die Recherchen anzustellen und zu veröffentlichen? Wurde nicht erwähnt und ich gehe davon aus: Sie selbst? Und ich denke: Wenn jemand, den wir nicht mögen so tief in unsere Online-Identitäten einsteigt, dann sind wir genervt. Zu Recht, wie ich finde. Aber Regeln sind ja nicht nur dafür da, „uns“, sondern alle Menschen zu schützen. Und für die Einschätzung, ob etwas eine Straftat ist oder nicht, ob etwas verfolgenswert ist oder nicht – dafür gibt es Institutionen. Oder?
Sie haben Fragen? Sie wünschen sich ein Thema, über das ich mal bloggen soll?
Schreiben Sie’s auf!
Alle bisherigen Antworten finden Sie übrigens hier.
Du hattest mal Haare!! 😃
(Sah gut aus. Aber erkannt hätte ich dich neverever.)
Zu den drei Damen, die das Ding mit Jule „aufgedeckt“ haben: nein, einen Auftrag hatten die von niemandem. Die, die nicht erkannt werden wollte in der Doku, hatte wohl was seltsam gefunden an den Tweets der angeblichen Tochter Helena und sich dann mit Feuereifer drauf gestürzt, den ganzen Berg umzugraben, bis kein Stein mehr auf dem anderen lag. Ich persönlich fand ihren Tonfall unter aller Sau, tat das auch kund und wurde dann von einer der anderen drei, mit der ich bis dato virtuell befreundet war, mit großem Getöse auf allen Kanälen geblockt. Das war schon etwas weird alles – die Vorstellung, dass da Einer 15 Jahre lang vorgetäuscht hat, er sei eine junge Frau im Rollstuhl, allerdings auch. Aber darüber müssen wir ja nicht reden.
Jedenfalls: du hattest echt mal Haare! Richtig viele! (’schuldigung)
Und: ich werde in Zukunft keiner Ärztin und schon gar keinem Arzt mehr erzählen, dass ich ne chronische Depression hab und HSP bin. Reicht mir schon, jedes Mal wieder auf mein Übergewicht reduziert zu werden.
(Boah, jetzt hab ich dich zugetextet. Nochmal ’schuldigung. Schick ich das jetzt ab? Ach, egal.)
Ja, ich hatte mal Haare. Sogar noch mehr, wenn wir noch etwas länger zurückgehen :))
https://www.youtube.com/watch?v=nNAy_wddf1w
Und sonst: Erstens – wie frustrierend ist es, dass man sich vor Ärzten verstecken muss?
Und zweitens – was ein interessanter Einblick in die Situation damals. Stärkt mein Vertrauen jetzt mal gar nicht.
Zur Frage mit den Institutionen – welche denn? Also ernstgemeint, ich denke da selbst gerade drüber nach. Straftatbeständlich dürfte da wenig angefallen sein, da ja in diesem Fall keine Gelder unter falschem
Vorwand gesammelt wurden. Den Plattformen des Blogs und der sozialen Medien isses auch wumpe, wenn da jemand lügt. Fernsehsender und Zeitigungen sind erst drauf angesprungen, als die Recherchen schon einiges aufgedeckt hatten. Von daher würde ich denken, wenn die Privatleute da nicht agiert hätten, gäbe es den Account noch und er würde weiter seine Lügen verbreiten, die ja einfach nicht okay waren und der Glaubwürdigkeit von tatsächlich existierenden behinderten Aktivist*innen durchaus geschadet haben dürften.
: Straftatbeständlich dürfte da wenig angefallen sein
Eben. Genau deswegen frage ich mich. Natürlich haben die drei sehr an meinen Werten entlang gehandelt und deswegen ist es mir sehr naheliegend die Aktion mindestens ok zu finden.
Aber so funktioniert Gesellschaft doch nicht – dass eine Gruppe beschließt, das Verhalten von irgendjemand nicht ok zu fnden und auch wenn es nicht strafrechtlich relevant ist Recherchen zu betreiben und auf eigene Faust zu veröffentlichen?
Wie gesagt: Inhaltlich ist mir das in diesem Fall symapathisch, aber wenn ich das mal re-frame und mir vorstelle, ein paar Faschos nehmen einen Account auseinander, der ihnen nicht genehm ist, der ihrem Weltbild nicht entspricht?
Kann nicht direkt antworten, aber ich hoffe, man kann es zuordnen: Also erstens passiert das ja schon ständig, dass Faschos das tun, es gibt ja endlose Doxxingfälle, Hassmails, Öffentlichmachung von Arbeitgebern aus diesen Kreisen. Meist ja einfach gegen Leute die wagen in der Öffentlichkeit zu sein. Manchmal wegen Weltbild, manchmal wegen reiner Existenz. Siehe diverse Rücktritte von Politikern, z.B. gerade erst Wanderwitz, Ganserer, Karamba. Also ich verstehe die Warnung, klar, aber … das ist doch längst Realität. Und afaik wurde im Jule-Fall nun nicht zu irgendwelchen Aktionen gegen den Typen aufgerufen, sondern nur der Fake enttarnt.
Und zweitens finde ich nicht, dass es hier um Weltbild geht? Das war doch keine Frage der Weltanschauung, es ging ja nicht um dort vertretene Meinungen – es GAB ja gar keine Person, die ein Weltbild hätte vertreten können, sondern es war einfach ein komplett gelogener Blog und Twitteraccount. Und über den wurden mal wieder Lügenmärchen über Behinderte erzählt. Die eh schon ständig damit zu kämpfen haben, dass man Berichten aus ihrer Lebensrealität nicht glaubt und am besten gleich das Versorgungsamt wegen „Betrug“ anruft, wenn sie an einem Tag den Rollstuhl nutzen und am nächsten doch nur den Rollator brauchen. Und das schon ohne dass sich einer der größten Accounts als komplett gelogen rausstellt. Zweitens hat sich ein erwachsener Mann jahrelang als junge Frau(en) ausgegeben. Als vermeintliche Gleichaltrige und Gleichgesinnte, der junge Menschen sich vielleicht per DM oder Mail anvertraut haben. Das in Kombi damit, dass es da ständig um Sex, Masturbation, Windelfetisch usw. ging (ja ich war auch eine von den Leichtgläubigen und habe das gesamte Blog gelesen, also das is jetzt nicht nur geraten) … das ist doch was anderes, wenn ein mittelalter Mann sagt, er steht auf solche Gespräche als eine vermeintlich 25-jährige Betroffene. Vielleicht alles nicht strafbar, aber moralisch halt nicht ok. Ich hab die Doku noch nicht gesehen und es kann durchaus sein, dass die nicht gut gemacht ist. Aber DASS der Account enttarnt wurde, finde ich weiterhin gut und wichtig.
(Sorry für den langen Kommentar.)
Eins: Ja sicher, das passiert städig, dass Faschos sowas tun und „wir“ hassen es. Aber dürfen wir dann gleiche Methoden benutzen?
When they go low we go high – oder wie war das?
Ob etwas moralisch nicht ok oder strafbar ist, das macht doch einen Unterschied?
Versteh mich nicht falsch – ich hasse jedes Detail an dieser Geschichte und bin der erste, der bessere Gesetze, bessere Schulungen für Polizisten und alles fordert.
Es gibt, finde ich eine feine Linie zwischen Zivilcourage, zivilem Ungehorsam, „auf Missstände hinweisen“ und ähnlichem und auf der anderen Seite einfach nur falchem Benehmen, im Zweifelsfall weil es die anderen ja auch tun.
Eine Linie, die immer wieder diskutiert und überdacht werden muss ganz sicher.
Und das versuche ich hier gerade.
(Ich liebe lange Kommentare in guten Unterhaltungen!)
Danke für die Antwort. :) Ich sehe da aktuell immer noch nicht das gleiche Verhalten – soweit ich es weiß, fand seitens der Personen, die den Fake aufgedeckt haben, nichts statt, was in Richtung Bedrohung, Aufrufe zur Gewalt oder dergleichen geht. Ich hab auch auf der Recherche-Seite, die es mal gab, ausführlich gelesen und da ging es eigentlich vor allem um Belege dazu, dass „Jule“ nicht existiert. Ich weiß nicht mal den Namen des Typen, der vermutlich dahinter steckt. Von daher sehe ich da große Unterschiede zu Bedrohungen aus dem rechten Spektrum. Aber ich muss dazu sagen, ich hatte nie Kontakt mit diesen Fake-Aufdecker*innen, also falls es da uncooles Verhalten gab/gibt, kann das gut sein, dass ichs nicht mitbekommen habe. Ob man nach dem ersten Aufdecken noch die minutiöse Recherche und die Doku gebraucht hätte – da kann man sich drüber streiten, da geb ich dir durchaus recht. Vielleicht ist das die Grenze (aufklären vs. ausschlachten quasi), ich weiß es nicht. Vielleicht muss ich die Doku erst mal schauen, damit ich da auf dem selben Stand bin.
Nein, SO meinte ich die Vergleichbarkeit auch nicht, dass das Ansehend er Doku nötig wäre.
Ich merke: ich habe einfach ein großes Problem damit, wenn irgendjemand* beschließt, dass es einen Missstand gibt, sich auf eigene faust auf Recherche begibt und dann seine Ergebnisse veröffentlicht.
„On the internet nobody knows, you’re a dog“, aber es weiß auch niemand, wie fundiert meine Recherche-Künste sind, was meine Motivation ist, die Recherche begonnen zu haben und wie einseitig sie dann dementsprechend vielleicht ausfällt.
Einem Sachverhalt nachgehen – gern. Aber Rechercheur, Ankläger, Zeuge, Richter und Henker in einer Person, da habe ich Probleme – egal von welche politischen oder gesellschaftlichen Ecke aus.
Zum Beispiel auch, weil niemand eine Ahnung hat, ob sich nicht jemand anderes berufen fühlt, die Gewalt dann ins Spiel zu bringen. Und auch sonst, denn ich mag das Prinzip der Gewaltenteilung.